Gorbatschow – ein Held unserer Zeit?! Ex-Präsident der Sowjetunion wird heute 90

Ein Gastbeitrag von Beate Berg

Heute begeht Michail Gorbatschow in Moskau seinen 90. Geburtstag. Bestimmt erreicht den Jubilar auch eine Vielzahl von Glückwünschen aus Deutschland.

In den deutschsprachigen Würdigungen wird er als Held gefeiert und das ist er für die politisch interessierten und in der DDR aufgewachsenen Vertreter meiner Generation der über 50-Jährigen. Oder ist er schon in Vergessenheit geraten und sein Name wird nur auf Grund des runden Geburtstages erwähnt?

Mitte der 80er Jahre klangen erstmals von der Sowjetunion die Begriffe Glasnost und Perestroika in Richtung Westen, also bis in die DDR. Sie verhallten nicht, sondern ließen Neugier und Mut wachsen. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan richtete in seiner Berliner Rede vom Juni 1987 an Gorbatschow den Satz „Tear down this wall!“, forderte ihn also dazu auf, dem Fall der Mauer zuzustimmen, die die zwei deutschen Staaten seit 1961 voneinander trennte.

Im „Sputnik“ – einer monatlich erscheinenden russischen Zeitschrift in deutscher Sprache – erschienen immer mehr Artikel über die von Gorbatschow initiierte Reformbewegung in der Sowjetunion. Der erstarrten DDR-Führung wurde das alles zu viel. Ein Verbot dieser Publikation Ende 1988 bewirkte das Gegenteil. Und so wuchsen der Mut und die Sehnsucht nach Freiheit weiter, vielerorts gab es Friedensgebete und Montagsdemonstrationen, im Oktober 1989 erklangen die „Gorbi, Gorbi“-Rufe lautstark durch Berlin, als die DDR-Oberen sich und ihren dem Untergang geweihten Staat letztmalig feierten. Der Mauerfall am 9. November 1989 und der sich daran anschließende Prozess der Wiedervereinigung sind untrennbar mit dem gemeinsamen besonnenen Wirken von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow verbunden. Natürlich lag all dem ein zähes Verhandeln zugrunde und letztlich erhielt die Sowjetunion Milliardenkredite für die „Freigabe“ der DDR aus dem gerade noch existierenden Ostblock. Doch Gorbatschow ist und bleibt das Idol zumindest meiner Jugend.

‘Alles zu seiner Zeit'

Sobald ich nach Leipzig fahre und in der Nähe der Peterskirche bin, denke ich an den bitterkalten Märztag 2013, an dem ich mit vielen anderen stundenlang vor dem Kirchenportal wartete. Der oft Gorbatschow zugeschriebene Ausspruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ sollte sich an diesem Tag für mich und die mit mir Ausharrenden nicht bewahrheiten. Ich saß in Reihe 4 und sah und hörte dem Politiker zu, der das Leben meiner Generation entscheidend geprägt hat. Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Gemeinsam mit dem Ex-Außenminister Hans- Dietrich Genscher stellte der frühere und zugleich auch einzige Präsident der Sowjetunion dort seine Memoiren „Alles zu seiner Zeit“ vor.

Immer, wenn ich meinen Moskauer Freunden oder anderen Russen von meiner Begeisterung für Gorbatschow erzähle, ernte ich ein ungläubiges, fast mitleidiges Lächeln. Meist fallen sehr harte Wertungen, die von „Totengräber “ bis „Seelenverkäufer“ reichen und kaum ein gutes Haar an diesem Politiker lassen. 1986 war ich selbst tief erschüttert, als ich für ein Jahr in Kaluga – nur 2 Autostunden von Moskau entfernt, aber damals tiefste Provinz – studierte. Wir erlebten lethargische Menschen, die in ganz einfachen Verhältnissen lebten und sich mit Mangel, Zerfall und Schlendrian abgefunden hatten. Wie sollte eine Umgestaltung gelingen? Ein Land dieser Größe und Weite mit Einsicht und Überzeugung vom Kopf auf die Füße zu stellen, war unmöglich. So war jedes der von Gorbatschow erlassenen Gesetze verhasst und nicht gewollt, zwang es doch die Bevölkerung dazu, kleine einfache Nischen zu verlassen. Und es kam, wie es kommen musste, das Riesenreich zerfiel, das Volk verarmte noch mehr und die Unsicherheit wuchs. Nach dem Putsch im August 1991 war Gorbatschow als einziger und letzter Präsident der Sowjetunion faktisch ohne Einfluss. Am 31.12.1991 erklärte er erzwungenermaßen seinen Rücktritt und verließ die Bühne der großen Politik. So war er als Visionär und Reformer in seiner eigenen Heimat gescheitert.

Was ihm folgte waren die Jelzin-Jahre, die das Land total zerrütteten, und dann die nur durch ein kurzes Medwedjew-Intermezzo unterbrochenen Putin- Jahrzehnte. Russland zeigt sich heute gern nach außen mit westlichem Antlitz, ist jedoch im Inneren eine streng organisierte Diktatur, die brutal gegen oppositionell Denkende vorgeht.

Im Alter weise und abgeklärt?

Welchen Platz hat Gorbatschow in den letzten zwei Jahrzehnten für sich gefunden? 1992 gründete er den Gorbatschow-Fond, eine Stiftung, die politische und sozialkritische Forschung in Russland fördert. Außerdem ist er Miteigentümer der regierungskritischen Zeitung „Nowaja gazeta“.
Er schrieb verschiedene Bücher, unter anderem die oben schon erwähnten Memoiren. 2015 erschien sein Werk „Das neue Russland: Der Umbruch und das System Putin“, ins Deutsche übersetzt von Boris Reitschuster. Darin geht er sehr milde mit dem heutigen Regierungschef und dem Zustand im Land um. Es stellt sich die Frage warum. Ist es die Angst vor Sanktionen, die seine Stiftung treffen könnten, wenn er seine Finger in die zahlreich vorhandenen offenen kritikwürdigen Wunden legt? Oder wird im Alter weise und abgeklärt?

2019 wendete sich Gorbatschow mit dem Text „Was jetzt auf dem Spiel steht: Mein Aufruf für Frieden und Freiheit“ an seine Leser. Mit dem Titelbegriff der Freiheit schließt sich ein Kreis im Wirken Gorbatschows, zumindest für Deutschland. Für mich ist der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow ein Held unserer Zeit, dem ich zu seinem Geburtstag ganz herzlich gratuliere und für seine Lebensleistung danke.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

 

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Beate Berg ist Beamtin und schreibt hier unter Pseudoym

Bild: mark reinstein/Shutterstock
Text: Gast 

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