Impfquote viel höher – Zwingend Rückkehr zur Normalität Bundesregierung und RKI: Wieder Schlamperei mit Zahlen?

Von Alexander Wallasch

Schon vor Wochen gab es Berichte, wonach es sich bei den offiziell bekanntgegebenen Impfquoten des RKI um viel zu geringe Zahlen handeln könnte.

Und gestern kam es dann endlich auch offiziell von der Bundesregierung bzw. vom Gesundheitsminister: Nämlich das Eingeständnis, dass man bisher mit zu niedrigen Impfzahlen operiert hätte, wie Jens Spahn und das RKI vermelden mussten. Wie es die beiden schafften, da nicht kleinlaut zu werden, darf als nächstes großes Wunder gelten.

Jens Spahn twitterte gleich in Serie:

Die #Impfkampagne ist noch erfolgreicher, als gedacht. Das @rki_de geht davon aus, dass bis zu 5 % mehr Menschen geimpft sind, als bisher angenommen. Das gibt uns mehr Sicherheit für Herbst & Winter.

Die Diskrepanz zwischen gemeldeten #Impfungen und dem, was das @rki_de nun festgestellt hat, ergibt sich dadurch, dass manche Impfungen nicht gemeldet wurden. Wir haben daher das @rki_de gebeten, diese Diskrepanz zu validieren und messbarer zu machen.

Diese höhere #Impfquote macht es aus heutiger Sicht und ohne das Auftreten neuer #Varianten möglich, dass wir dank der bestehenden Maßnahmen – #3G in Innenräumen, #Masken in Bussen und Bahnen – ohne weitere Beschränkungen gut durch Herbst & Winter kommen.

Corona-Maßnahmen trotz hoher Impfquote?

Aber was hier als Erfolg gefeiert wird, ist eigentlich ein Desaster: Eine zu niedrige Impfquote wurde immer wieder als Argument dafür genommen, Corona-Maßnahmen aufrechtzuerhalten bzw. neue Maßnahmen zu beschließen. Mit dem Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaft und die Gemütslage der Menschen massiv geschädigt wird.

So forderte Karl Lauterbach (SPD) quasi als inoffizieller Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums gerade noch, die Maskenpflicht dürfe nicht fallen, nur um Querdenkern „ein politisches Signal zu geben“. Aber was für ein Unsinn ist das, eine ganze Bevölkerung aus politischen Motiven quasi in Geiselhaft zu nehmen, um eine Bewegung zu diffamieren, die zum ernsthaften Mitbewerber für die Altpartien hätte werden können?

Christian Drosten beispielsweise meldete noch Anfang September, dass die Impfquote viel zu niedrig sei, um gelassen in den Herbst zu gehen: Für einen Herbst ohne erneute Kontaktbeschränkungen würde die derzeitige Impfquote in Deutschland nicht ausreichen, sagte der Berater der Bundesregierung und Chef-Virologe der Charité in Berlin.

Impfquote bei bis zu 84 Prozent

Alles Schnee von gestern, die gezielte Beunruhigung der Bevölkerung im Rahmen der staatlichen Impfkampagne wird jetzt wieder ad acta gelegt: Das Robert Koch-Institut meldet, dass in Deutschland bis zu 84 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft sind und bis zu 80 Prozent bereits die zweite Dosis erhalten haben.

In Zahlen sind das dann etwa fünf Prozentpunkte mehr, als die Statistiken des RKI bisher behaupteten.

Aber das ist doch skandalös, wenn einige Medien noch im Sommer mutmaßten, dass die Zahlen nicht stimmen können, und das RKI diese Unstimmigkeiten jetzt nach der Bundestagswahl eingesteht und ihre Zahlen eben nachbessert.

Und da ist noch nicht einmal mitgedacht, dass Kritiker Sinn und auch Wirksamkeit der Impfungen generell anzweifeln.

Bei allen Irrtümern und Nachbesserungen des RKI muss der Bürger zudem aufpassen, nicht versehentlich auf den Zug aufzuspringen, den das RKI und der Gesundheitsminister da auf die Strecke gebracht haben, und der ja erzählen soll, dass die Impfkampagne besonders erfolgreich war.

Der NDR zitiert aus einem aktuellen Bericht des Robert Koch-Institutes, dass man es dort für möglich hält, „dass die offizielle Quote unterschätzt werde, da nur etwa die Hälfte der Betriebsärztinnen und -ärzte die Impfungen über eine Web-Anwendung melde“. Auch sei davon auszugehen, dass Ärztinnen und Ärzte im Praxisalltag nicht alle Impfungen melden.

Diskrepanzen zur „Covimo-Studie“

Das Robert Koch-Institut gibt auch regelmäßig Umfragen für die so genannte „Covimo-Studie“ in Auftrag. Hier werden seit Januar 2021 alle drei bis vier Wochen etwa eintausend Personen aus der deutschsprachigen Bevölkerung ab 18 Jahren per Telefon befragt. Neueste Auswertung dieser Befragung: Die Impfquote soll sogar noch viel höher sein.

Zum 18. August betrug die Differenz zwischen Umfrage und offiziellen Zahlen 13 Prozentpunkte bei den mindestens einmal Geimpften und 12 Prozentpunkte bei den vollständig Geimpften.

Schaut man sich diese Befragungsergebnisse genauer an, dann lagen die Erstimpfungen bei den 18- bis 59-Jährigen sogar 20 Prozentpunkte höher im Vergleich zu den offiziellen Zahlen.

Aktuell soll die Impfquote jetzt irgendwo zwischen den von der RKI-Umfrage berechneten Zahlen liegen und dem offiziellen Meldeweg (Meldungen im Digitalen Impfquoten-Monitoring).

Johnson & Johnson nicht erfasst

Was Nora Schmid-Küpke berichtet – sie ist beim RKI für den Bericht zuständig – kommt einem Offenbarungseid nahe: Impfungen mit Johnson & Johnson könnten nicht berücksichtigt worden sein, da hier das Alter nicht erfasst würde.

Warum? Weil es bei diesem Impfstoff keine Altersbeschränkungen für bestimmte Gruppen gibt? Und weiter heißt es da: Betriebsärztinnen und -ärzte würden vorrangig Personen zwischen 18 und 59 Jahren impfen (Weil Jüngere in der Schule sind und Ältere in Rente?). Und dann die Schlussfolgerung des RKI:

Wenn diese Betriebsärzte nicht melden würden, würde das schwerer ins Gewicht fallen, als bei den über 60-Jährigen. Aber warum sollten gerade Betriebsärzte schlampig oder gar schlampiger melden als andere? Die Frage bleibt unbeantwortet.

Auch was jetzt auf dem Nebengleis der Auswertung der Umfragen durch des RKI bekannt wird, ist aufschlussreich: So wären die teilweise um zwanzig Prozentpunkte höheren Angaben so zu begründen: Telefonische Befragungen würden mutmaßlich eher von Geimpften beantwortet werden.

Noch interessanter ist die Mutmaßung des RKI, dass man mit den deutschsprachigen Interviews nur die deutschsprachige Bevölkerung erreicht hätte. Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund mit nicht hinreichenden Deutschkenntnissen sind also nach Interpretation der Umfrage weniger oft geimpft?

Neu ist das ja alles nicht: Im August hatte das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap bereits große Abweichungen zwischen Umfrageergebnissen und offiziellen Zahlen festgestellt: Nämlich eine Impfquote von 75 Prozent in der Gruppe der 18- bis 59-Jährigen, die damit 16 Prozentpunkte über der offiziell erfassten Impfquote lag – weil einige Migranten keine Fragen auf Deutsch beantworten können?

Die Schlussfolgerung des NDR geht dann zuletzt so: „Der aktuelle RKI-Bericht bestätigt also einmal mehr, dass die Impfquoten in Deutschland höher sind, als es die offiziellen Zahlen vermuten lassen. Die offene Frage ist nur, wie groß diese Abweichung tatsächlich ist.“

Die Erkenntnis kommt spät. Der Gesundheitsminister und der Chef des RKI hatten aber schon am Mittwoch ein neues Fass aufgemacht und die Grippe zum nächsten Ersatzschreckensgespenst erklärt: Die Corona-Maßnahmen haben also dafür gesorgt, dass die Grippe besonders gefährlich wird?

Na klar, der negative Domino-Effekt liegt nun offen da und wird wohl wieder auf einer der nächsten Pressekonferenzen eingestanden. Die Antworten der Bundesregierung und des RKI werden dann wieder mutmaßlich heißen: Impfen, Impfen, Impfen.

Eine fatale Gemengelage ist das und der Eindruck, der sich durch die Pandemie-Lage zieht, wird einmal mehr bestätigt:

Die politische Führung des Landes und ihre wissenschaftlichen Berater hangeln sich von einem Versagen zum nächsten. Währenddessen wird nach und nach ruiniert, was dieses Land so attraktiv machte.

Noch Mitte September, also vor nicht einmal vier Wochen, hieß es aus offiziellen Quellen, weniger als 65 Prozent der Bevölkerung seien geimpft. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appellierte, das müssen mehr werden. Und Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), warnte vor einem „fulminanten Verlauf“ der aktuellen vierten Welle im Herbst, sollte die Impfquote nicht klar steigen.

Jetzt ist sie auf wundersame Weise gestiegen, ohne dass mehr geimpft wurde oder weil schon mehr geimpft wurde – oder was auch immer morgen kommt, was heute schon Quatsch ist, aber noch nicht als solcher offiziell bestätigt wurde.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Shutterstock
Text: wal

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