Von Alexander Wallasch
„Die Welt“ schreibt heute früh Folgendes über Elke Heidenreich:
„Was die Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Publizistin bei ‚Markus Lanz‘ in die Debatte einwarf, war scharfzüngig, manche Positionen gingen weit über das hinaus, was im Mitte-Links-Deutschland als sagbar gilt. Eine Wutrede in Talkshow-Häppchen – mit Freiheiten der Beobachterin von der Seitenlinie, die nicht gewählt werden möchte und auch sonst keine Karriere mehr anstrebt. In den Echokammern des Internets eckte sie mit manchem an.“
Klingt das nicht vielversprechend? Unter anderem soll sich die 1943 geborene Elke Heidenreich über Sarah-Lee Heinrich, die neue Sprecherin der Grünen Jugend, aufgeregt haben, es gab in den sozialen Medien so etwas wie einen Shitstorm parallel und nach der Sendung.
Vielversprechend genug jedenfalls, einmal reinzuschauen und aufzuschreiben, worüber sich, wie es die „Welt“ nennt, das „Mitte-Links-Internet“ erregt. Ebenfalls mit in der Sendung waren Jürgen Trittin (Grüne), Florian Klenk, der Chefredakteur der Wochenzeitung „Falter“, und Kai Wegner, der Berliner Landeschef der CDU.
Heidenreich wird mit einem Zitat eingeführt, sie hätte gesagt, sie würde Annalena Baerbock ein Stimmtraining bezahlen. „Wenn die mit den Taliban reden will“, wird sie von Markus Lanz zitiert, „dann wäre es ganz gut, wenn sie das etwas tiefer täte.“
Es startet schon furios mit Heidenreich: Denn als der Berliner CDU-Chef meint, so etwas wie mit Sebastian Kurz wäre in Deutschland nicht möglich, sagt die Literaturkennerin: „Nee, das wäre in Deutschland genauso möglich, dass Umfragen bezahlt werden, dass Images poliert werden mit Geld, das ist doch hier genauso möglich, das ist doch überall möglich.“
Jürgen Trittin weiß zum österreichischen Bundeskanzler Folgendes beizusteuern: „Wir haben ja hier einen großen Fan-Club, der sitzt in der Chefredaktion der Bild-Zeitung.“ Aber die Kollegen von „Bild“ hätten dafür kein Geld bekommen, will Lanz beruhigen. „Das weiß man nicht“, gießt Elke Heidenreich Öl ins Feuer. Sie hat ja das Glück, dass es noch keine Schmähungen alter weißer Frauen gibt. Was zur Frage führt, ob Trittin als Grüner kein alter weißer Mann ist – hebt „grün sein“ dieses diffamierend gemeinte Etikett womöglich auf? Glaubt Trittin das?
„Man kauft sich doch durch Anzeigen Freunde, so geht doch Lobbyismus“, ergänzt Heidenreich. Aber welche Anzeigen soll Kurz bezahlt haben? „Natürlich kann man als Partei auch eine Umfrage in Auftrag geben“, kommt der Berliner Christdemokrat Heidenreich entgegen.
Aber da sind wir noch lange nicht dort angekommen, wo Elke Heidenreich gleich ihr dickstes Süppchen kochen wird. Vom österreichischen Gast will sie aber vorher noch wissen, ob für Sebastian Kurz noch die Unschuldsvermutung gelte.
Das Grundprogramm der CDU sei nur noch Machterhalt, geht es weiter bei der Literatin. Es gäbe einen „Modernisierungswahn“ bei den Christdemokraten. Die würden jetzt „modernen Konservatismus“ wollen, wo doch „Konservatismus“ schon ausreichen würde. Jürgen Trittin strahlt, als säße ihm eine Verbündete gegenüber.
Dabei macht sich Heidenreich gerade auf den Weg, so etwas wie eine Sister von Alice Schwarzer zu werden, die schon lange kein Blatt mehr vor den Mund nimmt in alle Richtungen. „Philipp Amthor, ist das eure neue Jugend?“, fragt sie den CDU-Politiker in der Runde. „Philipp Amthor ist jetzt schon älter als ich und ich bin 80.“ (ist sie nicht, laut Wikipedia fehlen dazu noch zwei Jahre).
Und dann rutscht Heidenreich noch ein bisschen in der Sesselschale herum, bevor sie aus allen Rohren gegen die CDU feuert:
„Wenn die Hälfte der Partei sagt, wir hätten lieber einen Kanzler Söder, dieser ruchlose Mensch, der so intrigant jetzt gerade gehandelt hat, wie kann eine Partei daran immer noch festhalten? Wie will sie wieder Fuß fassen, wenn solche Leute noch das Sagen haben und wenn dem nicht Einhalt geboten wird? Das strotzt nur so vor Intrigen und Boshaftigkeit, was passiert ist.“
Nach fast einer Stunde recht unterhaltsamer Sendezeit kommt Lanz gegenüber Jürgen Trittin auf Sarah-Lee Heinrich zu sprechen. Die neue Sprecherin der Grünen Jugend hatte zuletzt für Empörung gesorgt bzw. hatte die Empörung über sie wiederum für Empörung gesorgt.
Sie hätte sich aber dafür entschuldigt, was sie in jungen Jahren gesagt hätte, meint der alte weiße Mann Jürgen Trittin. Jürgen Trittin spricht von einem ordentlichen „Umgang mit der eigenen Geschichte“ bei Heinrich. Aber wo sind wir da angekommen, wo sich schon eine kaum Zwanzigjährige von ihrem früheren Ich distanzieren muss, als lägen Welten dazwischen und nicht nur vier, fünf Jahre.
Aber Lanz hat ja den Filmschnipsel parat, der gar nicht so alt ist, wo Sarah-Lee Heinrich davon spricht, dass es ihr so auf die Nerven ginge, dass bei Fridays for Future „so viele weiße Bürgies rumlaufen“ und Deutschland hätte so eine „eklig weiße Mehrheitsgesellschaft“.
Der weißhaarige Jürgen Trittin nickt dazu, als wäre alles ok, was er im Einspieler gehört hätte. „Da spricht jemand, die eine Erfahrung hat“, entschuldigt Trittin das auch noch und hat wohl schon vergessen, dass zuvor in der Sendung auch kurz über Anstand geredet wurde.
Hier wäre es zweifellos von Trittin anständiger gewesen, mal zu riskieren, dem grünen Nachwuchs zu widersprechen. Trittin findet es stattdessen unmöglich, dass People of Colour in Deutschland immer noch gefragt werden, wo sie herkämen.
Jemand, der diese Erfahrung hat, dem dürfe mal der Kragen platzen, so Trittin weiter. Der platzt dann allerdings Elke Heidenreich. Und sie kommentiert das Theater um Sarah-Lee Heinrich:
„Sie hat überhaupt keine Sprache, sie kann gar nicht sprechen, haben wir gerade gesehen. Das sind wieder Kinder, die nicht lesen. Das ist diese Generation, von der ich immer wieder merke, wie sprachlos sie ist. Wie unfähig, mit Worten umzugehen. Zweitens: Dass sie so über die Gesellschaft spricht, das ist unbenommen. Drittens, wenn einer aussieht wie sie, dann frage ich natürlich: Wo kommst du her, wo kommen Sie her? Und zwar nicht, um sie zu diskriminieren – alle sind immer sofort diskriminiert und beleidigt –, sondern weil ich sofort sehe, die kommt nicht aus Wanne-Eickel oder Wuppertal, sondern die hat Eltern, die von woanders kommen.“
Und weiter:
„Ich finde das keine diskriminierende Frage, wenn ich einen netten dunkelhäutigen Taxifahrer habe, der perfekt Kölsch spricht und ich sage: Wo kommen sie eigentlich her? Und der sagt (Heidenreich ahmt hier den kölschen Dialekt nach): Meine Eltern sind aus Marokko. Ich finde das kein Problem, weil – man sieht es ja. Das gehört doch zu uns dazu. Ich finde das wunderbar, dass wir so viele Menschen aus anderen Ländern hier haben, die bei uns leben und sich, auch so wie Sarah, engagieren bei den Grünen. Aber dass sie in jungen Jahren einen Tweet unterschrieben hat mit „Heil“, das geht eben gar nicht. (…) Es gibt gewisse Witze, die sind off the records, die gehen eben gar nicht. Das ist auch bei ihr der Fall. Ich habe immer das Gefühl, dass das ein Mädchen ist, dass nicht genug nachdenkt. Das hat überhaupt nichts jetzt mit Migration oder so zu tun.“
Sie sei Sprecherin der Grünen Jugend, kann aber gar nicht sprechen, so Elke Heidenreich. „Sie muss ja erst einmal lernen, richtig zu formulieren. Das macht mich skeptisch, dass man sagt, Hauptsache divers, Hauptsache Migrationshintergrund, Hauptsache Quote.“ Das sei eben der falsche Weg.
Trittin führt noch einmal in die Diskussion ein, dass diese People of Colour in Deutschland leider dauerhaft und immer wieder gefragt würden, wo sie denn eigentlich herkämen. Da würde man sich, so meint es Trittin wohl, ausgegrenzt fühlen. Heidenreich erwidert, das würde sie in Ägypten auch gefragt, wenn sie rumreise.
Das allerdings wäre als Argument sicher erst interessant, wenn sie dort geboren und leben würde als Weiße. Trittin hakt hier aber nicht weiter nach.
„Dass wegen sowas alle schon sofort beleidigt sind, dass man überhaupt niemand mehr irgendetwas fragen darf, das will mir nicht in den Kopf“,
legt Heidenreich noch nach. Der Chef vom „Falter“ versucht das Ganze auch im Sinne von Sarah-Lee Heinrich zu beruhigen, erinnert daran, dass es wohl seltsam sei, bei Lanz das „Heil“ einer 14-Jährigen zu debattieren:
„Wenn eine junge Frau mit Migrationshintergrund vielleicht auf einen Tweet irgendetwas mit „Heil“ antwortet, hat das vielleicht einen ganz anderen Kontext, als wenn das der Anführer der Identitären Bewegung macht.“
Für Florian Klenk ist die Debatte auch Ergebnis eines „Terrors der Transparenz“. Klenk möchte viel lieber den Dialog.
Weg von Sarah-Lee Heinrich und noch schnell hin zum Gendern: „Das Gendern ist für mich völlig unsinnig“, sagt Heidenreich.
„Ich mag nicht sagen: Künstler:innen. (…) Herrje, jeder will unbedingt in jedem Satz mitgenannt und beachtet sein: Eine einbeinige chinesische Taubstumme mit Migrationshintergrund – ich weiß es nicht, was kommt noch alles –, die gerade zum Protestantismus konvertiert ist, fühlt sich dann nicht angesprochen, wenn ich irgendwie über Protestanten rede. Ich werde noch verrückt.“
Für Heidenreich ist diese Welt hysterisch geworden. Und dass sie damit wohl richtig liegt, könnte jetzt auch die hysterische Reaktion auf ihren Auftritt bei Lanz belegen.
Eine lehrreiche Sendung allemal. Und Markus Lanz durchaus wert, eingeschaltet zu werden, öfter noch als diese linkspopulistischen, populäreren Talksendungen von Plasberg, Illner, Will und Maischberger, die in ihrer Unerträglichkeit aber andererseits schon wieder sehenswert geworden sind.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Screenshot ZDF, 12.10.2021Text:wal