Von Alexander Wallasch
Psychische Erkrankungen sind eine große Bürde für den Betroffenen und seine Angehörigen. Und solche Erkrankungen – das haben Zahlen und auch Studien belegt – haben unter den Corona-Maßnahmen der letzten zwei Jahre massiv zugenommen.
Und im Gegensatz zum Corona-Virus selbst sind hier leider alle Altersgruppen betroffen, aber insbesondere Kinder und Alte, also die wohl verletzlichsten Teile unserer Gesellschaft.
Das Gesundheitsamt im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel hat sich dieser Problematik und der Betroffenen besonders angenommen:
Der Sozialpsychiatrische Dienst bietet „Spaziergänge“ an. Nein, nicht am Montag, dafür immer dienstags um 11 Uhr, beginnend am Eingang eines Parks nahe dem Gesundheitsamt.
Explizit heißt es da vom städtischen Veranstalter:
„Das ist ein offenes Angebot für jeden und jede, der oder die sich, vielleicht gerade in der aktuellen Situation, belastet fühlt. Es geht ums Zuhören und gemeinsam in ein offenes Gespräch kommen. Mit dem Spaziergang wollen wir so einen Austausch und einen Treffpunkt für psychisch belastete Erwachsene ermöglichen.“
Nun würde man sicher von Fall zu Fall nicht falsch liegen in der Annahme, dass viele Montagsspaziergänger sich genau deshalb Woche für Woche versammeln, weil sie einen starken psychischen Leidensdruck verspüren. Die Motivation könnte im Einzelfall ähnlich sein.
Das Portal regionalheute.de berichtet unter folgender Überschrift: „Gesundheitsamt veranstaltet Spaziergang“. Weiter heißt es da: „Das Angebot richtet sich an Erwachsene, denen es psychisch nicht gut geht.“
In der Presseerklärung des Landkreises nennt sich die neu angebotene Veranstaltung: „Gruppenspaziergang für psychisch belastete Erwachsene“. Dort heißt es weiter: „Das ist ein offenes Angebot für jeden und jede, der oder die sich, vielleicht gerade in der aktuellen Situation, belastet fühlt.“
Die Parallelität zur aktuellen Debatte ist hier nicht von der Hand zu weisen. Der Landkreis schreibt an potentielle Teilnehmer obendrein: „Eine Anmeldung ist nicht notwendig.“
Und das berichtende Portal wiederum informiert die Leser und potentielle Interessenten sicherheitshalber: „Die Spaziergänge finden draußen statt.“ Ein Corona-Schnelltest wäre deshalb nicht notwendig. Ja, so ernst es ist, es darf auch geschmunzelt werden.
Eine Telefonnummer wird aber trotzdem angeboten, also rufen wir an und hinterfragen mal einen möglichen subversiven Hintergrund der Aktion: „Schließen Sie sich hier der Spaziergängerbewegung an?“ Das wird sofort kategorisch verneint, schon gar nicht vom Gesundheitsamt organisiert. Es wäre ja auch die Frage, erfahren wir weiter, welche Bedeutung man dem Begriff „Spaziergang“ beimessen würde.
Es ginge darum, Menschen in der aktuell belastenden Corona-Situation ein besonderes Angebot anzubieten, um sich auszutauschen und um zu schauen, wie man als sozialpsychiatrischer Dienst helfen kann.
Der Mitarbeiter betont, dass es sich hier lediglich um ein Gruppenangebot für erwachsene Menschen in einer psychischen Sondersituation handelt.
Auf die Frage, ob dieser spezielle Spaziergang angemeldet werden muss, verweist der Mitarbeiter auf eine erwartbare geringe Nachfrage des Angebotes, so viele würden wohl nicht kommen.
Der Mitarbeiter betont abschließend nochmal, dass es sich hier um kein Treffen handeln würde, dass irgendwie mit den Montagsspaziergängen zu tun hätte, man würde als Gesundheitsamt ganz sicher Querdenkern keine Fläche bieten zum Spazierengehen. Es wäre auch absolut falsch und nicht der Hintergrund, anzunehmen, dass es einen Mitarbeiter im Amt geben würde, der da vielleicht etwas anders im Sinn hätte als das, was hier angeboten wird.
Dann beendet der Mitarbeiter des Amtes das Gespräch nicht richtig – früher hätte man gesagt: er legt den Hörer falsch auf – und äußert sich gegenüber einer Kollegin im Hintergrund über den gerade beendeten Anruf und den Anrufer.
Das Magazin Tip Berlin hatte schon Mitte Dezember 2020 den Begriff „spazieren“ zu einem neuen Unwort erklärten und so kommentiert: „Und dann wäre da noch die Gruppe der Solidaritätsverweigernden, die ihre kollektive Gefährdung anderer gern auch Spaziergang nennen.“
Jetzt ist so eine Veranstaltung wie die in Wolfenbüttel für die Betroffenen eine gute Sache. Das Gesundheitsamt nimmt seine Aufgabe demnach ernst. Wir hoffen also, dass wir hier unseren Teil dazu beitragen konnten, auf eine hilfreiche Veranstaltung hinzuweisen, die ein offenes Angebot sein will „für jeden und jede, der oder die sich, vielleicht gerade in der aktuellen Situation, belastet fühlt.“
Wer im Landkreis wohnt, die genannten Probleme und den Gesprächsbedarf hat, der findet auf diesen neuen Dienstagsspaziergängen fachliche Begleitung – bitte nutzten Sie dieses kostenfreie Angebot, wenn Sie diese Hilfe benötigen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Shutterstock
Text: wal
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