Hauptsache, Angst machen?

Es sind Worte, die ans Eingemachte gehen: „Angst vor Ansteckung müssen gesunde Menschen nicht haben: Die Angst, dass das ein Killervirus ist und dass viele daran sterben werden, ist völlig überflüssig. (…) Und dieses Virus ist eine vergleichsweise geringe Gefahr.“

Es ist nicht irgendwer, der das sagt. Und auch nicht irgendwo.

Die Aussage stammt von Klaus Püschel.

Der ist Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „Er und sein Team obduzieren seit Beginn der Pandemie die Menschen, die in Hamburg im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sind“, schreibt der öffentlich-rechtliche NDR: „Laut Püschel haben alle Verstorbenen mindestens eine Vorerkrankung gehabt. Allein etwa 80 Prozent der mehr als 140 Untersuchten litten unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Durchschnittsalter der Toten liegt bei 80 Jahren.“Diese Erkenntnis kommt vor allem deshalb so überraschend, weil das Robert-Koch-Institut anfangs von Obduktionen abgeraten hatte, um das rechtsmedizinische Personal vor Ansteckungen zu schützen. Fast zeitgleich mit den Worten des Rechtsmediziners kam gestern eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs im Saarland. Der wies die Landesregierung in Saarbrücken an, die Ausgangsbeschränkungen zu lockern. Und zwar unverzüglich. Die Begründung: Es gebe „aktuell keine belastbaren Gründe für die uneingeschränkte Fortdauer der strengen saarländischen Regelung des Verbots des Verlassens der Wohnung“ mehr. Auch aus anderen Staaten gibt es Nachrichten über eine Lockerung der Maßnahmen.

Püschels Aussage, dass Angst unbegründet ist, wird kaum jemanden kalt lassen. Angst spielt eine entscheidende Rolle in der Corona-Krise, wie der Psychiater und Bestseller-Autor Hans-Joachim Maaz („Das gespaltene Land“) in einem Interview ausführte, das in Kürze auf dieser Seite erscheinen wird: Von Anfang an sei mit der Pandemie sehr viel Verunsicherung bis Panik geschürt worden, so Maaz, im Wesentlichen von Politik und Medien. Die Menschen seien tagtäglich mit wachsenden Infektionszahlen und Sterbezahlen konfrontiert worden. So seien Urängste geweckt worden. Die hätten nicht nur Verständnis für, sondern geradezu Nachfrage nach massiven Maßnahmen geweckt. Das führte auch dazu, dass sich die Menschen auf archaische Weise um ihre Regierenden, also die Anführer, scharten, weil sie in ihnen Retter sehen möchten.

Wenn nun diese Angst wegbricht, hat das unterschiedliche Folgen. Es kann auch zu einem Kippen der Stimmung führen: Denn diejenigen, die heute noch als Retter angesehen wurden, können nun plötzlich negativ betrachtet werden: als Verführer (zu allzu strikten Maßnahmen), als Alarmisten. Aus diesem Grunde ist der Druck auf die Politiker, nicht von heute auf morgen Entwarnung zu geben und damit nackt dazustehen, sicher groß. Ganz abgesehen von möglichen faktischen, also medizinischen Gründen, die gegen so eine Entwarnung stehen mögen.

Makaber wirkt in diesem Zusammenhang, dass in einem internen Corona-Strategiepapier („nur für den Dienstgebrauch“) des Bundesinnenministeriums noch vor kurzem das gezielte Schüren von Urängsten als mögliche Strategie in der Corona-Krise erörtert wurde. „Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden“, heißt es in dem Schriftstück. Und weiter: „Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst.“ (Details siehe hier).

Darf der Staat so etwas? Absichtlich Urängste wecken? Rechtfertigt der angenommene gute Zweck, also mehr Vorsicht, solch drastische Schritte? Und wie weit dürfen Medien dem Staat bei einem solchen Kurs folgen, ohne zu hinterfragen, zu relativieren? Bei der Präsentation der täglichen Corona-Zahlem fällt in den meisten Fernsehsendern und anderen Medien auf, dass vorrangig genau die Zahlen genannt werden, die am meisten Einschüchtern: Die Gesamtzahl der Infizierten etwa, die naturgemäß jeden Tag wächst und immer beeindruckender, also angsteinflößender wird.

So sind aktuell in Deutschland (Stand: 29.4.20, 12 Uhr) 160.059 Corona-Infektionen bekannt. Würde nicht diese Zahl groß als erste genannt, sondern etwa die Zahl der aktuell noch nicht Genesenen, wären es nur 39.659 – gegenüber 42.013 am Vortag, oder 50.662 vor einer Woche. Die Schlagzeile könnte also auch sein: Zahl der Genesenen steigt deutlich. Oder, noch objektiver: Die Zahl der akut an Corona leidenden, noch nicht genesenen, ist deutlich rückläufig.

Noch aussagekräftiger wäre die Zahl der Neuinfektionen. Gegenüber gestern waren es etwa 628. Mitte März lagen diese Zahlen weitweise rund zehnfach höher, wie etwa „Statista“ auf seiner Website ausführt:

Die Tagesschau bringt zwar inzwischen auch die Zahl der Neuinfektionen. Aber keinerlei Vergleichszahlen. So wirken diese Zahlen immer noch verhältnismäßig hoch – weil kaum jemand in Erinnerung hat, dass sie vor einigen Wochen noch um ein Vielfaches höher waren.

Bei den Todesfällen nennen die Tagesschau in der ARD und „heute“ im ZDF weiterhin nur die Gesamtzahl (wie auf den Bildern zu sehen, jeweils in den Haupt-Nachrichtensendungen am Abend des 28.4.2020). Eine Vergleichsmöglichkeit bieten sie nicht. Am Dienstag Abend waren das laut ARD 5913, laut ZDF 6161. Das klingt weitaus einschüchternder als die Zahl der seit dem Vortag neu gestorbenen – die bei 163 lag. In den Vorwochen waren sie teilweise um ein Vielfaches höher.

All diese Daten sind im Netz zu finden. Teilweise muss man sie aber sehr explizit suchen, und die Vergleiche selbst in Einzelarbeit anstellen. Solche Statistiken aufgearbeitet, gegenüber gestellt zu finden ist nicht ganz einfach. Und auch in den Medien ist tendenziell – nicht generell – zu beobachten, dass eher die besorgniserregenden Zahlen betont und akzentuiert und positive Entwicklungen eher zweitrangig abgehandelt werden.

Interessant ist vor allem der Kontrast zum Februar und Anfang März: Da hatte man eher den gegenteiligen Eindruck, vor allem bei den öffentlich-rechtlichen: Dass Beschwichtigung angesagt war. Nun werden, vorsichtig ausgedrückt, die Akzente eher so gesetzt, dass die Menschen weiter besorgt bleiben.

Ohne die Angst wäre es wohl für die Politik sehr viel schwieriger, ein Beibehalten der Beschränkungen bzw. eine nur langsame Lockerung zu rechtfertigen. Schlimmer noch: Sie müssten sich viele unangenehme Fragen stellen lassen. Und im Zweifelsfall sogar Fehler eingestehen – in der heutigen Politik für viele wohl der GAU. Auch wenn an ihrer Stelle in ihrer Lage nüchtern betrachtet wohl alle irgend welche Fehler gemacht hätten. Aber auf so eine rationale, milde Beurteilung dürften sie wohl kaum hoffen. Vor allem jetzt, wo der wirtschaftliche Schaden immens ist und viele vor dem Nichts stehen.

Der Umgang mit den Zahlen erinnert ein wenig an einen alten Witz aus Sowjetzeiten, der deutlich macht, wie massiv interpretierbar objektive Zahlen sind: Breschnew und Ronald Reagan vereinbaren aus einer Wodka-Laune heraus ein Wettretten um den Kreml. Reagan siegt mit haushohem Abstand. Am nächsten Tag erscheint die Schlagzeile in der Prawda: „Wettrennen um den Kreml: Breschnew wird zweiter, Reagen nur vorletzter.“


Bilder: Shutterstock, Screenshots Tagesschau/ARD, heute/ZDF, Screenshot/Link „Statista“.


Hier mein aktuelles Wochenbriefing:

Guten Abend aus Berlin,

wo ich immer öfter meinen Augen nicht traue, wie weit die Wahrnehmung von manchen Politikern und die Realität auseinander gehen. Bürgermeister Müller (SPD) führte die Masken-Pflicht in Bussen und Bahnen ein. Gleichzeitig will er das Nicht-Tragen derselben aber nicht ahnden. Das begründete er damit, dass sich die Berliner diszipliniert an die Corona-Regeln halten würden. Ich erlebe fast täglich das Gegenteil, und habe das gerade auch in einer eigenen Geschichte beschrieben.

In anderen Städten ist es offenbar nicht viel anders: Gestern beschrieb der FOCUS, wie an der Isar Normalbetrieb herrscht und die Münchner in Scharen an den Fluss strömen. Vom Hamburger Elbstrand gibt es ähnliche Berichte. In Berlin gab es mehrfach größere Zusammenkünfte von Muslims, bei denen die Polizei nicht einschritt. Das erinnert fast ein wenig an Frankreich, wo in Problemvierteln in den Vorstädten mit hohem Migrantenanteil de facto die Corona-Beschränkungen nicht durchgesetzt werden. Ganz offensichtlich, weil die Regierung Angst hat vor Aufständen.

In Berlin versuchte die Polizei am Montag bei der Beerdigung der Mutter eines Clan-Chefs mit einem Großaufgebot von 250 Mann die Corona-Regeln durchzusetzen. Der Erfolg war Berichten zufolge eher durchwachsen. In der Bild steht in zwei Sätzen, die direkt aufeinander folgen: Eine „Anzeige richte sich gegen einen Trauergast, der vor dem Friedhof im Stadtteil Schöneberg zwei Journalisten bespuckt hat. Und im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sprach Polizeipräsidentin Barbara Slowik von einer ruhigen und verhaltenen Atmosphäre bei der Beisetzung.“ 

Faszinierend – das Bespucken von Journalisten hindert in Zeiten von Corona Politiker und die Polizeichefin nicht, zu so einem Urteil zu kommen. Für mich ist das ein Symbol für die Schizophrenie im Umgang mit dem Virus. Auf der einen Seite gibt es große Mehrheiten für den Lockdown in den Umfragen – und andererseits verhalten sich viele so, als habe es ihn nie gegeben. Motto – Lockdown ja, aber nur für die anderen?

Aber um auf solche Widersprüche aufmerksam zu machen, braucht man heute schon wieder Mut. Ein tiefer Graben durchzieht unser Land, bis hinein ins Private. „Im persönlichen Umfeld erschüttert die Schärfe der Auseinandersetzung: Es geht nicht mehr um unterschiedliche Meinungen, es geht um Glaube oder Häresie„, schreibt Susanne Gaschke in der Welt: „Wer sich über die widersprüchlichen Botschaften des Robert-Koch-Instituts irritiert zeigt oder Fragen zu willkürlich erscheinenden Maßnahmen der Ordnungsmacht stellt, entlarvt sich als Ungläubiger. Höchstwahrscheinlich will er alte Leute umbringen, zugunsten von Wirtschaftswachstum oder Party-Hedonismus.

Ich bin kein Virologe, und ich kann wenig über das Virus sagen. Wenn man sich allerdings ansieht, wie oft sich in den vergangenen Wochen die Virologen geirrt haben, dann bekommt man Zweifel, ob es Sinn macht, an ihre Worte zu glauben, als seien sie aus Stein gemeißelt: Erst waren Schutzmasken aus Stoff in ihren Augen sinnlos, jetzt sind sie sinnvoll. Das Gleiche bei Schulschließungen, Grenzschließungen, Obduktion von Toten, etc.. Über den Ansteckungsweg gibt es bis heute keinen Konsens, ebenso bei den meisten anderen Fragen. Der Umgang mit dem Virus gleicht einem Blindflug.

Daraus kann man keinen Vorwurf an die Wissenschaftler und Politiker stricken. Solange sie nicht versuchen, uns den Eindruck zu vermitteln, sie hätten Gewissheiten. Eine  eingebildete Gewissheit herrscht aber leider auch bei vielen Regierten vor. Und wehe, man behelligt die mit Zweifeln! Schon für dezente Hinweise auf das schwedische Modell, wie ich sie mehrfach machte, muss man massive Aggression einstecken. Allein schon dafür, dass man Fragen stellt.

Dabei finde ich: Sich das Modell in dem skandinavischen Land anzusehen, ist nicht nur legitim – es ist zwingend. Die Regierung in Stockholm setzt auf Freiwilligkeit. Restaurants und Schulen sind weiter geöffnet. Die Corona-Sterblichkeit ist höher als in den Nachbarländern. Das wiegt schwer. Sie ist allerdings niedriger als etwa in Belgien, vergleichbar mit der Schweiz und nicht wesentlich höher als in Bayern.

Ich sage es ganz offen: Dass die Emotionen so hoch kochen, wenn man auf Schweden hinweist, hat wohl damit zu tun, dass viele nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung ziehen möchten, dass Deutschland überzogen haben können mit seinen verspäteten, aber drastischen Maßnahmen. Dass sie vielleicht in dieser Schwere gar nicht zwingend waren. Und mit ihnen der verheerende Schaden für die Wirtschaft. Hier sind wir wieder beim Grundproblem der neudeutschen Politik: Dass Wunschvorstellungen schnell vor Realität gehen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Grobe Fehler der Regierung? Das könnte die Menschen beunruhigen…lieber Ruhe und Harmonie!

Ich finde es sehr erfreulich, dass dennoch immer mehr Stimmen laut werden, die einen kritischen Umgang mit der Corona-Politik unserer Regierung fordern. Auf der einen Seite wacht die FDP allmählich auf, auf der anderen Seite auch einige große Medien. Das macht Hoffnung. Vor allem in Zeiten, wo die Lobpreisung für die Regierung in vielen Fernsehsendern und Blättern ein Ausmaß erreicht hat, wie man es aus demokratischen Staaten normalerweise nicht kennt.

Diese Hoffnung ist bitter nötig in Zeiten, in denen Ideologen ihr Süppchen mit der Krise kochen. Etwa die Redaktion von TTT in der ARD: Covid 19 sei nur ein Symptom. Für unsere Lebensweise. Für den neoliberalen Kapitalismus. Der die Welt gegen den Wand fahre: Diese Botschaft war in der gebührenfinanzierten Sendung zu hören. Im Windschatten der Corona-Krise erlebt ein ideologisches Virus eine neue Blüte: das des Sozialismus. Allerortens werden Träume eines Umbaus der Gesellschaft laut, von einer Vermögensabgabe und Enteignungen angefangen bis hin zur Legalisierung illegaler Einwanderer und dem Verbot von privater Krankenversicherung. Die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche erklärte gar im Bundestag, „Verschwörungstheorien und Rassismus fördern die Verbreitung von Viren“. Die Realität ist eher umgekehrt: Das Virus scheint die Verbreitung von Dummheit und Ideologie zu fördern.

Bleibt zu hoffen, dass im Gegenzug auch die Widerstandskräfte wachsen. Ich sehe an dem immer weiter wachsenden Interesse an meiner Seite und den vielen Zuschriften, wie viele Menschen auch und gerade in der Krise ihren kritischen Blick bewahren. Auch das macht Mut und Zuversicht in diesen finsteren Zeiten.

Und dank Ihrem Interesse und dem Zuspruch bin ich sogar privilegiert in diesen Tagen: Morgen wird mir Hans-Joachim Maaz ein Interview geben – Psychiater und Bestseller-Autor, dessen Werke ich alle regelrecht verschlungen habe. Ich bin sehr gespannt, wie er die psychologischen Aspekte der Krise einschätzt – insbesondere die teilweise ans Religiöse erinnernde Anbetung von Merkel, oft in Tateinheit mit Diffamierung kritischer Stimme. Das Interview wird in den nächsten Tagen auf meiner Seite stehen – und vieles anderes mehr. Ich freue mich, wenn Sie reinsehen!

Ich wünsche Ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit, Gesundheit und nochmals Gesundheit

Ihr
Boris Reitschuster

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert