Von Mario Martin
Die Impfpflicht im Gesundheitswesen ist seit dem 10. Dezember 2021 beschlossene Sache. Damals stimmten im Bundestag 571 Abgeordnete für die Einführung. Mit „Nein“ votierten 80 Abgeordnete, 38 enthielten sich.
Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes sieht die Einführung der Impfpflicht im Gesundheitswesen ab dem 15. März 2022 vor. Ab diesem Tag sind die Einrichtungen dazu verpflichtet, den Gesundheitsämtern die Namen der Mitarbeiter zu übermitteln, die nicht den geforderten Impf- bzw. Genesenenstatus besitzen.
Die Gesundheitsämter müssen dann individuell entscheiden, ob und wem ein Berufsverbot ausgesprochen wird.
Nun ist so eine Impfpflicht leicht beschlossen. Die Umsetzung steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Immer mehr Landkreise melden Bedenken bei den Landesregierungen an.
Altgedienter Feuerwehrmann schlägt Alarm
Warum diese Bedenken bestehen, wollen wir hier mit einem Blick auf die Hamburger Feuerwehr noch einmal detaillierter beleuchten. Von dort aus erreichte uns der Hilferuf eines bereits seit 12 Jahren verbeamteten Feuerwehrmannes.
Auch Feuerwehrleute und Rettungskräfte sind von der Einführung der Impfpflicht im Gesundheitssektor betroffen.
Er und seine Kollegen bitten darum, auf die prekäre Lage der Hamburger Feuerwehr aufmerksam zu machen, da in den großen Medien niemand bereit wäre, über die Situation zu berichten.
10 Prozent der Einsatzkräfte werden ausfallen
Auf eigenen Wunsch nennen wir den Feuerwehrmann Paul. Der wohl gängigste Name bei den Hamburger Feuerwehrleuten.
Wie Paul geht es in Hamburg zahlreichen Feuerwehrleuten, die inzwischen oftmals auch untereinander organisiert sind. Laut offiziellen Angaben sollen derzeit 200 bis 300 Feuerwehrleute und Sanitäter nicht geimpft und von der Impfpflicht bedroht sein.
Der Feuerwehrmann ist in großer Sorge. Würde die Personaldecke derart ausgedünnt, drohe dem Rettungssystem in Hamburg der Kollaps. In Hamburg sind derzeit etwa 2.500 Feuerwehrleute im Einsatz, die in drei Wachabteilungen auf inzwischen 19 Wachen ihren Dienst verrichten.
Sollte die Impfpflicht durchgesetzt werden, würden also rund 10 Prozent der Hamburger Feuerwehr- und Rettungskräfte ausfallen, wenn den ungeimpften Feuerwehrleuten durch das Gesundheitsamt tatsächlich ein Betätigungsverbot ausgesprochen wird.
Notfallsanitäter besonders betroffen
Viele der betroffenen Einsatzkräfte sind Notfallsanitäter, die für den Rettungseinsatz unerlässlich sind, da sie den Einsatz im Rettungswagen leiten. Ohne Notfallsanitäter kann der Rettungswagen nicht fahren.
Die Notfallsanitäter sind die rechte Hand des Notarztes, gibt Paul zu bedenken. Sie sind die am besten ausgebildeten Kräfte im Rettungsdienst der Hansestadt und berechtigt, selbst medizinische Entscheidungen zu treffen. Damit haben sie ähnliche Kompetenzen wie ein Notarzt.
Bereits vor Corona hätte bei der Feuerwehr stets ein Mangel an Notfallsanitätern bestanden, den die Verwaltung nicht beheben konnte (oder wollte). Seit dem am 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters, hätte es in Hamburg einen chronischen Mangel an Rettungspersonal gegeben.
Gerade ältere Semester hätten damals von der Stadt keine Anreize erhalten, die Weiterbildung durchzuführen. Im Gegenteil: Zulagen wie das Leichengeld und andere Boni wurden gestrichen. Diese Kräfte fehlen nun an allen Ecken und Enden.
Künstliche Zuspitzung durch Impfpflicht
Nun wird die Situation also weiter zugespitzt, weil man gerade den Menschen, die vielleicht den besten Einblick in das tägliche Pandemiegeschehen haben, verbietet, ihrer Arbeit nachzugehen und Menschen zu retten.
Paul schätzt die Anzahl der Notfallsanitäter auf mindestens 50 Prozent unter den 200 bis 300 ungeimpften Einsatzkräften.
Würden diese ungeimpften Kollegen wegfallen, drohe das derzeit im Dienst angewandte Drei-Wochen-Modell zusammenzubrechen, befürchtet der Feuerwehrmann. Die übrig gebliebenen Einsatzkräfte müssten dann womöglich jeden zweiten Tag eine 24-Stunden-Schicht leisten, um den Betrieb zu sichern.
Derzeit arbeiten die Einsatzkräfte in der Woche zwei bis drei Schichten, also 48 bis 72 Stunden. Die Führung spiele mit dem Gedanken, die Anzahl der Wachabteilungen von drei auf zwei zu reduzieren, wie es schon während des G-20 Gipfels in Hamburg praktiziert wurde. Dies würde bedeuten, die übrigen Kollegen müssten den Wegfall der Wache kompensieren. Einsätze jeden zweiten Tag wären dann nicht mehr auszuschließen.
Dieser Arbeitsrhythmus könnte die Kollegen schnell an Belastungsgrenze führen, fürchtet Paul. Dies könne dann wiederum zu einem höheren Krankenstand führen und die Personalsituation noch weiter belasten.
Dabei wäre es bereits jetzt oft nicht machbar, beispielsweise ein Mittagessen einzunehmen. Im Durchschnitt fahren die vier Wagen, die auf Pauls Wache im Einsatz sind, 40 Einsätze in 12 Stunden; also 8 bis 10 Einsätze pro Wagen. Da bliebe für Mittagessen schlichtweg oft keine Zeit mehr.
Von der Führung im Stich gelassen
Nun droht den ungeimpften Kollegen die Suspendierung. Unbezahlter Urlaub wäre die wahrscheinliche Folge, falls sich Einsatzkräfte weiterhin der Impfung verweigern.
Vom Führungsdienst der Feuerwehr und vom Personalrat hätte man keine Hilfe zu erwarten. Paul berichtet von Schikanen und Gängelung seitens der Führung, die es den betroffenen Kollegen besonders schwer mache.
Man erwarte von der Politik, sich mit Oberbranddirektor Schwarz an einen Tisch zu setzen, um die Bedenken der Feuerwehrleute verstehen zu können. Das drohende Loch in der Personaldecke wird zu einem gravierenden Problem, dessen Konsequenzen der Politik jetzt klargemacht werden müssen.
In einem am 27. Januar vom Oberbranddirektor im Intranet der Feuerwehr veröffentlichten Video spricht Schwarz das Problem an. Man wisse bisher nur, dass ungeimpfte Kollegen nach dem Inkrafttreten der Impfpflicht für die Einsatzkräfte möglicherweise dem Gesundheitsamt Mitte zu melden wären. Was danach passieren soll, wäre an dieser Stelle noch unklar. Täglich sei man in Abstimmungen mit dem Krisenstab der Innenbehörde, mit der Sozialbehörde und den Gesundheitsämtern der Stadt im Kontakt, um dort definitive Aussagen zu erhalten.
Das klingt weniger ermutigend und wirkt ratlos. Schwarz erwähnt auch, man versuche die komplexen Zusammenhänge zu verstehen und sei stets bemüht. Hier klingt ein Hauch von Unverständnis für die Maßnahmen durch.
Noch sechs Wochen sind es bis zum Inkrafttreten der Regelung. Noch immer gibt es keine klaren Vorgaben hinsichtlich der Durchführung.
Moralische Erpressung
Die Kollegen und er seien zu den Einsatzkräften gegangen, um Menschenleben zu retten, erklärt Paul. Damit gehe ein starkes Berufsethos und ein Pflichtbewusstsein anderen Menschen gegenüber einher. Die befürchtete Gefährdung der medizinischen Versorgungssicherheit, sei ein Druckmittel, mit welchem die betroffenen Kollegen über den Appell an die Solidarität erpresst würden.
Hier wird also mit dem Verantwortungsgefühl der Menschen gespielt, um sie gefügig zu machen.
Wir können davon ausgehen, dass in vielen Gesundheitseinrichtungen in Deutschland derzeit eine ähnliche Ratlosigkeit herrscht, wie es bei Teilen der Hamburger Feuerwehr der Fall ist.
Die drohende Ungewissheit, was ab dem 15. März passiert, ist dabei nicht nur für die betroffenen Kräfte unerträglich. Die rettungsbedürftigen Bürger tragen den anderen Teil der Last. Lange Anfahrtswege bedeuten eine spätere Versorgung in Notsituationen, wenn Wachen ungenügend besetzt sind. Die auf die kritische Infrastruktur der medizinischen Versorgung künstlich aufgebaute Spannung wirkt angesichts der relativen Harmlosigkeit des derzeit kursierenden Virus wie ein Akt der Sabotage.
Hoffnung macht zumindest die Situation in Großbritannien. Dort wurde am 30. Januar von Regierungsseite verkündet, die Impfpflicht für das Pflegepersonal zurückzunehmen.
Sehen wir auch bald in Deutschland das große Zurückrudern? Rekordleistungen könnten analog zu den am Freitag startenden Olympischen Spielen erbracht werden. Die Goldmedaille ist allerdings schon weg.
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Mario Martin ist Ökonom und arbeitet als Software-Projektmanager in Berlin.
Bild: ShutterstockText: mm