"Ich fühle mich nicht mehr sicher"

Gestern kurz nach Mitternacht, mitten in Saarbrücken: Eine Frau mittleren Alters kommt aus ihrem Haus, mustert mich, kommt dann auf mich zu und fragt: „Entschuldigung, ich muss zur Tankstelle, könnten Sie mich begleiten? Ich fühle mich alleine hier nicht mehr sicher, eine Freundin von mir wurde erst kürzlich vergewaltigt.“ Den ganzen Weg klagt sie mir ihr Leid. Klagt darüber, dass ihre Gegend nicht mehr sicher sei nachts. Dass sie Angst habe. Um sich. Um ihre Töchter. Sie kämpft mir den Tränen. Klagt, dass sie etwa in der Arbeit Angst habe, über diese Ängste zu sprechen.* Nach meinem Vortrag am Abend zuvor, bei dem es eigentlich um Russland ging, klagten viele Menschen genau über dasselbe. Wenn diese Ängste nicht ernst genommen werden, wenn sie die großen Parteien ignorieren oder sogar diffamieren, wird diese Gesellschaft verfranzen, werden die Ränder und die Radikalen immer stärker. Wir müssen die Probleme und die Ängste der Menschen endlich offen benennen. Nur dann sind zu bewältigen, nur dann „schaffen wir das“. Nicht durch Wegsehen, Verdrängen und Verunglimpfen.**

 

PS:
*) Auf Wunsch kann ich die nächtliche Begegnung gerne ausführlich schildern. Die Frau war mit einem Türken verheiratet, ihre eigene Familie bezeichnete sie als multikulturell, in ihrer Arbeit als Küchenchefin, so erzählte sie, arbeite sie auch viel mit Migranten, etwa Flüchtlingen aus Syrien, und habe dabei sehr gute Erfahrungen gemacht. Andererseits habe sie, ihre Freundinnen und ihre Töchter sehr schlechte Erfahrungen gemacht mit aggressiven, frauenverachtenden jungen Männern aus anderen Kulturen, vor denen sie sich jetzt fürchte. Sie findet, diese würden sich so benehmen, als seien Frauen Freiwild, als sei ihnen alles erlaubt und als fürchteten sie keine Konsequenzen.

Ich begleite die Frau, nachdem sie an der Tankstelle ihre Zigaretten gekauft hat, wieder nach Hause. Sie bedankt sich überschwänglich. Ich erzähle ihr, dass ich Journalist bin. Sage, dass ich eigentlich über diese Begegnung etwas schreiben müsste, ob das okay sei für sie. Sie sagt: „Ich bitte Sie darum! Ich will, dass meine Stimme gehört wird! Ich habe nämlich das Gefühl, dass die Ängste von mir, meiner Familie, meinen Freunden nicht ernst genommen werden, vor allem in den Medien. Sie gibt mir Ihre Telefonnummern: Rufen Sie an, ich gebe Ihnen gerne die Nummer von meinen Töchtern und Freundinnen, die können viel erzählen.“

 

**) Ich bin mir bewußt, dass mich einige für diese Erzählung angreifen werden. Wer etwa eine ideologische Weltsicht hat, neigt dazu, wütend zu sein auf diejenigen, die auf widersprechende Fakten aufmerksam machen. Würde ich als Journalist eine solche Begegnung nicht beschreiben und dieser Frau keine Stimme verleihen – ich hätte es nicht verdient, mich Journalist zu nennen. Unsere Aufgabe ist es, solche Dinge beim Namen zu nennen. Auch wenn sie unbequem und strittig sind. Auch wenn man dafür Prügel einfängt – ganz anders als mit dem Gratis-Mut, den heute so viele an den Tag legen und unglaublich stolz darauf sind. Journalismus, der auf das Aussprechen unbequemer, nicht gerne gehörter Aspekte verzichtet, droht zur ideologischen Volkserziehung zu werden. Zum „betreuten Informieren“. Und fördert damit genau das, was angeblich bekämpft werden soll: Das Abwenden von vielen Menschen von Medien und Demokratie.

 

PPS.: Auf facebook löste der Artikel massive Diskussionen aus (nachzuverfolgen hier) – und, wie schon antizipiert, heftige Kritik – man dürfe so etwas nicht schreiben. Hier meine Antwort:

Ich bin wirklich verwundert über diese massive Realitätsflucht. Wer massenhaften Zuzug von Männern in eine Gesellschaft hat, die aus einer Gesellschaft ohne Gewalttabu kommen bzw. durch Kriege und Gewalterfahrungen geprägt sind, kann doch nicht glauben, dass diese keine Folgen hat. Das hat ja noch nicht mal mit Religion, der Einstellung zu Frauen in einer Herkukunftsgesellschaft oder der Nationalität zu tun. Das gleiche Problem hatte Deutschland mit den Kriegs-Heimkehrern nach dem 2. Weltkrieg, Russland hatte es mit den Rückkehrern aus Afghanistan und Tschetschenien, heute teilweise Donbass. Davor einfach die Augen zu verschließen und den Kopf in den Sand zu stecken, mehr noch, diejenigen, die offen auf diese Probleme hinweisen, anzufeinden und zu diffamieren, statt offen über diese Probleme zu reden und nach Gegenstrategien zu suchen, ist der beste Weg zu einer Radikalisierung und ein Förderprogramm für Parteien vom demokratischen Rand. Künftige Historiker werden über diese massive Realitätsflucht, vor allem in großen Teilen von Politik und Medien, lange zu forschen haben. Meine persönliche Meinung ist, dass es an einer Ideologisierung liegt, an einer Herangehensweise, die wesensverwandt ist mit dem Kommunismus – einem unrealistischen Menschenbild, das Fakten ausblendet und Wünschenswertes für Realität hält. Um dieses faktenfremde Weltbild beizubehalten, müssen diejenigen, die auf die Realität hinweisen, abgewertet und diffamiert werden. Je stärker die inneren Zweifel an den Ideologen nagen, umso stärker die Abgrenzung und Aggression gegen alles und vor allem alle, die diese Zweifel nähren.Erstaunlich ist auch das Maß an Subjektivität bzw. Unfähigkeit zum Perspektivenwechsel. Auch Ängste, die man selbst für unbegründet hält, sind ernst zu nehmen, wenn sie massenhaft sind. So sind für viele Russen und auch andere Menschen in anderen Ländern die massiven Ängste der Deutschen etwa vor Atomkraft, vor einem Klimawandel, vor rechtem Mob, früher vor dem Ozonloch und vor dem Waldsterben nicht nachzuvollziehen, ja sie machen sich teilweise darüber lustig. Dennoch sind solche Ängste ein massiver Faktor in der Politik, sie nicht ernst zu nehmen wäre für jeden Politiker gefährlich, und sie müssen ernst genommen werden. Mir sind Menschen nicht suspekt, die sich im Besitz der Wahrheit (und/oder Moral) glauben und ihre eigenen Positionen nicht hinterfragen bzw. Zweifeln unterziehen.

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