Familienpolitisch ist Ungarn vorbildlich

Ein Gastbeitrag von Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes 1987-2017

Die EU-Kommission und zumal Deutschland haben ein Feindbild „Ungarn“ aufgebaut. Mit den Einfällen der Ungarn der Jahre 899 bis 955 nach Mitteleuropa (endend am 10. August 955 mit dem Sieg Ottos des Großen auf dem Lechfeld bei Augsburg) kann dieses Feindbild nichts zu tun haben. Denn in Zeiten eines um sich greifenden historischen Analphabetismus weiß man davon ja „null“.

Also muss es andere Gründe haben. Denn gerade die Deutschen hätten allen Grund, den Ungarn dankbar zu sein und sie zu bewundern: 1956 haben sie gegen die sowjetischen Besatzer aufbegehrt; der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, er endete schlussendlich mit der Hinrichtung des ungarischen Nationalhelden Imre Nagy am 16. Juni 1958. Im Sommer 1989 haben die Ungarn mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs nach Österreich den ersten Stein aus der Mauer zwischen den beiden Staaten auf deutschem Boden gebrochen, und 2015 haben sie mit der Schließung der Grenzen Deutschland und dessen Kanzlerin vor einer noch größeren Flüchtlingskrise bewahrt.

Was also sind die Gründe für das Feindbild? Ein maßgeblicher Grund dürfte sein, dass Ungarn das traditionelle Bild von Gesellschaft, Gemeinschaft und vor allem von Familie hegt und pflegt. Das passt nicht in die EU-weit und vor allem in Deutschland martialisch propagierte grün-rot-gegenderte Ideologie gegen alles, was mit „Volk“ und „Nation“ zu tun hat, es passt vor allem nicht den Verfechtern einer „Ehe für alle“ und eines „Rechts auf Abtreibung“.

Ab 2010 hat Ungarn gleichwohl unbeirrt verfassungsrechtlich die Weichen Richtung Familie gestellt. So heißt es in der ungarischen Verfassung unter anderem: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und auf Menschenwürde, dem Leben der Embryo gebührt von der Empfängnis an Schutz” (Artikel II). „Ungarn schützt (…) die Familie als Grundlage des Fortbestands der Nation” (Artikel L). „Der Schutz der Familien und die Stärkung des Wohlergehens der Familien ist gleichermaßen die Aufgabe vom Staat, der Selbstverwaltungen, der Zivilgesellschaft, der Medienakteure und der Wirtschaftsakteure” (Kardinalgesetz zum Schutz der Familie CCXI. 2011).

Ungarn haben diese Prioritäten nicht geschadet. Vor allem ist man erfolgreich dabei, den demographischen Rückgang, der für 2050 nur noch 9,5 Millionen Ungarn voraussagt, zu stoppen. Lassen wir ein paar Zahlen sprechen: Ungarn mit seinen 9,7 Millionen Einwohnern hat eine Arbeitslosenquote von 3,4%, seit 2010 wurden rund 900.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, seit 2010 gibt es zudem ein Plus an 100.000 Geburten. Interessant sind familienrelevante Entwicklungen (von 2010 auf 2019):

– Kinderzahl pro Frau: 1,25 > 1,5 (das ist ein Plus an 20 Prozent);

– Abtreibungen: 40.449 > 25.800 (das ist ein Minus an 36 Prozent);

– Eheschließungen: 35.520 > 65.300 (das ist ein Plus an 84 Prozent);

– Scheidungen: 23.873 > 17.400 (das ist ein Minus an 27 Prozent):

– Ausgaben für Familienpolitik (BIP-Anteil) 3,5% > 4,87% (2018)

Familienpolitische Entscheidungen

Diese Entwicklungen haben mit konkreten politischen Maßnahmen zu tun. Beispiele:

– Wenn die Mutter vor der Geburt eines Kindes sozialversichert war, wird für 168 Tage ein Kleinstkinderbetreuungsgeld (CSED) in Höhe von 70% des vor der Geburt des Kindes verdienten Gehalts ohne Höchstgrenze angeboten.

– Ein Kinderbetreuungsgeld (GYED) wird geleistet, bis das Kind zwei Jahre alt wird. Es beträgt 70% des Gehalts, das vor der Geburt des Kindes verdient wurde, mit einer monatlichen Höchstgrenze von 665 EUR. (Monatl. Durchschnittsverdienst liegt bei rund 1.000 EUR.)

– Das Kinderbetreuungsgeld für Studentinnen und Studenten ermöglicht jungen Eltern die volle Nutzung von Kinderbetreuungsgeld. In diesem Fall wird das Studium als Beitragsperiode zur Sozialversicherung anerkannt.

– Ein weiteres Element ist die Kinderbetreuungsbeihilfe (GYES), das auf der Grundlage eines Rechts bis zum 3. Lebensjahr des Kindes gewährt wird.

– Ein zentrales Instrument des ungarischen Familienhilfesystems ist die 2011 eingeführte Familiensteuervergünstigung. In der Folge muss die Mehrheit der Familien mit 3 oder mehr Kindern in Ungarn keine Einkommensteuer zahlen.

– Eine Steuervergünstigung für frisch verheiratete Paare wurde 2015 eingeführt.

– Die Familienbeihilfe umfasst zwei Leistungsarten: Erziehungsgeld und Schulungsgeld. Das Erziehungsgeld wird für nicht schulpflichtige Kinder gewährt, während das Schulungsgeld für schulpflichtige oder ältere Kinder gewährt wird, die ihr Studium an öffentlichen Bildungseinrichtungen fortsetzen, bis das Kind 23 Jahre alt ist. Folge unter anderem: Die unentschuldigten Absenzen in Schulen sanken um 64%.

– Das Programm Frauen 40 (Altersrente für Frauen mit einem 40-jährigen Anspruchszeitraum ohne Altersbeschränkung) wurde 2011 eingeführt. Ziel dieser Maßnahme ist es, Großmüttern die Möglichkeit zu geben, ihre Kinder aktiv bei der Betreuung ihrer Enkelkinder zu unterstützen. Die Zahl der Leistungsempfänger dieser „Großmutterrente“ hat bis 2018 bereits 241 Tsd. überschritten.

Im Jahr 2015 führte die ungarische Regierung zudem das System der Familien-Wohnungssubvention (CSOK) ein. Familien, die drei oder mehr Kinder erziehen oder die sich verpflichten, künftig mindestens drei Kinder großzuziehen (einschließlich der Kinder, die sie bereits haben), erhalten eine einmalige finanzielle Unterstützung in Höhe von rund 33.000 EUR für den Kauf eines Hauses oder einer Wohnung.

2018 hat die ungarische Regierung ferner beschlossen, die Darlehensoptionen innerhalb des CSOK-Schemas für Familien mit zwei Kindern zu erweitern. Diese Familien können eine Unterstützung von rd. 8.400 EUR für ein neues Haus erhalten. Darüber hinaus sind sie zu weiteren Wohnkaufdarlehen in Höhe von ca. 33.000 EUR mit staatlich subventioniertem Zinssatz berechtigt. Im Zusammenhang mit CSOK werden auch im Ausland erworbene Sozialversicherungsbeiträge anerkannt, um im Ausland arbeitenden jungen Ungarn bei ihrer Heimkehr zu helfen.

Zusätzlicher 7-Punkte-Aktionsplans zur Förderung der Familie

Im Februar 2019 wurde darüber hinaus ein 7-Punkte-Aktionsplan auf den Weg gebracht. Er beinhaltet die folgenden Maßnahmen:

1. Unterstützung junger Ehepaare: Seit dem 1. Juli 2019 hat jedes Ehepaar, dessen Ehefrau zwischen 18 und 40 Jahre alt ist, Anspruch auf ein zinsloses, frei verwendbares Darlehen von max. 31.000 EUR. Wenn das Paar ein Kind bekommt, wird die Rückzahlung zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes für 3 Jahre ausgesetzt. Bei der Geburt eines zweiten Kindes wird die Rückzahlung für weitere 3 Jahre ausgesetzt, wobei 30% der ausstehenden Schulden freigegeben werden. Der gesamte Restbetrag wird bei der Geburt des dritten Kindes freigegeben.

2. Ausweitung des Kreditprogramms für Wohnungserwerb auf Käufer von Gebrauchtwohnungen: Ab dem 1. Juli 2019 sind nicht nur neue Wohnungen, sondern auch Gebrauchtwohnungen mit dem günstigen Darlehen mit einem Höchstzinssatz von 3% erreichbar.

3. Erweiterung der Hypothekensenkung bei der Ankunft von Kindern: Ab dem 1. Juli wird die Regierung bei der Geburt eines zweiten Kindes 3.100 EUR von den Hypotheken der Familie und 12.500 EUR bei der Geburt des dritten Kindes erlassen (und weitere 3.100 EUR bei weiteren Geburten).

4. Einkommensteuerbefreiung für Mütter mit vier oder mehr Kindern: Ab dem 1. Januar 2020 sind alle Mütter, die derzeit mindestens vier Kinder erziehen oder vier oder mehr Kinder während ihres Lebens erzogen haben, bis ihre Pensionierung vollständig von der Zahlung der Einkommensteuer in Höhe von 15% befreit.

5. Autokaufprogramm für Großfamilien: Ab dem 1. Juli 2019 können Familien mit 3 oder mehr Kindern einen Zuschuss in Höhe von 2,5 Mio. HUF (ca. 7.800 EUR) (jedoch bis zu 50% des Kaufpreises) für den Kauf eines Neuwagens mit mindestens 7 Sitzplätzen erhalten.

6. Entwicklungsprogramm für Kinderkrippen: Die Regierung will die zuletzt 50.000 vorhandenen innerhalb des Jahres 2020 auf 60.000 ausbauen und bis 2022 weitere 10.000 Plätze schaffen, damit Eltern mit einem Kind unter 3 Jahren ihr Kind in einer Krippe einschreiben können.

7. Einführung des Kinderbetreuungsgeldes für Großeltern: Nicht pensionierte Großeltern können ab dem 1. Januar 2020 das Kinderbetreuungsgeld zu ähnlichen Bedingungen wie das GYES in Anspruch nehmen.

All dies ist kein „Zurück an den Herd“, wie nun manch Ewig-Morgige in Deutschland unken könnten. Weit gefehlt. In puncto Beschäftigung sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegt Ungarn im EU- und internationalen Vergleich an der Spitze, die Frauenbeschäftigung (20 – 64 Jahre) hat von 54,6% im Jahr 2010 auf 67,6% im Jahr 2019 zugenommen. Zudem lässt eine Umfrage von KINCS (Kopp Mária Intézet a Népesedésért és a Családokért bzw. Maria Kopp Institute for Demography and Families) vom April 2019 erwarten, dass die Kinderzahl pro Frau weiter zunehmen wird. Die Umfrage ergab nämlich: Auf die Frage nach der idealen Anzahl von Kindern in einer Familie in Ungarn antworteten 40% der Befragten mit zwei, 49% mit drei Kindern. Entsprechend planen die Befragten im Durchschnitt 2,33 Kinder.

(Quellen: https://www.koppmariaintezet.hu/en, Ungarisches Statistisches Zentralamt, Eurostat)


Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)


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Bild: WIX, privat.

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