Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Johann Wolfgang von Goethe war nicht nur der Dichterfürst, als den man ihn heute vor allem kennt, sondern auch studierter Jurist – was, wie ich zugebe, nicht unbedingt für ihn sprechen muss – und für etliche Jahre hochrangiger Minister im Herzogtum Weimar, wobei nach gängiger Meinung sein Hauptanliegen darin bestand, „durch Einschränkung der öffentlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Förderung der Wirtschaft den hochverschuldeten Staatshaushalt zu sanieren“. Schon hieran sieht man Parallelen zu einem Minister unserer Tage. Robert Habeck, umtriebiger Minister für Deindustrialisierung und Klimageplauder, ist zwar kein Jurist, hat aber ganz im Gegensatz zu vielen seiner Parteikollegen doch immerhin irgendein Fach zu Ende studiert. Ebenso wie Goethe ist er Autor mehrerer Bücher, auch wenn man ihn nur ungern als Dichterfürsten bezeichnen möchte. Und schließlich ist er seit viel zu langer Zeit hochrangiger Minister, obwohl sein Hauptanliegen sich kaum mit dem Goethes vergleichen lassen dürfte, sondern eher auf das genaue Gegenteil hinausläuft: durch Aufblähung der öffentlichen Ausgaben bei gleichzeitigem Ruin der Wirtschaft dem hochverschuldeten Staatshaushalt endgültig den Todesstoß zu versetzen.
Besonderes Verhältnis zur Wahrheit
Goethes Autobiographie trug den Titel „Dichtung und Wahrheit“. So oder ähnlich könnte auch Habeck dereinst seine Erinnerungen benennen, denn spätestens seit den Enthüllungen über das sinnlose Abschalten der deutschen Kernkraftwerke ist bekannt, dass ihm doch gelegentlich Dichtung und Wahrheit ein wenig durcheinander geraten. Und nun hat er schon wieder sein besonderes Verhältnis zur Wahrheit unter Beweis gestellt. Im Zusammenhang mit dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico sprach er im Deutschen Bundestag die bedeutungsvollen Worte: „Ich sage das mit Bedacht nach dem Redner einer Partei, die nun auch gerichtlich ein gesicherter rechtsextremer Verdachtsfall ist: Der slowekische Ministerpräsident Robert Fico ist gerade niedergeschossen worden. Und ich sage das deswegen, weil wir wissen, dass aus Worten Taten folgen, und dass diese Taten dann meistens eine geistige Vorbereitung haben.“ Und er ergänzt, dass alle, die sich dem demokratischen Spektrum zugehörig fühlen, ihre Worte sorgsam wägen sollten.
Mit vor Betroffenheit triefender, fast schon brechender Stimme hat er das gesagt, damit auch jeder weiß, dass er auf der Seite der Guten steht und mit aller Kraft gegen das Böse kämpft. Aber was hat er nun eigentlich gesagt? Ich sehe darüber hinweg, dass er mit Slowekien ein neues Land erfunden hat; vielleicht kann ihm seine Kollegin im Außenministerium erklären, wie viele hunderttausend Kilometer es von Deutschland oder auch von der Slowakei entfernt ist.
'Mit Bedacht'
In seinem einleitenden Satz bezieht er sich offenbar auf die AfD, und er gibt „mit Bedacht“ direkt nach einem Redner der AfD bekannt, dass ein Attentat auf Robert Fico stattgefunden hat. Es muss also nach seiner Auffassung einen Bezug geben zwischen der AfD und dem Attentat, sonst hätte er nicht „mit Bedacht“ auf die Parteizugehörigkeit seines Vorredners hinweisen müssen. Und den Zusammenhang macht er hinreichend deutlich: Aus Worten folgen Taten. Um wessen Worte handelt es sich? Sicher nicht um seine eigenen, jedenfalls nicht nach seiner Meinung, sondern eben um die Worte von AfD-Vertretern, denen er mit seiner Äußerung und „mit Bedacht“ unterstellt, dass ihre Worte geeignet seien, Attentate zu motivieren. Der Rest des Satzes ist eine leere Floskel, denn wenn „aus Worten Taten folgen“, dann steht es außer Frage, dass diese Taten eine geistige Vorbereitung haben, da sie ja aus den vorher geäußerten Worten folgten.
Habeck sagt somit, dass aus den Äußerungen von AfD-Vertretern so etwas wie ein Attentat auf einen Politiker folgt, insbesondere das Attentat auf Robert Fico, zu dem er die AfD-Worte „mit Bedacht“ in Beziehung gesetzt hat. Für einen Kinderbuchautor mag das hingehen, für einen Minister nicht. Bei dem Attentäter handelt es sich um einen einundsiebzigjährigen Schriftsteller, der als Motiv angegeben hat, der Regierungspolitik nicht zuzustimmen, und insbesondere die „von der Regierung geplante Medienreform, die eine Auflösung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beinhaltet“, ablehnt. Fico vertritt also eine Politik, die man hierzulande gerne als „rechts“ brandmarkt, und wird von einem Freund linker Politik deshalb niedergeschossen. Das ist das exakte Gegenteil von dem, was Habeck an prominenter Stelle äußerte, woraus folgt, dass er die Unwahrheit gesagt hat, um den politischen Gegner zu diskreditieren – wozu sonst der „mit Bedacht“ vorgetragene Bezug zur AfD?
Szenenwechsel
Wechseln wir für einen Moment die Szene. Am 15. Mai 2024 wurde in Reutlingen ein ehemaliger Richter zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.800 Euro verurteilt, weil er Habeck mehrmals in einem Post als Vollidioten bezeichnet und auch mit weiteren wenig schmeichelhaften Attributen versehen hat. Die Anzeige hat Habeck selbst gestellt, das scheint er ab und zu recht gerne zu tun. Rechtsgrundlage dieses Urteils war der etwas eigenartige § 188 des Strafgesetzbuches, in dem es heißt:
„(1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.
(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (§ 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (§ 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Der Reutlinger Richter war tatsächlich der Auffassung, der „Facebook-Beitrag des Angeklagten sei geeignet, das öffentliche Wirken des Ministers erheblich zu erschweren“, was sich dem unbefangenen Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließt, denn in diesem Fall hätte die Unzahl von unschmeichelhaften Bezeichnungen, die Helmut Kohl in seiner Zeit als Kanzler erhalten hat, ihm jede politische Betätigung unmöglich machen müssen. Aber nehmen wir das Reutlinger Urteil einfach einmal hin und wenden es gegen seinen Urheber.
Mit seiner Äußerung im Bundestag hat er die Grundlage eines Anfangsverdachts auf üble Nachrede oder Verleumdung gelegt, denn der von ihm „mit Bedacht“ hergestellte Bezug zwischen den Worten von AfD-Politikern und dem Attentat auf Fico ist nachweislich falsch; die Tat folgte mit Sicherheit nicht den Worten der hiesigen Opposition, sondern hatte gänzlich andere Gründe. In §186 des Strafgesetzbuches heißt es zur üblen Nachrede: „Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Ohne Frage lag das Ziel darin, andere verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen: Der Vorwurf, mit den eigenen Worten Mordanschläge zu motivieren, hat sicher keine positiven Wirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung des Betroffenen. Man kann nicht von der Hand weisen, dass hier ein Fall von übler Nachrede vorliegen könnte.
Vielleicht aber auch von Verleumdung, denn der Unterschied liegt im Wesentlichen darin, „dass eine Verleumdung nur bei erwiesenermaßen unwahren Tatsachen in Betracht kommt und der Täter dies auch weiß“. Ob Habeck um die Unwahrheit seines „mit Bedacht“ hergestellten Bezuges wusste, entzieht sich meiner Kenntnis, er scheint ja auch sonst vieles nicht zu wissen, wie man zum Beispiel an seinen Äußerungen zu Insolvenzen oder auch zur Pendlerpauschale sehen konnte. Aber das spielt keine Rolle, denn im zweiten Absatz von § 188 werden beide Varianten genannt, ich bin da nicht kleinlich. Und der erste Absatz? Habecks Äußerung zielte auf „im öffentlichen Leben des Volkes stehende“ Personen, wobei es keine Rolle spielt, dass er keine Namen genannt hat, da es auch den Tatbestand der „Kollektivbeleidigung“ gibt, die sich auf einen „klar umgrenzten und überschaubaren Personenkreis bezieht, sodass sich die Beleidigung der Gruppe letztlich als individuelle Beleidigung jedes Einzelnen darstellt (z.B. eine Beleidigung gegen „die Münchener Polizei“)“. Und das ist hier offenbar der Fall.
Es kann 'vor Gericht von Vorteil sein, wenn man im Recht ist'
Das alles fand öffentlich und in einer Versammlung statt, man kann kaum behaupten, eine Sitzung des Deutschen Bundestages sei etwas anderes. Die Beweggründe hingen auch zusammen „mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben“, da es sich um eine Attacke auf Abgeordnete des Bundestages handelte, deren Stellung in der Öffentlichkeit beschädigt werden sollte. Und ganz sicher war Habecks Tat geeignet, das öffentliche Wirken der Angesprochenen „erheblich zu erschweren“: Wer glaubt, dass bestimmte Politiker mit ihren Worten Attentate verursachen, wird sich nur schwerlich mit ihren politischen Ansichten auseinandersetzen wollen.
Es sieht danach aus, als seien die Voraussetzungen des § 188 erfüllt, die Folge wäre eine „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“. Man darf den während Habecks Äußerung im Bundestag anwesenden Abgeordneten der AfD vielleicht den Hinweis geben, eine Strafanzeige in Erwägung zu ziehen und einen erfahrenen Anwalt zu konsultieren, der sich mit Beleidigungsdelikten auskennt.
Wie so oft, weise ich jeden Optimismus von mir. Kein Staatsanwalt wird sich an einem derartigen Verfahren die Finger verbrennen wollen, das er im umgekehrten Fall mit Freude und Hoffnung auf baldige Beförderung verfolgen würde, denn Staatsanwälte unterstehen dem jeweiligen Justizminister, der bekanntlich selbst Politiker ist. Und Richter sind zwar eigentlich unabhängig, aber in Wahrheit doch abhängig von Beurteilungen und guten Beziehungen, sofern sie die Karriereleiter noch ein Stück weit nach oben gehen wollen.
„Erfahrene Juristen bezeugen, dass es vor Gericht von Vorteil sein kann, wenn man im Recht ist“, meinte der britische Schauspieler und Autor Graham Chapman. Es kann von Vorteil sein, es muss aber nicht, manchmal ist es auch schädlich. „Es hilft nichts“, so sagte einmal der Kabarettist Dieter Hildebrandt, „das Recht auf seiner Seite zu haben. Man muss auch mit der Justiz rechnen.“
Und diese Rechnung geht nicht immer auf.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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