Von Kai Rebmann
Das klassische Familienbild mit verheirateten Eltern und ihren gemeinsamen Kindern sowie die traditionellen binären Geschlechterrollen sind der EU schon seit Langem ein Dorn im Auge. Anfang April hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ungarn mit der Kürzung von Finanzmitteln aus dem EU-Haushalt gedroht. Als Begründung wurden unter anderem Ungarns Umgang mit der LGBT-Community genannt, worin die EU einen „möglichen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien“ sehen will. In der vergangenen Woche legte Roberta Metsola (Malta) nach. Die Präsidentin des EU-Parlaments forderte die Mitgliedsstaaten dazu auf, in einem anderen Land geschlossene Ehen oder eingetragene Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Paare anzuerkennen. In sechs Ländern, darunter Polen, Lettland und Rumänien ist dies bisher nicht der Fall. Passend dazu wurde jetzt bekannt, dass die EU mit mehreren hunderttausend Euro Kurse und Workshops zur geschlechtlichen Umerziehung fördert. Das Geld stammt aus dem Fördertopf des Jugendprogramms Erasmus+ und floss in Projekte in ganz Europa.
Am meisten Steuergeld, nämlich 62.690 Euro, machte Brüssel für das „Beyond Gender Sommercamp“ locker, das im vergangenen Jahr in Göttingen stattfand. Das Camp in Niedersachsen richtete sich den Veranstaltern zufolge an „trans*, inter*, nicht-binäre und gender-hinterfragende Jugendliche“. Über knapp 40.000 Euro aus dem EU-Jugendprogramm Erasmus+ durften sich die Organisatoren des Projekts „EUROPE – identities under (trans)formation: GENDER*X“ in Salzburg (Österreich) freuen. Denn Stein ins Rollen gebracht hat der EU-Parlamentarier Nicolaus Fest (AfD), der eine entsprechende Liste recherchiert und diese mehreren Medien zur Verfügung gestellt hat, unter anderem Breitbart und der Jungen Freiheit (JF). Je länger die von Nicolaus Fest geführte Liste wird, umso absurder werden die von der EU geförderten Projekte. So floss das teure Steuergeld der EU-Bürger unter anderem an den Drag-Workshop „Drag It Up“ in Berlin (21.797 Euro), „Dragtivism“-Seminare in Spanien (24.597 Euro) oder das „United with Pride“-Projekt in Slowenien (21.770 Euro).
Insgesamt gab die EU für die Förderung dieser und weiterer „Drag“-Projekte in Europa mehr als 220.000 Euro aus. Darüber hinaus erachteten die Eurokraten aber auch Zuschüsse für „LGBTQ-freundliche Schulen in ganz Europa“ in Höhe von 434.000 Euro sowie ein Projekt zur Betreuung von „queeren Migranten“ in Höhe von knapp 135.000 Euro für gerechtfertigt. Um den ganzen Unsinn dieser Förderungen vor Augen zu führen, verwies Fest auf ein Kinderbuch, in dem es um die „Abenteuer schwuler Kängurus“ gehe. Im Fall dieses Kinderbuchs spricht Fest gar von einer unzulässigen Förderung, da Fragen der Kindererziehung gemäß bestehender Verträge Sache der Mitgliedsstaaten, nicht der EU seien, wie der AfD-Politiker betonte.
Selbstbestimmungsgesetz: Geschlechtsumwandlung auch ohne Zustimmung der Eltern
Während die meisten EU-Mitgliedsstaaten die Meinung vertreten, dass die Kindeserziehung in allererster Linie Sache der Eltern sei, gilt das für Deutschland spätestens seit dem Amtsantritt der Ampel-Koalition nicht mehr. Das bisherige Transsexuellengesetz soll durch ein sogenanntes „Selbstbestimmungsrecht“ ersetzt werden. Unter dem Vorwand des Schutzes und der Stärkung von Kinderrechten wollen SPD, Grüne und FDP künftig Geschlechtsumwandlungen bei Jugendlichen ab 14 Jahren auch gegen den Willen der Eltern ermöglichen. Diese kann dann durch die Entscheidung eines Familiengerichts ersetzt werden, wenn die Richter zu dem Schluss kommen, etwa nach Anhörung von Psychologen und weiteren Experten, dass das Kindeswohl durch die Geschlechtsumwandlung nicht gefährdet wird. Werden sich dann noch Richter finden, die sich trauen, im Sinne des Kindeswohls und gegen die Interessen der LGBTQ-Community zu urteilen?
Nachdem die Neugestaltung des Transsexuellengesetzes im Mai 2021 gescheitert war, sehen die Grünen dringenden Handlungsbedarf: „Wir schlagen deswegen ein Selbstbestimmungsgesetz vor, das Menschen ermöglicht, frei zu leben.“ Wer in anderen Zusammenhängen ausspricht, man könne in Deutschland nicht frei leben, der wird als Schwurbler, Verschwörungstheoretiker oder Schlimmeres verunglimpft. Der Autor Uwe Steinhoff ist als Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong tätig und bezeichnete das von der Ampel im Koalitionsvertrag verankerte Selbstbestimmungsgesetz gegenüber der NZZ als ein Gesetz, das zwar ein liberales Etikett trage, in Wirklichkeit aber „zutiefst ideologisch und autoritär“ sei.
Das Gesetz in seiner bisherigen Form habe eine Bestrafung von Eltern, „die sich der durch die Transgender-Ideologie affirmierten Sterilisierung und Verstümmelung ihrer Kinder nachhaltig in den Weg stellen“ ausgeschlossen, so Steinhoff. Diese Ausnahme sei nun gestrichen worden, so dass fürsorgliche Eltern nach dem Willen der Ampelkoalition künftig mit „Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe“ belegt werden können. Der Experte hält es zudem für bedenklich, wie sehr die Transgender-Ideologie inzwischen auch in den Schulen vorangetrieben wird und zitiert aus dem Koalitionsvertrag: „Um Queerfeindlichkeit entgegenzuwirken, erarbeiten wir einen ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und setzen ihn finanziell unterlegt um. Darin unterstützen wir u. a. die Länder bei der Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit.“ Steinhoff vermisst sowohl eine Definition, was „queere“ Menschen sein sollen als auch einen Beleg dafür, dass diese undefinierte Gruppe „Feindlichkeit“ ausgesetzt sei. Das sogenannte „dritte Geschlecht“ bezeichnet Steinhoff als „juristische Fiktion, keine biologische Realität“.
Experten warnen vor irreversiblen Eingriffen bei Kindern
Während Politik und Medien in Deutschland alles dafür tun, um Kinder und Jugendliche mit einer Geschlechtsdysphorie in dem Gefühl „im falschen Körper geboren worden zu sein“ zu bestärken, findet international offenbar ein Umdenken statt. Das in Wien ansässige Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) hat sich in einem am 11. April 2022 erschienenen Aufsatz ausführlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer nennt Frankreich, Schweden, Finnland und Großbritannien als Beispiele für Länder, „die aggressive Transgender-Behandlungen bei Kindern ablehnen“. In diesen Ländern habe das Prinzip des „Nicht-Schadens“ und „Wohltuns“ Vorrang gegenüber vermeintlicher Selbstbestimmung oder experimenteller Wunschmedizin, so Kummer. Die Ethikerin kritisiert, dass Transgender-Kliniken für Jugendliche und Kinder trotz mangelnder Faktenlage überall aus dem Boden schießen und politischer Druck aufgebaut wird. Kummer warnt vor „irreversiblen Eingriffen bei Kindern, die „nicht wissenschaftlich und damit experimenteller Natur sind“. Der Markt für derartige Eingriffe wachse auf Kosten der Kinder.
In Frankreich hat die Nationale Akademie für Medizin im Februar diesen Jahres neue Leitlinien zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie aufgestellt. Darin wird davor gewarnt, Minderjährige vorschnell hormonellen oder chirurgischen Eingriffen zur Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, da diese auf keine ausreichende Studienlage gestützt werden könnten und damit nicht evidenzbasiert seien. Nachdem sich in den vergangenen Jahren immer mehr vor allem jungen Menschen für eine Geschlechtsumwandlung entschieden haben, steigt inzwischen die Zahl derer rasant an, die sich eine Detransition wünschen, also eine Rückverwandlung in ihr biologisches Geschlecht. „Anstatt Kinder und Jugendliche schnell auf einen Trans-Weg zu drängen“, schreibt das IMABE über den neuen Weg in Frankreich, „sollte die Phase der psychologischen Betreuung daher möglichst ausgedehnt werden“.
Auch Schweden und Großbritannien lehnen Geschlechtsumwandlungen bei Kindern ab
Kummer verweist in ihrem Aufsatz auch auf den Nationalen Rat für Gesundheit und Wohlfahrt in Schweden, der im Februar 2022 ebenfalls neue Leitlinien zur hormonellen Behandlung von Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie herausgegeben hat. Demnach könne eine „geschlechtsangleichende Behandlung zu einer Verschlechterung der Gesundheit und der Lebensqualität führen“. Da die „Risiken den potenziellen Nutzen übersteigen“, lehne Schweden eine Abgabe von Pubertätsblockern an Minderjährige ab und erlaube derartige Eingriffe nur noch in Einzelfällen oder im Rahmen klinischer Studien. Bereits im Mai 2021 habe sich das Gremium gegen operative Geschlechtsumwandlungen bei Jugendlichen unter 18 Jahren ausgesprochen.
Wie die Geschlechtsdysphorie von jungen Menschen zu einem grausamen „Geschäftsmodell“ werden kann, zeigt der Fall der Tavistock Klinik in London, der in Großbritannien maßgeblich zur Sensibilisierung für dieses Thema beigetragen haben dürfte. Kummer berichtet, dass in der Tavistock Klinik im Geschäftsjahr 2010/11 gerade einmal 138 Kinder wegen Geschlechtsdysphorie behandelt worden seien und diese Zahl bis 2020/21 um das 17-fache auf 2.383 angestiegen sei. Außerdem gebe es eine Warteliste mit rund 4.600 weiteren jungen Patienten. Auffällig sei zudem, dass es vor zehn Jahren noch überwiegend Jungen gewesen seien, die eine Geschlechtsumwandlung wünschten, während es zuletzt vor allem Mädchen waren.
In den vergangenen Jahren haben sich die Klagen gegen die Tavistock Klinik immer weiter gehäuft und 35 Psychologen haben der Einrichtung inzwischen den Rücken gekehrt, da sie „die Vorgänge nicht mehr mit ihrem beruflichen Ethos und Gewissen vereinbaren konnten“, wie Kummer schreibt. Die Österreicherin verweist auf den Zwischenbericht einer unabhängigen Kommission, die zur Untersuchung der Machenschaften in der Tavistock Klinik in London eingesetzt wurde. Demnach müsse die Tavistock Klinik neu aufgestellt werden, da sie keine sichere und langfristig tragfähige Option für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie sei.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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