Von Daniel Weinmann
Es war ein verspätetes Weihnachtsgeschenk à la bonne heure für all diejenigen, denen es nicht schnell genug gehen kann, wenn es ums Impfen geht. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wurde in Freiburg auch gepiekst, wer noch nicht sprechen, geschweige denn seine Meinung äußern konnte. Der heiß begehrte Impfstoff stand für alle Altersgruppen bereit: Ob für Jugendliche ab 14 Jahren, die sich gegen den Willen ihrer Eltern dafür entschieden hatten oder Booster für unter 18-Jährige. Selbst Kinder unter fünf Jahren wurden bedacht. Das jüngste, ein Mädchen, war erst acht Monate alt.
752 Impftermine waren vorab vereinbart worden, für die die Impf-Fans teils aus der ganzen Republik anreisten. Selbst Nürnberg oder Hannover war manchen nicht zu weit. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dürfte der zweite Weihnachtsfeiertag so zum persönlichen Glückstag geworden sein.
Die Idee hatte der Freiburger Altstadtrat Sebastian Müller. Sekundiert wurde ihm von einem Team um den Baiersbronner Arzt Wolfgang von Meißner, der seinerseits von sechs weiteren Medizinern, zwei versierten Helferinnen sowie von 15 lokalen Freiwilligen unterstützt wurde. Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Daniela Evers wollte sich das Spritzen-Spektakel nicht entgehen lassen.
Kritische Stimmen mussten fernbleiben
Um Impfskeptiker fernzuhalten, wurde die Aktion zwar öffentlich gemacht. Den eigentlichen Ort erfuhren die Impf-Adepten aber erst nach der Anmeldung inklusive Terminzusage. Die Impflinge zeigten sich sehr geduldig. Schließlich schützt man sich laut den Experten der Regierung ja nicht nur selbst, sondern gleich sämtliche Freunde, Bekannte und Verwandte durch den „kleinen Pieks“ – und hat nebenbei zumindest noch die Chance, ein wenig Freiheit zurückzuerhalten. Obwohl keine Extra-Bratwurst oder Pommes mit Ketchup lockten, erstreckte sich die Schlange der Wartenden über geschätzte hundert Meter.
Zu den Ausdauernden zählte auch ein Paar aus dem Schwarzwald, ca. Mitte 30. Eineinhalb Stunden hatten sie bis Freiburg gebraucht. Die junge Mutter trug eine Babyschale, darin ihre acht Monate alte Tochter. „Es ist uns wichtig, dass sie geschützt ist“, wird sie in der „Badischen Zeitung“ zitiert.
Wer weiß, welche Varianten noch kommen und wie diese sich bei Kindern auswirken, fragte sie sich. Und mehr noch: „Was ist mit Long-Covid?“ Schließlich, mag sie räsoniert haben, sei das Baby ja erst acht Monate alt und habe noch ein langes Leben vor sich. Dass es bislang weder eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission, noch valide Studien gibt, die eine Impfung von unter Einjährigen nahelegen, schien sie in ihrer Angst vor dem allmächtigen Virus verdrängt zu haben. Doch damit befand sie sich an jenem zweiten Weihnachtsfeiertag in guter Gesellschaft. Es gab zu diesem Zeitpunkt nämlich auch keine Empfehlungen der STIKO für kleine Menschen unter fünf (U5), den Booster für Zwölf- bis 18-Jährige sowie den zweiten Booster. Zudem fehlt bis heute die Zulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur für diese Vakzine. Als wäre dies nicht genug, ist obendrein die Haftung für mögliche Gesundheitsschäden ungeklärt.
«Bevor der Rest im Müll landet»
Legal war die Aktion trotzdem, denn bei derartigen, sogenannten Off-Label-Impfungen dosieren die Ärzte die Wirkstoffmenge auf Basis der aktuellen Studienlage nach eigenem Gusto. Fragt sich nur, ob die aktuelle Studienlage Impfungen von Kleinstkindern überhaupt rechtfertigt. Eltern, die ihre Kleinen in Freiburg zum Impfen trugen, oblag die Verantwortung einer U5-Impfung größtenteils selbst. Sie erhielten den Termin nur nach ausführlicher Aufklärung und Beratung, sagte von Meißner der „Badischen Zeitung“. Mit den Eltern von 100 der 250 Impflinge dieser Altersgruppe habe er vorab telefoniert. Auch per E-Mail oder vor Ort wusste der Impfarzt die Erziehungsberechtigten zu überzeugen.
Mit den Off-Label-Impfungen hat der Arzt der Baiersbronner Corona-Schwerpunktpraxis schon im April begonnen – im ganz, ganz kleinen Stil natürlich. Blieb in Ampullen ein Rest übrig, der nicht als Dosis für einen Erwachsenen genügte, reichten er und sein Team den Stoff, der die Pandemie beenden soll, via Kanüle an – oder besser: in – ihre eigenen Kinder weiter. „Wir haben nie einer Risikogruppe etwas weggenommen“, gab sich von Meißner regierungsergeben, „aber bevor der Rest im Müll landet“. Seit dem Frühjahr haben er und seine Kollegen mehr als 1.000 Kinder geimpft. Passiert sei nichts, beeilt sich der Mediziner zu entwarnen. Offensichtlich Grund genug für ihn, mit den Off-Label-Impfungen weiterzumachen. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Omikron steht vor der Tür“, lautet sein Credo.
So endet die Weihnachtsgeschichte aus dem besten Deutschland aller Zeiten. Wenn es denn das wirkliche Ende ist. Denn offen bleibt, ob die nun – zumindest laut den Freiburger Impf-Aktionisten – vor Long-Covid geschützten Klein- und Kleinstkinder auch gegen mögliche langfristige Nebenwirkungen immun sind.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Juergen Nowak/Shutterstock I SymbolbildText: dw