Von Kai Rebmann
Das zwischen Chiemsee, Inn und Salzach im Südosten Bayerns gelegene „Chemiedreieck“ gilt als Wirtschaftsmotor und Jobgarant. Doch damit könnte bald Schluss sein! Seit Monaten reiht sich eine Hiobsbotschaft an die nächste, Firmen nehmen Reißaus – oder siedeln sich gar nicht erst an. Unter dem Strich stehen weit über 1.000 Arbeitsplätze und der Ruf einer ganzen Region auf dem Spiel.
Vor gut einem Jahr kündigte der Kunststoffhersteller Dyneon an, sein Werk in Gendorf spätestens im Jahr 2025 zu schließen. Grund: Den dort produzierten Fluorkunststoffen (PFAS) drohen in der EU künftig weitgehende Verbote. Direkt von dieser Entscheidung betroffen sind zwei weitere im „Chemiedreieck“ angesiedelte Großkunden, die unmittelbar von Dyneon abhängig sind. Auch ihnen – und den dort beschäftigten Mitarbeitern – droht das Aus!
‚Hightech-Standort‘ aus der Steinzeit
Als „Teilkompensation“ (O-Ton Bürgermeister Johann Krichenbauer, FW) sollte in Burgkirchen das Großrechenzentrum eines spanischen Unternehmens samt 250 neuer Arbeitsplätze angesiedelt werden. Jetzt wurde jedoch bekannt, dass die Iberer von ihren ursprünglichen Plänen Abstand genommen und dem Chemiedreieck eine Absage erteilt haben.
Grund: Die Gemeinde kann die benötigte Versorgung mit 50 Megawatt (entspricht etwa dem Bedarf einer deutschen Kleinstadt) nicht garantieren. Die „PNP“ zitiert Bürgermeister Krichenbauer: „Weder die TenneT noch das Bayernwerk können den Strombedarf vor dem Jahr 2030 decken.“ So lange soll es dauern, bis eine geplante 380-kV-Leitung verlegt ist.
Dabei war der Standort im Gewerbegebiet Hecketstall nicht zuletzt deshalb ins Auge gefasst worden, weil sich im benachbarten Pirach bereits eines der größten Umspannwerke der Region befindet. Ideale Voraussetzungen also, sollte man zumindest meinen.
Doch stattdessen gibt es die nächste Hiobsbotschaft. Auch eine Firma aus der Schweiz, die neben dem Umspannwerk eine Großspeicheranlage errichten wollte, hat dem Rathaus inzwischen mitgeteilt, dass es doch nicht ins Chemiedreieck, das Krichenbauer als „Hightech-Standort“ anpreist, kommen wird.
Der Bürgermeister dazu: „Sie haben sich auch mit den Firmen ins Benehmen gesetzt, aber mittlerweile auch abgesagt.“ Offenbar war den Eidgenossen signalisiert worden, dass es keine überschüssigen Strommengen zur Speicherung geben werde.
Achselzucken im Wirtschaftsministerium
Bittere Ironie: Keine hundert Kilometer entfernt, steht das im April 2023 auf Betreiben der Bundesregierung ohne Not abgeschaltete Kernkraftwerk Isar 2. Hilfe kann das Chemiedreieck anscheinend aber auch aus München nicht erwarten. Bürgermeister Krichenbauer hat sich eigener Aussage zufolge bereits an seinen Parteifreund Hubert Aiwanger gewandt. Seine Gemeinde habe „extra das bayrische Wirtschaftsministerium eingeschaltet“, aber auch dieses habe das Problem nicht lösen können.
Zum Vergleich: Um die bis zum Frühjahr 2023 von Isar 2 generierten Kapazitäten ersetzen zu können, braucht es weit mehr als 1.000 Windräder. Laut Bundesnetzagentur wurden in Bayern in diesem Jahr (Stand: 19. Oktober 2023) ganze sieben Windräder genehmigt. Das Wirtschaftsministerium teilt mit, dass Mitte 2023 im gesamten Freistaat 1.150 Anlagen mit einer installierten Leistung von rund 2,6 Gigawatt am Netz waren.
München und Berlin werden sich den Schwarzen Peter gegenseitig in die Schuhe schieben, doch fest steht: Die infrastrukturellen Defizite am vermeintlichen „Hightech-Standort“ im Chemiedreieck sind hausgemacht. Eine praktikable Lösung steht praktisch in Sichtweite. Doch stattdessen werden Wirtschaftskraft sowie Reputation einer ganzen Region und – noch schlimmer – hunderte, wenn nicht tausende Arbeitsplätze auf dem Altar grüner Ideologie geopfert.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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