Von Kai Rebmann
Dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch vor den billigsten Taschenspielertricks nicht zurückschreckte, um die Impfpflicht doch noch durch den Bundestag zu bringen, zeigte der Versuch, die Reihenfolge zu ändern, in der über die verschiedenen Anträge abgestimmt werden sollte. Entgegen der seit Jahrzehnten in den Parlamenten auf allen politischen Ebenen üblichen Praxis, sollte über den weitestgehenden Antrag (Impfpflicht ab 60) zuletzt abgestimmt werden, um so dank einiger unentschlossener Abgeordneter vielleicht doch noch eine Mehrheit zusammenkratzen zu können. Wie überflüssig eine Impfpflicht ab 60 oder einer beliebigen anderen Altersgrenze in Wirklichkeit ist, zeigen indes die Zahlen aus dem aktuellen COVIMO-Report, der vom Robert-Koch-Institut (RKI) am 14. April 2022 veröffentlicht wurde. Sowohl der lange Zeitraum, der zwischen der Erhebung (10. bis 27. Januar 2022) und der Veröffentlichung dieser Daten liegt, als auch – und vor allem – die Aussage dieser Daten, nähren den Verdacht, dass das Bundesgesundheitsministerium und das weisungsgebundene RKI diese Daten vor der Abstimmung zur Impfpflicht in Deutschland bewusst zurückgehalten haben.
COVIMO steht für „COVID- 19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland“. Der Sinn und Zweck dieser COVIMO-Reports wird vom RKI wie folgt zusammengefasst: „Seit Januar 2021 wird vom Robert Koch-Institut ein Monitoring zu COVID-19 Impfquoten sowie zur COVID-19 Impfbereitschaft und -akzeptanz mittels telefonischer Befragungen in Deutschland durchgeführt. […] COVIMO eignet sich als Surveystudie unter anderem dazu, Impfquotenschätzungen für Bevölkerungsgruppen vorzunehmen, die aus der offiziellen Statistik nicht hervorgehen. In keiner anderen Erhebung bundesweit werden Untergruppen so systematisch und zu verschiedenen Zeitpunkten dargestellt.“ Der am 14. April 2022 veröffentlichte COVIMO-Report ist der insgesamt zehnte Bericht dieser Art.
Warum wurde der COVIMO-Report 10 den Abgeordneten des Bundestags vorenthalten?
Bei seinen neun Vorgängern lagen zwischen dem Ende des Erhebungszeitraums der Daten und ihrer Veröffentlichung höchstens 49 Tage (COVIMO-Report 7), meist verging jedoch weniger als ein Monat, in den meisten Fällen waren es sogar nur zwei bis drei Wochen. Der aktuelle COVIMO-Report 10 dagegen wurde ganze 77 Tage nach Ende des Erhebungszeitraums veröffentlicht. Die darin enthaltenen Daten über die „Impfquotenschätzungen für Bevölkerungsgruppen“ waren den Abgeordneten des Bundestags bei der Abstimmung über die Impfpflicht also nicht bekannt, obwohl sie dem RKI und damit auch Karl Lauterbach vorgelegen haben müssen. Wurde der COVIMO-Report 10 also ganz bewusst zurückgehalten, um den Gegnern einer wie auch immer gearteten Impfpflicht keine neuen Argumente zu liefern?
Eine rationale Erklärung für diese außergewöhnlich lange Zeitspanne zwischen Erhebung und Veröffentlichung der Daten des COVIMO-Reports erschließt sich nicht. So weisen die Autoren der Studie ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den 1.005 Teilnehmern ausschließlich um deutschsprachige Personen gehandelt habe und in der vorherigen COVIMO-Erhebung ein Teil der Interviews auf Russisch, Polnisch, Arabisch, Türkisch und Englisch durchgeführt worden sei. Trotz des damit verbundenen Mehraufwands, etwa für die Übersetzungen oder die Einteilung der Befragten nach Migrationshintergrund und/oder Herkunftsländern, wurde dieser vorherige COVIMO-Report 47 Tage nach Ende des Erhebungszeitraums veröffentlicht. Der aktuelle COVIMO-Report hat einen Umfang von gerade neun Seiten und scheint auch keine sonderlich komplexen Fragestellungen zu enthalten.
Sowohl Karl Lauterbach als auch der ihm unterstellte RKI-Chef Lothar Wieler sind eine plausible Erklärung für das Zurückhalten dieser brisanten Daten bisher schuldig geblieben. Lauterbach müssen diese Daten bereits vor der Abstimmung über die Impfpflicht im Bundestag bekannt gewesen sein. Wenn dem so war, wäre das zu anderen Zeiten ein Grund für einen sofortigen Rücktritt als Bundesgesundheitsminister gewesen. Und wenn ihm im April Daten aus einer im Januar durchgeführten Erhebung des RKI nicht bekannt waren, dann wäre das ein deutliches Zeichen dafür, dass Lauterbach sein Ministerium und die ihm unterstellten Behörden nicht im Griff hat. Auch dann wäre ein Rücktritt die einzig logische Konsequenz.
Impfquote in Deutschland viel höher als angenommen
Die tatsächliche Impfquote in Deutschland ist nach wie vor unbekannt. Klar scheint nur zu sein, dass sowohl Karl Lauterbach als auch das RKI ein Interesse daran haben, die offiziell veröffentlichte Quote so niedrig wie möglich zu halten. Laut Impfdashboard (Stand: 22.4.22, 9:08 Uhr) waren in Deutschland zum 21. April 2022 76,1 Prozent der Bevölkerung „grundimmunisiert“ und 59,2 Prozent haben eine Auffrischungsimpfung erhalten. Diese nach Ansicht von Lauterbach und seinen Mitstreitern viel zu niedrige Quote war stets eines der Hauptargumente für eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland.
Das Ergebnis des aktuellen COVIMO-Reports hat es in sich. Demnach liegt die Impfquote in Deutschland in der Altersgruppe ab 60 Jahren bei 95,8 Prozent. In der Altersgruppe, um die es bei der Debatte um die Impfpflicht am Schluss noch gegangen war, sind also 19 von 20 Personen geimpft – wohlgemerkt mit Stand vom 27.1.2022. Wäre diese hohe Impfquote in der betreffenden Altersgruppe den Abgeordneten des Bundestags vor der Abstimmung über die Impfpflicht ab 60 bekannt gewesen, hätten wohl nur noch die härtesten Impf-Apologeten, denen es in der dazugehörigen Debatte aber gut erkennbar schon lange nicht mehr um evidenzbasierte Fakten gegangen war, dafür stimmen können.
Aber auch die im Rahmen der Studie ermittelten Impfquoten für die anderen Altersgruppen legen eine massive Untererfassung bei den vom RKI veröffentlichten offiziellen Zahlen nahe. Laut COVIMO-Report sind in der Altersgruppe 40 bis 59 Jahre 94,4 Prozent der Befragten geimpft, in der Altersgruppe 18 bis 39 Jahre sind es immer noch 86,1 Prozent. In der arbeitenden und deutschsprachigen Bevölkerung ab 18 Jahren liegt die Impfquote der Studie zufolge bei deutlich über 90 Prozent. Beim medizinischen Personal gaben 96,9 Prozent an, mindestens einmal geimpft zu sein, bei den anderen Berufsgruppen waren es 91,1 Prozent.
COVIMO-Report 10 noch mit einigen weiteren Besonderheiten
Mancher Studienteilnehmer wird sich bei der Befragung durch das RKI womöglich an seine Schulzeit erinnert gefühlt haben, als der Klassenlehrer mit dem unangekündigten Vokabeltest um die Ecke kam. Den Teilnehmern wurden sogenannte „Wissensfragen zur Impfung“ gestellt und wehe, es wurde eine „falsche“ Antwort gegeben – setzen, sechs! Alle „Wissensitems“ wurden zu einem „Wissensscore“ (ohne Anglizismen scheint es im 21. Jahrhundert nicht mehr zu gehen) verrechnet, der für die Teilnehmer zu einer Gesamtpunktzahl zwischen 0 (alle Fragen „falsch“ oder „unsicher“ beantwortet) und 10 (alle Fragen „richtig“ beantwortet) führte. Bei den folgenden Aussagen legten die Teilnehmer das größte „Falschwissen“ bzw. „Unsicherheit“ an den Tag:
- Mit einem Antikörpertest kann man überprüfen, ob man noch ausreichend gegen COVID-19 geschützt ist.
- Auch mehrere Jahre nach der COVID-19-Impfung könnten plötzlich noch Langzeitwirkungen der Impfung auftreten. (Wer soll das „wissen“ können?)
- Die COVID-19-Impfung verursacht Allergien.
- Die COVID-19-Impfung ist auch bei Personen mit Kinderwunsch sicher.
- Die COVID-19-Impfung enthält Chemikalien in giftigen Dosierungen.
- Die COVID-19-Impfung kann die menschliche DNA verändern.
Man braucht wahrlich nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, welche Antworten das RKI von den Befragten erwartete. Im Durchschnitt lag die erreichte Punktzahl bei 5,5. Die Schüler, äh Teilnehmer, konnten also etwas mehr als die Hälfte der Fragen „richtig“ beantworten.
Nicht zuletzt nahm sich das RKI auch der Ungeimpften an und wollte unter anderem wissen, wie es um die Impfbereitschaft in der Gruppe dieser ewig Unverbesserlichen bestellt ist, die in der deutschsprachigen Bevölkerung der Studie zufolge bei einer Größenordnung von 7,7 Prozent liegt. Laut COVIMO-Report sind 12,7 Prozent der Ungeimpften „auf jeden Fall“ bereit, sich mit einem mRNA-/Vektor-basierten Impfstoff impfen zu lassen, weitere 5,6 Prozent wollen sich „eher“ impfen lassen. Mit Nuvaxovid (Novavax) wollen sich der Befragung zufolge 5,8 Prozent der Ungeimpften „auf jeden Fall“ und weitere 12,1 Prozent „eher“ impfen lassen. Der Anteil der Unentschlossenen liegt bei 7,7 Prozent (mRNA/Vektor) bzw. 33,7 Prozent (Novavax). Das lässt die Autoren der Studie zu dem Schluss kommen, „dass ein Angebot des Impfstoffs alleine nicht reichen wird, sondern Anstrengung unternommen werden muss, um diese unentschlossenen Personen zu erreichen.“
Diese „Anstrengung“ muss in Wahrheit wohl vor allem deshalb unternommen werden, um bis zu 60 Millionen Impfdosen im Wert von über einer Milliarde Euro zu retten, denen in den kommenden Wochen und Monaten der Verfall droht. Angesichts der Tatsache, dass in dieser Woche in Deutschland kaum noch mehr als 20.000 Impfungen pro Tag verabreicht worden sind und es auch auf internationaler Ebene praktisch keine Abnehmer mehr für die in blinder Kaufwut beschafften Impfstoffe gibt, wird der politische Druck auf den hierfür verantwortlichen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch in dieser Hinsicht weiter zunehmen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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