Fluch der Vergangenheit? Der deutsche Masken-Fanatismus „Wer keinen Bock auf Maske hat, der kann aussteigen“

Es waren nur 238 Zeichen in einem Tweet von einem Kollegen, mit dem ich früher in einer Redaktion zusammengearbeitet habe: „Knallhart-Durchsage im ICE nach #Köln. ‘Wen ich ohne Maske erwische, für den ist die Fahrt beendet. Die #Maskenpflicht gilt noch bis zum 2.2. und wer da keinen Bock drauf hat, der kann aussteigen und zusehen, wie er weiterkommt‘“, steht da bei Jürgen Klöckner.

Der Kollege, der heute als Hauptstadtkorrespondent beim Handelsblatt arbeitet und auch Mitglied der Bundespressekonferenz ist, lässt diese Aussage so stehen. Unkommentiert. Was ich auch irgendwie verstehen kann: Als Journalist einer großen Zeitung kann man sich unbeliebt machen, wenn man so eine Aussage kommentiert. Das kann sich schnell auf die Karrierechancen auswirken.

Mir fiel fast das Glas aus der Hand (keine Sorge, nur Wasser), als ich das las. Nein, nicht dass es grundlegend neu ist. Immer wieder erzählen mir Leser und Bekannte von ähnlichem Maskenirrsinn. Wie der Freund, den im Easyjet-Flugzeug noch kurz vor Aufhebung der Maskenpflicht auch in Deutschland der Kabinenchef mit der Durchsage begrüßte: „Wer glaubt, er könne die Maske die ganze Zeit runternehmen, unter dem Vorwand, er würde die ganze Zeit trinken oder knabbern, ist bei mir am Falschen“.

‚Sie sind wieder da‘

Für mich ist es gruselig, wie Corona genau die Charakter- und Verhaltenszüge bei leider viel zu vielen (wenn auch Gott sei Dank nicht allen) Landsleuten zum Vorschein brachte, die mir schon immer unheimlich waren, und die ich – naiverweise – für überwunden gehalten habe. Aber sie sind wieder da. Oder noch da?

In anderen Ländern wie den osteuropäischen, die ich gut kenne, wären sie unvorstellbar. Gut, einzelne Verwirrte mit Macht-, Kontroll- oder anderen Zwängen sind auch dort anzutreffen. Aber eben nur sehr vereinzelt, und sie werden nicht akzeptiert von der Mehrheit. Für die meisten Ukrainer, Russen, Montenegriner, Kroaten oder Serben sind solche Durchsagen wie die oben beschriebenen unvorstellbar. Wenn ich ihnen darüber berichte, reagieren sie meist erst mit Unglauben. Und dann mit Kopfschütteln.

Woher kommt dieses verbissene, absurde, obrigkeitshörige, vorauseilende Festhalten an Vorschriften, die ganz offensichtlich sinnentleert sind – hier schon allein deswegen, weil die Pflicht ja bald wegfällt? Die Antworten sind wohl tief in unserer Kultur und unserer Geschichte zu suchen. Und sie sind beängstigend. Denn wir alle wissen, wohin diese Wesens- und Verhaltenszüge in letzter Instanz führen können.

Gleichgültig und geistig weichgespült

So traurig und schwer es ist, das einzugestehen: Mir ist Deutschland unheimlich geworden. Genauer gesagt, der verbissene Teil der Deutschen, dem ich inzwischen schreckliche Dinge zutrauen würde. Heute terrorisieren sie Maskenmuffel und Ungeimpfte. Und wen morgen, wenn man es ihnen vorschreibt und/oder sie aufhetzt? Unheimlich ist mir auch die apathische Mehrheit, die alles wie in Agonie hinnimmt. Gleichgültig. Geistig weichgespült. Satt oder hoffnungslos.

Mir tut es im Herzen weh für die 20, vielleicht auch 30 Prozent, zu denen auch ich mich zähle, die diese Entwicklung genauso wie ich mit weit aufgerissenen, erstaunten und auch weinenden Augen sehen, sich fühlen wie im falschen Film und sich fragen: Wo leben wir nur? Was ist das für eine Gesellschaft?

Ich würde Ihnen jetzt gerne eine schöne Auflösung, ein Happy End, bieten. Das Problem ist nur: Ich habe keines. Im Gegenteil: Ich muss jetzt beim Schreiben dieser Zeilen an ein Zitat von Professor Stefan Homburg denken, das er vor wenigen Tagen auf Twitter veröffentlicht hat. Er verstehe jetzt, wie 1933 möglich gewesen sei. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen, wie gespenstisch dieses Geschehen ist.

Warnhinweis

An dieser Stelle in diesen hysterischen Zeiten noch ein Sicherheitshinweis für rotgrüne „Feindbeobachter“, die hier mitlesen: Nein, das ist keine Gleichsetzung. Wir haben keine Zustände wie 1933. Es geht um Mechanismen und Ansätze, die nicht zu verleugnende Ähnlichkeiten aufweisen. Es geht um bedingungslosen Gehorsam, Untertanengeist, Obrigkeitshörigkeit, es geht um Herdentrieb, vorauseilenden Gehorsam, Opportunismus, Mitläufertum, Apathie der Mehrheit und die dadurch mögliche Durchschlagskraft von radikalen Minderheiten und radikalen Ideen und Vorstellungen. Die Ausgrenzung von Minderheiten, die Diffamierung und Entmenschlichung von Andersdenkenden, den Applaus der Masse dafür, die Versuche, die Existenz von Unbequemen, „Querdenkern“ zu vernichten. Um die Ausschaltung der Ratio zugunsten von Emotionen, von Angst.

All das mit eigenen Augen und Ohren miterleben zu müssen, ist wie gelebter Geschichtsunterricht. Den wir uns liebend gerne erspart hätten. Besonders bizarr: Diejenigen, die besonders fest auf die Mistgabeln der Geschichte treten, die den oben aufgeführten Mechanismen völlig verfallen, sie alle diffamieren die Minderheit, die sie treten, auch noch gerne als „Nazis“. Sie nennen sich selbst „Antifaschisten“. Und sind dabei fern von jeder Selbstreflexion darüber, wer hier mit seinem Verhalten wirklich an verhängnisvolle Mechanismen vergangen geglaubter Zeiten erinnert.

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