Explosion in Afghanistan – Robert Müller über ein Leben nach dem Überleben Deutsche Kriegsveteranen im Gefängnis, obdachlos, geschieden, Selbstmord

Von Alexander Wallasch

Anfang 2019 veröffentlichte die Bundeswehr auf einer Facebook-Seite ein Foto, auf dem Filmemacher Til Schweiger gemeinsam mit einem Uniformierten abgebildet ist. Robert Müller war damals als Soldat Ansprechpartner für Einsatzgeschädigte. In den Jahren davor hatte er als Fallschirmjäger, Elitesoldat und Hundeführer an mehreren Auslandseinsätzen teilgenommen. 2002 überlebte Robert Müller in Afghanistan nur knapp eine Explosion, bei der mehrere seiner Kameraden ums Leben kamen.

Seit ein paar Wochen ist Robert Müller kein Soldat mehr und lässt sich bei Stade im Alten Land zum Apfelbauern ausbilden.

Mit Til Schweiger sprach Müller über das Schicksal der deutschen Veteranen, die beiden sind heute Freunde geworden. Vor ein paar Tagen schrieb der Filmemacher via Instagram einen emotionalen Appell über die Missachtung der Veteranen durch die Gesellschaft.

Auch anlässlich der hochbrisanten Lage rund um den Rückzug der Deutschen aus Afghanistan spürt Alexander Wallasch dieser Begegnung für reitschuster.de nach. So entstand ein ausführliches Gespräch mit Robert Müller.

ALEXANDER WALLASCH: Spüren Sie manchmal Hemmungen von Seiten der Sie befragenden Journalisten?

ROBERT MÜLLER: Mich befragen Journalisten, die gedient haben und solche, die nicht gedient haben. Aber auch viele Journalistinnen. Die können mich alles fragen. Einmal in der Vergangenheit, da war ich überfordert mit einem Interview. Eine Journalistin stellte mir zwei Fragen, die mich irgendwie weggeschossen haben. Da habe ich einen richtigen Flashback abgekriegt. Die Frau hat auch eilig ihre Tasche gepackt und ist abgehauen – meine Frau rief anschließend gleich den Rettungswagen für mich. So etwas passiert mir heute nicht mehr, da bin ich frei von, Sie können also alles fragen, ich entscheide ja über die Antworten. Es gibt keine falschen Fragen, immer her damit.

WALLASCH: Trainieren Sie noch täglich? Knüpfen Sie noch an, an die Trainingseinheiten Ihrer Spezialausbildung? Ist das noch Teil Ihres Lebens?

MÜLLER: Ich bin seit drei Wochen aus der Bundeswehr entlassen. Ich habe mich vorzeitig entlassen lassen aufgrund meiner Dienstunfähigkeit. Ich bin jetzt in der Ausbildung zum Apfelbauer hier im Alten Land in Stade. Ich mache etwas völlig anderes, habe sogar pazifistische Züge oder eine ähnliche Haltung angenommen. An meinem Auto klebt jetzt eine Friedenstaube.

Ich bin fast dahingehend angekommen: Frieden schaffen ohne Waffen.

Was natürlich zweischneidig ist. Mit einer Friedenstaube brauche ich den Taliban oder Al-Quaida nicht kommen. Der Zweite Weltkrieg wurde ja auch nicht mit einer Kiste voller Friedenstauben gewonnen. Nazi-Deutschland beispielsweise wurde bekämpft und befreit mit Waffengewalt.

WALLASCH: Da stehen Sie in einer Tradition mit Vietnam-Veteranen, die sich in den 1970ern zur Friedensbewegung gesellt oder diese sogar maßgeblich mitgeprägt haben.

MÜLLER: Genau. Ich sehe das heute auch ähnlich. Und tatsächlich haben wir ja, wenn man aktuell nach Kabul guckt, eine Art zweites Vietnam. Und da sehe ich mich tatsächlich in der Situation: Schnell raus da, um Gotteswillen, was haben wir bloß getan? Jetzt stellt sich die Frage: Was bleibt am Ende zurück? Hat man, wie in den USA, tausende traumatisierte verwundete Soldaten und Gefallene? Die Politik ist damit überfordert, der Gesellschaft zu erklären, was wir jetzt daraus machen. Was machen wir mit den ganzen Veteranen? Der eine Veteran akzeptiert das, der schluckt das runter, der nimmt das hin. Ich aber will mich damit geistig und inhaltlich auseinandersetzen. Warum? Weil ich Antworten haben will auf Fragen: Was fange ich jetzt mit dieser Situation an? War das umsonst, was ich da gemacht habe? Oder hat das auch ein Stück weit Sinn gehabt?

WALLASCH: „Veteran“, „Versehrter“ – Sie sind ja in erster Linie auch Soldat. Wie verwendet man diese Begrifflichkeiten eigentlich am sinnvollsten?

MÜLLER: Ich selbst sehe mich nicht nur als Veteran, sondern als Einsatzveteran. Veteran ist ja zunächst einmal jeder Soldat, der sechs Monate treu gedient hat und dann ehrenhaft entlassen wurde. Wir haben heute zehn Millionen Veteranen seit Gründung der Bundeswehr. Ich bin zudem versehrter Einsatzveteran, weil ich im Afghanistaneinsatz verwundet und im Kosovo traumatisiert wurde. Das hat auch Bedeutung, wenn es um die Versorgung geht.

WALLASCH: Wenn ich das sagen darf: Manchmal frage ich mich, wer mir mal Respekt zollen will. Ich war 20 Monate im Zivildienst, fast zwei Jahre meines Lebens tätig in der Asylantenbetreuung für die Gemeinschaft. Natürlich war das nie wirklich mit Angst um mein Leben verbunden, aber es war auch hart. Bedankt hat sich für meinen Dienst an der Gesellschaft niemand.

MÜLLER: Da bin ich ganz bei Ihnen. Thomas de Maizière, der frühere Verteidigungsminister, sprach mal vor einigen Jahren von der „Gier nach Anerkennung der Soldaten“. Er hatte damit gar nicht so unrecht. Denn wenn ich an die Pflegeberufe denke, an die Kassiererin, die sich tagtäglich bepöbeln lassen muss an der Kasse, die Lehrerin usw. – eigentlich haben viele Berufe, vielleicht bis auf die des Bankmanagers und des Politikers, mindestens eine Anerkennung verdient.

Aber es gibt doch einen Unterschied bezogen auf den Soldaten: Der Polizist, der Feuerwehrmann, der Rettungswagenfahrer, die müssen sich nicht erklären. Und ich spreche jetzt ausschließlich von Sicherheits- bzw. Rettungsberufen. Sie müssen für das, was sie tun, keine gesellschaftliche Erklärung abgeben. Jeder weiß, was der Rettungswagenfahrer macht oder der Feuerwehrmann oder Polizist. Aber der Soldat im Einsatz, der soll selbst schuld sein, wenn er nach Afghanistan geht und tot oder verwundet wiederkommt. Die hätten ja nicht dahin gehen müssen, sagt man.

Dann sage ich aber: Moment mal, die Gesellschaft hat geopolitische und wirtschaftliche Interessen, welche die Soldaten dort vertreten. Frei nach dem Motto: Geiz ist geil. Jeder möchte günstig tanken, jeder möchte pünktlich sein Iphone alle zwei Jahre unter dem Weihnachtsbaum liegen haben. Die hängen aber nicht am Weihnachtsbaum und fallen runter wie reife Früchte, sondern diese Iphones werden mit teils wichtigen und seltenen Rohstoffen aus Afrika gefertigt …

WALLASCH: Aber hat sich da nicht etwas geändert? Ganz früher hieß es „Soldaten sind Mörder“ – darum gab es vielbeachtete Prozesse – aber das ruft doch schon lange keiner mehr. Liegt es daran, dass wir keine Wehrpflicht mehr haben? Was hat sich verändert?

MÜLLER: Um das noch kurz zu Ende zu führen: Die Gesellschaft verlangt nach besagten wirtschaftlichen Grundbedingungen. Alle wollen alles haben. Aber es ist der Soldat, der dann in die Länder geht, um die Bedingungen dafür zu verteidigen. Wenn wir beispielsweise die Piraten vor Somalia bekämpfen, weil jeder Fisch essen möchte, weil der Frachter pünktlich nach Deutschland kommen soll, dann müssen wir diese Piraten bekämpfen. Die waren übrigens mal Fischer, die waren nicht immer Piraten. Aber u.a. europäische Großfangflotten haben die Meere dort leergefischt. Auch der Fischer will seine Familie ernähren, da erscheint es ihm wohl am einfachsten, mal einen großen Tanker zu überfallen. Kurz gesagt: Am Ende bezahlen wir Soldaten den Preis des Konsumenten, der die Handelswege beschützt wissen will.

Und zu Ihrer nächsten Frage: Die Gesellschaft hat inzwischen ein bisschen mehr Verständnis davon, was wir da machen. Auch deswegen gibt es inzwischen deutlich weniger, die meinen, Soldaten sind Mörder.

Ich habe das gesehen bei der Überschwemmungskatastrophe in Ahrweiler, die Bundeswehr war als erstes vor Ort, hat massiv Leben gerettet und geholfen. Jetzt aktuell sieht die Bevölkerung auch, was in Kabul geleistet wird von der Bundeswehr, wir retten Menschenleben, weil die Politik versagt hat. Die Bevölkerung ist, jedenfalls was die Bundeswehr angeht, sensibler geworden.

WALLASCH: Da gibt es allerdings auch jene, die sagen, wir brauchen nicht noch einmal 400.000 Zuwanderer jedes Jahr, wie es jetzt der Chef der Arbeitsagentur gewissermaßen als vorgeschobene Legitimation gefordert hat. Anders gesagt: Was ist mit dem Vorwurf, die Bundeswehr würde aktuell der nächsten großen Massenzuwanderung nach Deutschland Vorschub leisten? Diese und andere Debatten begleiten die Arbeit der Bundeswehr ja schon länger.

MÜLLER: Die Bundeswehr ist in erster Linie eine Parlamentsarmee. Und somit auch immer Spielball der Politik. Die Verteidigungsministerin hat jetzt gesagt, sie würde ihren Kopf dafür hinhalten. Aber Annegret Kramp-Karrenbauer hält ihren Kopf nicht hin. Sie ist nicht in Kabul und steht da ihren Mann bzw. ihre Frau. Sie steht da nicht in einer Reihe mit dem KSK, den Spezialkräften, den Fallschirmjägern. Die übernimmt maximal die Verantwortung. Sicher meint sie etwas anderes …

WALLASCH: Den Rücktritt, wenn es schief geht …

MÜLLER: Genau. Aber die Soldaten fragen sich dann schon, was will sie uns damit sagen?

WALLASCH: Zumal da ja in der Vergangenheit auch ganz real Köpfe abgeschnitten wurden von den Taliban …

MÜLLER: Eben. So ein Statement … entweder ist sie einfach unkonzentriert, schlecht beraten oder sie hat es vollkommen vermasselt. So etwas darf einem Politiker nicht passieren, solche Aussagen in so einem Zusammenhang.

WALLASCH: Ich weiß gar nicht, ob die folgende Frage zu provokant ist. Ich lasse es mal darauf ankommen. Was denken Sie über diese hunderttausende WK-II-Veteranen und -Versehrten, welche die Bundesrepublik mit aufgebaut haben und für die es nie eine Traumabewältigung gab? Unsere Großväter und Urgroßväter, das müssen doch in großer Zahl tickende Zeitbomben gewesen sein. Aber ich erinnere mich da an kein Massenphänomen eines kollektiven Durchdrehens …

MÜLLER: Tatsächlich ist die Generation Zweiter Weltkrieg komplett traumatisiert. Und damit spreche ich nicht nur über den Wehrmachtssoldaten, sondern das ist die Frau, das sind die Kinder, die das Bombardement in Deutschland mitbekommen haben. Die gesamte Gesellschaft war schwer traumatisiert. Aber das Besondere daran: Alle wussten es. Das ist der große Unterschied zu den Bundeswehreinsätzen. Wir sind eine Randnotiz heute. Deswegen nimmt uns keiner wahr. Damals hat eine ganze Gesellschaft ihre Traumatisierung gewissermaßen angenommen, akzeptiert. Sie haben aufeinander Rücksicht genommen oder noch viel mehr wegguckt mit dem Verständnis: Der ist traumatisiert, der war doch in Stalingrad. Deswegen wurde auch ausgehalten, dass gesoffen wurde, Frauen geschlagen, dass solche Sprüche wie: So lange Deine Füße unter meinem Tisch … akzeptiert wurden. Auch dieses patriarchische Gehabe kommt ja aus dem Trauma heraus, das dieser Mensch die Verantwortung nicht abgeben kann, dass er nicht kompromissbereit ist – das waren Traumatisierte. Daraus ist die 68er-Generation entstanden, die rebellierte, die wollten Freiheit und Liebe usw. Diese traumatisierten Soldaten konnten keine Gefühle zulassen. Und das wiederholt sich jetzt bei uns genauso. Ich habe meine zweite Ehe an die Wand gefahren.

WALLASCH: Nun gibt es Leute, die waren keine Einsatzkräfte, keine Soldaten, die haben ihre dritte oder gar vierte Ehe an die Wand gefahren. So etwas ist sogar eher die Regel als die Ausnahme …

MÜLLER: Aber da stimmt dann ja irgendetwas auch nicht. Ich weiß konkret: Bei mir liegt es daran, dass ich traumatisiert bin und keine Gefühle zeigen kann aus der Erkrankung heraus.

WALLASCH: Ich sehe bei meinen älteren Verwandten – meine Mutter über 80, meine Tante über 90 – dass diese Menschen jetzt im hohen Alter einen gesteigerten Erzählbedarf haben über ihre traumatischen Kriegserlebnisse. Wurde da eine Traumatisierung 75 Jahre gedeckelt?

MÜLLER: Eine posttraumatische Belastungsstörung hat eine Art Inkubationszeit. Die Belastungsstörung kann aber auch sofort sichtbar werden. Oder auf die Weise, wie Sie es beschrieben haben. Gehen Sie ins Altersheim, da müssen Menschen immer noch vom Zweiten Weltkrieg erzählen, von dem, was sie erlebt haben, das Traumata bricht dann irgendwann aus ihnen heraus. Man will es noch einmal los werden, ein ganz verständlicher Vorgang. Diese Generation hatte auch nie die Chance, etwas aufzuarbeiten.

Deutschland Stunde Null, da ging es ja darum, die Familien zu ernähren, eine Arbeit zu bekommen, der Arbeit einigermaßen korrekt nachzugehen und die Kinder großzuziehen. Da war keine Zeit für Therapien. Aber die ganze Gesellschaft hätte therapiert werden müssen. Und auch die Medizin war damals noch lange nicht so weit wie heute. In Deutschland gibt es erst seit 2010 das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, was sich um im Einsatz geschädigte und traumatisierte Soldaten kümmert.

WALLASCH: Und das basierte ja auch mit auf Ihrer Arbeit beim Bund Deutscher Veteranen.

Noch mal zu Ihrer Bemerkung, dass sich traumatisierte Soldaten am Rand der Gesellschaft befinden. Nun weiß man ja: Der deutsche Soldat hat in Afghanistan Brunnen gebohrt, Bomben entschärft, Kugelschreiber verteilt – aber das Ansehen der Bundeswehr etwa als schlagkräftige Truppe existiert nicht. Da wird viel mehr der US-Soldat gesehen und der deutsche Soldat eher im Hintergrund mit der Schaufel in der Hand oder dem Kind auf dem Arm gezeigt.

MÜLLER: Wir kämpfen etwa seit 2010 in Afghanistan, beginnend mit dem sogenannten Karfreitagsgefecht. Bei den Gefechten bis 2012/13, da hat die Bundeswehr gekämpft – sie haben richtig gekämpft! Das war der normale Fallschirmjägerzug, das waren andere Kräfte, nicht das KSK, das waren auch die Panzergrenadiere – und die haben mehr Gefechte geführt als das ganze KSK zusammen.

WALLASCH: Davon ist hier als Erzählung aber nicht viel angekommen.

MÜLLER: Ja, die Medien haben das nicht genutzt. Deutschland hat sich nicht für seine Soldaten in Afghanistan interessiert, nicht dafür, dass wir dort kämpfen und eben nicht nur Brunnen gebohrt oder Mädchenschulen gebaut oder Bälle verteilt haben – das hat niemanden interessiert. Heute sind auf einmal in Deutschland alle Experten. Jeder weiß am besten, was richtig und was falsch ist. Aber das Schöne ist ja, auf einmal beschäftigen sich alle damit. Wenn das die Quintessenz davon ist, dann soll das so in Ordnung sein. Aber es bleibt eine beschissene Situation für die Menschen, die wir zurücklassen, die an uns geglaubt haben und denen wir etwas versprochen haben. Ich nenne das für mich persönlich heute eine moralische Verwundung.

WALLASCH: Jetzt werden schon Stimmen laut, die sagen, es gab 59 Gefallene, davon ein Teil im Gefecht, und die sagen, wenn ich zwei Jahrzehnte lang in Katar eine Baustelle betreibe, da hätte ich wahrscheinlich mehr Opfer als die Deutschen im Afghanistankrieg. Was bedeuten für Sie die gefallenen Kameraden?

MÜLLER: Erstmal ist es nur eine Zahl. Aber wenn man sich als Soldat, als ehemaliger Soldat damit auseinandersetzt, als Veteran, dann weiß ich, dass da mindestens auch 59 Familien dahinterstehen, die damit mal besser, mal schlechter umgehen können und umgehen müssen. Eigentlich müsste man von Rudolf Scharping beginnend alle Verteidigungsminister am Kragen packen und die müssten sich alle zusammen hinsetzen und sich alle Fragen auch dieser Familien anhören und Antworten geben. Sie stehlen sich alle aus der Verantwortung.

WALLASCH: Passt das zusammen? Sie sagten vorhin, es müsse zur Normalität gehören, wenn wir geopolitische und wirtschaftliche Interessen verteidigen. Muss es dann nicht aber auch zur Normalität – in Anführungszeichen – gehören, dass deutsche Soldaten sterben?

MÜLLER: Eben, das weiß ich. Soldaten sterben, Soldaten werden verwundet, das weiß ich. Aber was ich nicht wusste, dass, wenn ich verwundet zurück nach Deutschland komme, dass ich dann keine Krankenversicherung bekomme  ich habe seit drei Wochen keine Krankenversicherung -, dass ich keine Anwartschaftsversicherung bekomme, dass die Gesellschaft mich nicht wahrnimmt. Thomas de Maizière ist 2012 aus Vancouver/ Kanada kommend aus dem Flugzeug gestiegen und sagte, die Kanadier würden einen Veteranentag feiern, so etwas würde er in Deutschland auch wollen. Aber bis heute gibt es kein Veteranenkonzept, es gibt keinen Veteranenbeauftragten, es gibt gar nichts.

WALLASCH: Sind nicht irgendwann wieder Orden und Heldenmedaillen eingeführt worden?

MÜLLER: Das nennt sich Gefechtsmedaillen. Aber die bekommt nicht jeder. Es geht mir auch nicht darum, Orden zu zeigen. Wir haben jetzt 160.000 Afghanistan-Veteranen. Und diese 160.000 Soldaten suchen jetzt eine Identität. Die Chance, diese Menschen wieder einzufangen, da vertut sich die Politik, in dem sie sich nicht um sie kümmert. Wenn wir ein Veteranenkonzept hätten, dann könnte ich Fragen stellen. Nämlich die Fragen, wie viele Afghanistan-Veteranen leben in deutschen Gefängnissen? Wie viele Afghanistan-Veteranen haben Suizid begangen aufgrund ihrer Erkrankung? Wie viele Afghanistan-Veteranen sind in der Obdachlosigkeit?

WALLASCH: Diese Zahl von 160.000 haben wohl die wenigsten im Kopf, dass es so viele sind. Aber das waren ja auch nicht 160.000 mit Ihren schrecklichen Erlebnissen.

MÜLLER: Wer weiß das?

WALLASCH: Die Wahrscheinlichkeit, die Anzahl der Attentate insgesamt – da ist doch Ihre Situation mutmaßlich schon eine Besondere?

MÜLLER: Wir haben keine 160.000 Traumatisierte, aber wir haben 160.000 Menschen, die mehrere Monate oder eine lange Zeit unter bestimmten Bedingungen in Afghanistan gedient haben. Wir sprechen aktuell von acht Prozent Traumatisierten. Aber wir haben eine Dunkelziffer von geschätzt fünfzig Prozent. Und da stellen sich schon wieder weitere Fragen: Viele Afghanistan-Veteranen leben von Sozialhilfe, wie hoch ist die Scheidungsrate? In England sind zwölf Prozent aller Gefängnisinsassen Irak- und Afghanistanveteranen. Warum soll das bei uns anders sein? Aber die Politik will kein Veteranenkonzept, damit gar nicht erst Fragen gestellt werden, die zu beantworten wären.

WALLASCH: Aber diese Fragen könnten doch die Fraktionen und Abgeordneten in den Parlamenten über das Instrument der Kleinen Anfrage beispielsweise stellen.

MÜLLER: Das wurde ja alles schon gemacht. Ergebnis: Achselzucken, wir wissen es nicht, es gibt kein Veteranenkonzept. Frau von der Leyen hat es sich als Verteidigungsministerin noch einfach gemacht, sie hat alle Soldaten zu Veteranen gemacht, jeder Soldat ist ein Veteran – die 160.000 Afghanistan-Einsatz-Veteranen verschwinden in dieser Zahl. Sogar Til Schweiger wäre demnach für Frau von der Leyen ein Veteran. Der hat nämlich gedient und nur später den Kriegsdienst verweigert. Weil er aber ehrenwert entlassen wurde, ist auch Schweiger ein Veteran. So haben wir also seit Gründung der Bundeswehr 10 Millionen Veteranen. Darin sind 160.000 eine verschwindend geringe Zahl. Aber so geht Politik.

WALLASCH: Weil sie gerade Til Schweiger angesprochen haben: Der Filmemacher beklagte gerade auf Instagram umfangreich und emotional den miesen Umgang mit den Afghanistan-Veteranen.

MÜLLER: Er hat damit vollkommen recht. Er spricht da mehrere Punkte an, das Desinteresse der Gesellschaft an den Soldaten, das gibt es nach wie vor.

WALLASCH: Aktuell entwickelt sich die Zahl der Ortskräfte inflationär. Immer deutlicher wird, dass es in Afghanistan nicht nur die Bundeswehr gab, sondern weitere staatliche und private deutsche Organisationen mit einheimischen Helfern, was haben Sie davon mitbekommen? Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beispielsweise spricht von Bleibe-Prämien, andere wollen so viele wie möglich herausholen.

MÜLLER: Im Einsatz hat jeder seinen eigenen Bereich. Der eine bekommt das mit, der andere nicht. Ich habe von diesen Leuten gar nichts gesehen. Es gibt aber immer auch Schnittstellen, da hatte ich weniger Berührungspunkte. Und über diese Bleibe-Prämie kann ich nur müde den Kopf schütteln. Wer will denn für ein afghanisches Jahresgehalt sein Leben riskieren von den Afghanen?

WALLASCH: Vorausgesetzt, man riskiert sein Leben dabei. Das hat ja die GIZ offensichtlich mit ihren Bleibe-Prämien in Frage gestellt. Was mich aber noch interessiert: Das Opfer, das Sie für ihr Land und die afghanische Bevölkerung gebracht haben, war es das wert?

MÜLLER: Für die Afghanen selbst ist es von Wert gewesen, das habe ich gerne gemacht. Das war auch der militärische und politische Auftrag. Aber wenn ich heute nach Afghanistan schaue und sehe, da bleibt nichts über davon, dann kann ich nur sagen, es war umsonst.

WALLASCH: Bleiben wir bei den Afghanen, insbesondere bei jenen, die zu uns gekommen sind. Haben Sie eine Idee davon, warum einige von den so auffällig kriminell sind in bestimmten Bereichen, sich auf so grausame Art und Weise Frauen gegenüber verhalten usw.? Sind das auch alles Traumatisierte? Sie sprachen ja gerade über eine hohe Zahl von Einsatzveteranen in Gefängnissen …

MÜLLER: Man muss unterscheiden, es gibt Afghanen, die ich kenne, das sind die Intellektuellen, die gehen ihrer Arbeit nach, die sind demokratisch-liberal eingestellt, die führen ein deutscheres Leben als so mancher Deutscher. Die kenne ich. Ich kenne Deutsche mit afghanischem Migrationshintergrund, die haben in der deutschen Uniform mehr Dienst geleistet als so mancher deutsche Soldat, diesen Leuten begegne ich mit viel Respekt.

Und dann gibt es Flüchtlinge, die aus einem Land kommen, in dem die Frau nichts gilt, in dem die Burka eine Selbstverständlichkeit ist, in der die Frauen im Auto im Kofferraum sitzen und niemals auf dem Beifahrersitz, sie dürfen kein Auto fahren usw. Die kommen dann hierher und sind mit der Situation völlig überfordert.

Die bekommen hier alles geschenkt. Ich kenne Afghanen, die haben im Container, in dem sie untergebracht waren, ein offenes Feuer gemacht, weil sie dachten, damit heizt man hier und macht so das Essen warm. Niemand hier hat daran gedacht, dass man erklären muss, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Aber es muss gemacht werden, weil einfach ein paar tausend Jahre dazwischen liegen.

Das ist für mich eine Erklärung, aber ich habe kein Verständnis, dass auch durch diese Menschen Massenvergewaltigungen mittlerweile in Deutschland an der Tagesordnung sind. Ich kann hier die Politik nicht verstehen, die einfach zuschaut, die nicht konsequent abgeschoben hat. Und als ich dann gehört habe, dass auch noch bereits abgeschobene Afghanen, die kriminell in Deutschland in Erscheinung getreten sind, mit im Flugzeug saßen und wieder zurück nach Deutschland gekommen sind als Ortskräfte, dann kann ich nur sagen, hoffentlich fällt das der Politik im Herbst nicht auf die Füße. Das ist politisches Totalversagen, wenn man dann das KSK und die Fallschirmjäger dahin schickt und denen sagt: Holt die Deutschen ab. Und dann spricht da jemand deutsch, weil er das in fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland ein bisschen gelernt hat, und dann steigt der in den Flieger ein und die wirklich Hilfsbedürftigen bleiben außen vor.

WALLASCH: Warum ist Ihr Buch „Soldatenglück“ eine wichtige Lektüre?

MÜLLER: Der Leser – ob Soldat oder nicht Soldat, ob Pazifist oder Patriot – der zieht sich in meinem Buch über zwölf Jahre hinweg meine Stiefel an. Und das von dem Moment an, als ich gar nicht zur Bundeswehr wollte, bis zu dem Moment, wo ich verwundet wurde, ausgeflogen wurde und feststellen musste, dass sich Deutschland nicht für mein Erlebtes, für meine Verwundung interessiert und ich erst einmal alleine damit zurechtkommen musste.

WALLASCH: Vielen Dank für das Gespräch.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.


Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: privat/Robert Müller
Text: wal

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