„Ich spucke auf die Sanktionen“ Innenansichten aus dem Kreml

Ein Gastbeitrag von Christian Osthold

Am 27. August 2022 hat Dmitrij Medwedjew dem französischen Fernsehsender LCI ein längeres Interview gegeben. Darin erläutert der enge Vertraute Putins und stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats ausführlich die Haltung seiner Regierung im Ukraine-Konflikt – und übt scharfe Kritik an der Politik des Westens.

Als Präsident der Russischen Föderation (2008–2012) hatte Dmitrij Medwedjew lange als liberaler Hoffnungsträger gegolten. Sein galantes Auftreten, aber auch die freundliche Zugewandtheit gegenüber anderen Staatschefs, weckten deutlich mehr Sympathie als das steife und nicht selten humorlose Auftreten Putins. Seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine ist von diesem Esprit allerdings nur noch wenig übrig. Stattdessen ist Medwedjew immer wieder mit radikalen Äußerungen aufgefallen. Im Juni 2022 hatte er beispielsweise damit gedroht, europäische Städte mit Vergeltungsschlägen zu vernichten. Vor einigen Tagen nun hat sich Medwedjew im französischen Fernsehen über den Status quo in der Ukraine geäußert.

Gleich zu Beginn des Interviews mit Darius Rochebin markiert Medwedjew eine rote Linie. So stellt er heraus, dass die Politik Moskaus darauf ausgerichtet sei, den Ausbruch eines Dritten Weltkrieges zu verhindern. Der Angriff auf die Ukraine sei demnach erfolgt, um eine weitere Eskalation des Konflikts auszuschließen. Dabei handele es sich um ein Ziel, das für die russische Regierung höchste Priorität habe. Sollte es jedoch zu einem Angriff auf russisches Territorium wie die Krim kommen, würde dies den Beginn des dritten Weltkriegs bedeuten. In diesem Zusammenhang weist Medwedew darauf hin, dass die erste Schwelle zu einem global eskalierenden Konflikt schon erreicht sei. Hierzu sagt er:

„Die vitalen Interessen Russlands sind bereits bedroht. Aus diesem Grund wird eine spezielle Militäroperation zum Schutz des Donbass, zur Entmilitarisierung der ukrainischen Streitkräfte und zur Durchführung von Entstaatlichungsmaßnahmen durchgeführt. Wenn es keine Bedrohung für die Interessen unseres Landes gäbe, würde es jetzt keine solche Operation geben.“

'Mann ohne Staatserfahrung'

Dass Medwedjew Angriffe auf russisches Staatsgebiet zur Voraussetzung seiner zuvor skizzierten Ausweitung des Krieges erklärt, entspricht der bisherigen Positionierung des Kremls. Seine Verlautbarung ist allerdings insofern unglaubwürdig, als es nachweislich bereits Angriffe auf die Krim und das russische Kernland gegeben hat. Mehrfach schon hat die ukrainische Armee dabei Munitionsdepots erfolgreich zerstört. Dass Medwedjew dies unerwähnt lässt, deutet darauf hin, dass der distanzierte Raketenbeschuss der russischen Armee mittlerweile große Probleme bereitet, weshalb er ihre Einstellung mithilfe einer einschüchternden Drohung erreichen will.

Auf die Rolle Selenskyjs angesprochen, kritisiert Medwedjew, der ukrainische Präsident sei ein ganz und gar unerfahrener Mann, der unverhofft ins höchste Staatsamt geraten sei. Moskau habe kein Vertrauen zu ihm, da er Gespräche mit Russland kategorisch ablehne und als sinnlos bezeichnet habe. Ferner sei er nachgerade von den Entscheidungen anderer Länder abhängig und stehe zudem unter dem Einfluss von Psychopharmaka. Hierzu führt Medwedjew aus:

„Dies ist ein Mann, der ins Amt kam, ohne auch nur einen Tag Staatserfahrung zu haben, und der nur dadurch berühmt wurde, dass er in einer Fernsehserie über den Präsidenten mitspielte; ein Mann, der sich weigerte, normale, vollwertige Verhandlungen mit unserem Land zu führen und sich nur auf die Unterstützung der westlichen Länder und der Vereinigten Staaten von Amerika verließ. Dieser Mann verfolgt keine unabhängige Politik, denn die große Mehrheit der Berater, die er konsultiert, sind die Führer anderer Länder. Sogar innerhalb des ukrainischen Sicherheitsdienstes sind zwei Etagen von Vertretern der CIA besetzt. Kann man ihn in diesem Sinne etwa als einen Präsidenten betrachten, der eine unabhängige Persönlichkeit ist?“

Es ist nicht klar, wie Medwedjew zu dem Befund gelangt, Selenskyj nehme Medikamente gegen psychische Erkrankungen ein. In westlichen Medien ist davon jedenfalls nichts bekannt. Unstrittig ist hingegen, dass sich der ukrainische Präsident eng mit verbündeten Staatschefs abstimmt. Gleiches gilt für die Feststellung, die CIA stehe in engem Austausch mit ukrainischen Geheim- und Sicherheitsdiensten. Seit Beginn des Krieges wird Kiew von Washington mit sensiblen nachrichtendienstlichen Informationen versorgt. Dabei handelt es sich um Daten, die für die Kriegsführung unverzichtbar sind. Ganz egal, ob amerikanische Satelliten, Aufklärungsflugzeuge oder Spione, – sie alle liefern der Ukraine täglich neue Erkenntnisse über den Feind. Den Vorwurf, Moskau habe in den ersten Kriegstagen versucht, Selenskyj zu töten, weist Medwedjew als leere Spekulation zurück, für die es keine Beweise gebe. Das stimmt zwar, jedoch ist ein offenes Geheimnis, dass russische Spezialkräfte zu Beginn des Krieges den Auftrag hatten, Selenskyj in Kiew zu neutralisieren.

'Recht auf präventive Selbstverteidigung'

Klar hingegen ist für Medwedjew, dass die NATO in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt. In diesem Zusammenhang führt er aus:

„Die Vereinigten Staaten und die Mitglieder der NATO sind im Moment in diesen Konflikt verwickelt. Und wie man im Englischen sagt, führen die USA, die westliche Welt, die NATO und leider auch Frankreich einen so genannten ‚Proxy War‘ gegen die Russische Föderation. Dieser besteht darin, dass sie nicht dazu beitragen, den Konflikt zu beenden, sondern versuchen, ihn durch die Lieferung von Angriffswaffen aller Art, von Kleinwaffen bis hin zu Mehrfachraketenwerfern wie den berüchtigten HIMARS, anzuheizen. Und obwohl von Zeit zu Zeit im Westen Stimmen laut werden, dass diese Art von Rüstungsgütern mit Vorsicht zu genießen ist, damit sie nicht zu einer komplizierteren Situation führen und nicht bereits auf dem Territorium Russlands einen Konflikt provozieren, haben die USA dennoch ein riesiges Hilfspaket verabschiedet. Es handelt sich um noch nie dagewesene Zuwendungen in zweistelliger Milliardenhöhe, die direkt in die Ukraine fließen. Ist dies etwa kein Stellvertreterkrieg?“

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Indem Medwedjew im Zusammenhang mit der internationalen militärischen Unterstützung der Ukraine vor der Gefahr einer Ausweitung des Krieges bis hin zur Eskalation eines Weltkriegs warnt, greift er dieselbe Argumentation auf, die Kritiker der Russlandpolitik auch in Deutschland vortragen. Sie basiert darauf, nicht auf die militärische Aggression Moskaus zu reagieren und den Kreml Fakten schaffen zu lassen. Dass ausgerechnet Medwedjew diesen Ansatz empfiehlt, ist jedoch insofern paradox, als er wenig später selbst erklärt, Russland habe das international verbriefte Recht, sich gegen eine in der Ukraine heraufziehende Bedrohung zu verteidigen.

„Was die Aggression und alles, worüber jetzt gesprochen wird, betrifft, so gilt Artikel 51 der UN-Charta, der das Recht eines Staates auf Selbstverteidigung tangiert. Es gibt eine Auslegung dieses Artikels, die sich im Übrigen auf eine ganze Reihe von angelsächsischen Fällen aus dem 19. Jahrhundert stützt, einschließlich derer, die das Recht auf präventive Selbstverteidigung betreffen; und zwar dann, wenn die andere Seite eindeutig ihre Absicht bekundet, bestimmte Gebiete anzugreifen. Was unser Land betrifft, so haben wir die Volksrepubliken von Donezk und Lugansk bereits als unabhängige Staaten anerkannt, so dass die Bedrohung ihres Territoriums und der in diesen Gebieten lebenden Bürger die Voraussetzung für eine präventive Operation darstellt. Diese Art der Auslegung stützt sich voll und ganz auf die UN-Charta und diejenigen Fälle, die vom UN-Gerichtshof und einer Reihe anderer Instanzen im 19. und 20. Jahrhundert behandelt worden sind. Darüber hinaus wurde das Recht auf präventive Verteidigung und auf vorbeugende Verteidigung von verschiedenen europäischen Ländern und natürlich den Vereinigten Staaten von Amerika immer wieder in Anspruch genommen.“

Jeder Krieg hat seine Profiteure

Mit dieser Aussage präjudiziert Medwedjew, die Ukraine habe einen Angriff Russlands intendiert und diese Absicht sogar geäußert. Das ist natürlich absurd und mithin der Grund dafür, dass er keine Belege für seine Anschuldigung vorlegt. Hinzu kommt das Folgende: Wenn Moskau das Recht eines Präventivschlags im Rekurs auf die UN-Charta für sich reklamiert, warum sollte Kiew sich dann nicht gegen die Invasion wehren dürfen? Für Medwedjew ist die internationale Unterstützung der Ukraine nicht etwa Ausdruck von Solidarität mit dem Opfer eines Angriffs, sondern die Umsetzung des amerikanischen Kalküls, sich am Krieg zu bereichern.

„Ich verstehe, dass Krieg auch eine Möglichkeit für US-Unternehmen ist, Geld zu verdienen. Und ein beträchtlicher Teil dieser Milliarden wird natürlich in den Taschen nordamerikanischer Unternehmen landen und auf völlig kriminelle Weise in andere Länder transferiert werden. Es wird also alles in einem Strom von Schmuggel enden. Aber genau das ist die Situation.“

Tatsächlich fällt es schwer, die Feststellung zurückzuweisen, dass Kriege nicht nur Sieger und Verlierer, sondern immer auch Profiteure und Nutznießer haben. Dass amerikanische Waffenproduzenten zu dieser Gruppe gehören, ist eine Tatsache. Bis heute hat Washington Militärgerät im Wert von mehreren Milliarden Dollar in die Ukraine geliefert und die Rechnungen dafür beglichen. Daraus resultiert aus Sicht der Produzenten das vitale Interesse, den Konflikt möglichst lange am Laufen zu halten. Gleichwohl ignoriert Medwedjew, dass nicht Rüstungskonzerne, sondern Politiker über die amerikanische Position im Krieg entscheiden. Wie ich bereits in meinem Beitrag zu Putins Rede auf der zehnten Moskauer Sicherheitskonferenz geschrieben hatte, zeichnet sich die Position der USA dadurch aus, dass sie als einziger Akteur in mehrfacher Hinsicht vom Krieg profitieren können: nämlich politisch, wirtschaftlich und militärisch. Hinzu kommt, dass ein langfristiger Abnutzungskrieg Russlands Militärpotenzial schwächt und Moskau im Inneren auch politisch unter Druck setzt. Beides ist in amerikanischem Interesse.

Einblicke in die Atomdoktrin

Das nächste Thema des Interviews ist besonders erhellend. Zum ersten Mal überhaupt gibt mit Dmitrij Medwedjew, ein hochrangiger russischer Funktionär, detaillierte Einblicke in die geltende Atomdoktrin seines Landes. Auf die Frage, ob Moskau den Einsatz taktischer Nuklearwaffen in Erwägung ziehe, äußert Medwedjew:

„Dies ist eine transparente Militärdoktrin in unserem Land. Es gibt ein spezielles Dokument mit der Bezeichnung ‚Grundlagen der staatlichen Politik zur nuklearen Abschreckung‘. In Ziffer 19 werden vier Gründe für den Einsatz von Kernwaffen genannt, wenn ich mich nicht irre […] Der Start von Atomraketen, der Einsatz von Atomwaffen, Angriffe auf kritische Infrastrukturen, die Atomwaffen kontrollieren, oder andere Aktionen, die die Existenz des Staates selbst bedrohen. Bislang wurden keine derartigen Maßnahmen beobachtet.“

Nachdem Medwedjew klargestellt hat, dass Moskau gegenwärtig nicht vorhabe, Nuklearwaffen einzusetzen, richtet er den Vorwurf an die NATO, mit zweierlei Maß zu messen. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass Russland noch nie Waffen mit angereichertem Uran verwendet habe, wohingegen die NATO-Staaten dies in Jugoslawien und dem Irak mehrfach getan hätten. Das sei verantwortungslos und lasse auf eine weitreichende Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen schließen. Russland hingegen handele ausschließlich nach Augenmaß und führe die militärische Spezialoperation als Schutzmaßnahme durch.

Darüber hinaus stellt Medwedjew klar, dass die Inkorporation der Territorien der von Moskau anerkannten Volksrepubliken des Donbass nur nach der Abhaltung eines Referendums möglich seien. Ein solches Plebiszit müsse jedoch wie auf der Krim von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Diese Aussage ist nicht verwunderlich, weil sie das wahrscheinliche Szenario einer Inkorporation als realistisch bezeichnet.

Gas im Sanktionskrieg

Ein weiteres Thema, das Medwedjew detailliert abhandelt, ist vor allem für die Menschen in Deutschland von großer Bedeutung – die Versorgung Europas mit russischem Erdgas. Hierzu führt er aus:

„Gas ist eine weitere Facette dieses Konflikts. Sie ist im Wesentlichen Teil des Krieges, der jetzt gegen unser Land geführt wird. Wir haben uns nie geweigert, Gas nach Europa zu liefern. Wir haben Nord Stream 2 gebaut, wir haben alle unsere Verpflichtungen erfüllt, aber man hat uns gesagt, dass man unser Gas nicht brauche und dass wir außerdem nicht in Euro und Dollar zahlen könnten, weil unsere Beziehungen mit westlichen Banken jetzt endeten. Wir haben dann beschlossen, dass die einzige Möglichkeit für uns in diesem Fall darin besteht, den Rubel als Zahlungsmittel zu verwenden. Mit anderen Worten ist das eine Folge des vom Westen entfesselten Sanktionskrieges. Ja, wir sind schon jetzt bereit, Gas in den vertraglich vereinbarten Mengen zu liefern. Aber das hängt natürlich von der Position der westlichen Länder und von der Position der europäischen Länder ab. Wenn sie uns den Arm verdrehen, wenn sie uns Zahlungen verbieten, wenn sie sich weigern, reparierte Turbinen zu liefern, oder wenn sie sich weigern, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, dann wird es diese Lieferungen wahrscheinlich nicht in den Mengen geben, die die westlichen Länder erwarten.“

Man kann feststellen, dass Medwedjew hier bewusst Halbwahrheiten serviert. Zwar ist richtig, dass nahezu alle russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen und die im Ausland angelegten Divisen Russlands eingefroren sind. Die sukzessive Drosselung der durch Nord Stream 1 gelieferten Gasmenge hat jedoch nichts mit technischen Problemen zu tun, sondern ist eine politische Entscheidung des Kremls. Längst hat sich erwiesen, dass Moskau für Deutschland bestimmtes Gas in großen Mengen verbrennen lässt. Medwedjew bestreitet das jedoch und gibt zu verstehen:

„Wir wollen nichts abschneiden. Wir liefern schon seit Jahrzehnten Gas nach Europa. Europa war zufrieden und wir waren zufrieden. Dies bedeutet, dass die Beziehungen pragmatisch sein müssen. Doch nun befindet sich Europa im Fahrwasser der amerikanischen Politik. Erinnern Sie sich an Herrn Trump, der immer wieder über Gaspipelines nach Europa nachdachte und vorschlug, amerikanisches Gas an europäische Länder zu liefern, Flüssigerdgas. Es ist sehr teuer, fast unrealistisch. Doch nun ist Europa an einem Punkt angelangt, an dem es diese Option ernsthaft in Betracht zieht. Rohrleitungsgas ist viel billiger, aber Flüssigerdgas ist sehr teuer. Es ist sogar so weit gekommen, dass Bundeskanzler Scholz nach Kanada gereist ist, um über die Lieferung von Flüssigerdgas zu verhandeln, mit dem Argument, es sei besser, Gas aus einem demokratischen Land in der Nähe zu kaufen als aus Russland. Also soll er es kaufen.“

Russland will den Kampf nicht einstellen

Dass westliche Staaten wie Deutschland trotz der verheerenden Folgen, die eine Abkehr von den russischen Gaslieferungen für ihre Wirtschaft bedeutet, an den Sanktionen festhalten, erklärt Medwedjew mit einer wachsenden Abhängigkeit von den USA:

„Es gibt Länder, die sich im Kielwasser der amerikanischen Politik befinden und vollständig in das Vasallensystem integriert sind. Das gilt für die baltischen Staaten und Polen, die nur auf ein Signal aus Übersee warten. Es gibt aber auch Länder, die eine sehr viel unabhängigere Politik verfolgen, obwohl es eine nordatlantische Einheit gibt. Und Frankreich agiert in diesem Fall natürlich auch in diesem Koordinatensystem, aber zumindest hat es keine so hysterische, absolut extreme Russophobie. Alles hängt also von der Position der Politiker selbst ab. Wenn europäische Politiker die Beziehungen wiederherstellen wollen, werden wir uns dem natürlich nicht widersetzen, denn wir sind nicht diejenigen, die all diese Entscheidungen getroffen haben.“

Damit macht Medwedjew klar, dass die auf Europa kommende Energiekrise sofort beendet werden kann, wenn die einzelnen Staaten die Sanktionen gegen Russland aufgeben und zum Status quo ante zurückkehren. Es ist sehr geschickt, dieses Angebot an jedes einzelne Land der EU zu richten, weil es dadurch gelingen kann, Risse in die gegen Moskau gerichtete Phalanx zu bringen. In der Tat stehen die Chancen gut dafür. So hat Ungarn erklärt, mit russischer Hilfe zwei Atomkraftwerke zu bauen. Die von der EU verhängten Sanktionen haben bei dieser Entscheidung keine Rolle gespielt.

Zum Ende des Interviews stellt Medwedjew klar, dass die aggressive Expansion der NATO in der Ukraine für den Krieg verantwortlich zeichne. Während Russland acht Jahre lange versucht habe, den Konflikt diplomatisch beizulegen, seien seine Argumente geflissentlich ignoriert worden. Demnach habe Moskau letztlich keine andere Wahl gehabt, als die Menschen im Donbass vor weiterer Gewalt zu schützen. Insofern sei die militärische Spezialoperation die einzig probate Reaktion gewesen. Dies gelte umso mehr, als die Ukraine mehrfach erklärt habe, nuklear aufrüsten zu wollen. Ferner wäre es nie zu einem langwierigen Kampf in der Ukraine gekommen, wenn der Westen Kiew nicht mit Waffen und Geld unterstützt hätte. Aus diesem Grund müssten heute andere Bedingungen für eine Einstellung der Kampfhandlungen erfüllt werden als noch vor sechs Monaten:

„Die Verweigerung der Teilnahme an der Nordatlantischen Allianz ist heute eine notwendige, aber nicht mehr hinreichende Bedingung für die Erreichung des Friedens. Es ist notwendig, die von Ihnen erwähnten und von Präsident Putin angesprochenen Garantien zu entwickeln. Sobald diese Garantien ausgearbeitet und in einem von allen Seiten unterzeichneten Vertrag festgehalten sind, ist dies eine hinreichende Bedingung für die Beendigung des Einsatzes – natürlich unter der Voraussetzung, dass die Ziele des Einsatzes erreicht werden.“

Insgesamt macht das Interview zweierlei deutlich. Erstens wird Russland den Krieg in der Ukraine nicht einstellen. Und zweitens hat die westliche Politik nicht dazu geführt, dass Moskau seine Position in der Ukraine revidiert hat. Wie entschlossen die russische Führung mittlerweile ist, den Konflikt bis zum Ende auszufechten, zeigt folgender Kommentar Medwedjews. Auf die gegen ihn verhängten Sanktionen erwiderte er trocken:

„Ich diene meinem Land und spucke auf die Sanktionen. Ich bin sicher, dass dies auch die Position von Präsident Putin und meiner Genossen ist. Wir sind Bürger Russlands – und wir dienen Russland.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Christian Osthold ist Historiker und hat in russischer Geschichte promoviert. Seit 2001 hat er Russland mehr als 30 Mal bereist sowie Archivaufenthalte in Moskau und Grosny absolviert. Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten hat Osthold 2015 als einziger deutscher Historiker für mehrere Monate in einem tschetschenischen Dorf gelebt. Aus dieser Tätigkeit ist 2019 die erste vollumfängliche Gesamtdarstellung zum Tschetschenien-Konflikt hervorgegangen. Als intimer Russlandkenner schreibt Osthold für verschiedene Zeitungen und Journale, darunter Focus Online, NZZ, Cicero etc. Darüber hinaus ist er regelmäßig in Fernsehsendungen zu sehen, zuletzt bei der Deutschen Welle. Christian Osthold spricht fließend Russisch und ist mit einer Russin verheiratet.

Bild: 360b/Shutterstock
Text: Gast

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