Ein Gastbeitrag von Josef Kraus
Extremisten haben in der Bundeswehr nichts zu suchen – egal welcher Ausrichtung. Es geht nicht an, dass sich Rechtsextremisten, Linksextremisten oder Islamisten in die Bundeswehr einschleichen. Das zu verhindern ist Sache der dafür zuständigen staatlichen Stellen, hier zunächst des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der dabei streng an rechtsstaatliche Regeln gebunden ist.
Nun scheint der MAD gegen diese Regeln im Zuge einer Aktion „Sturmhaube“ verstoßen zu haben. Ob die Spitze des Bundesverteidigungsministeriums eingeweiht war oder nicht, ob das Ministerium davon wusste oder nicht, muss noch offengelegt werden. Das Verteidigungsministerium und damit Ministerin Lambrecht (SPD) stellt sich nichtwissend, aber es gibt anderslautende Informationen. Es geht vor allem um die Frage, ob der MAD die Feldjäger, also eine Art interne Bundeswehr-Polizei eingesetzt, das heißt, missbraucht hat, um Druck auf Soldaten auszuüben, die unter Rechtsextremismus-Verdacht stehen.
Zweifel am Vorgehen des MAD
Was war geschehen? Am 7. März hatte ein Kommando Feldjäger 25 Militärpolizisten zusammengezogen. Es sollte eine Übung zur Absicherung einer als geheim eingestuften Operation des MAD werden. Die Beteiligten mussten eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Am 8. März suchten MAD-Teams Liegenschaften der Bundeswehr in Niedersachsen und Bremen auf, um eine Reihe von Soldaten und zivilen Mitarbeitern zu befragen. Anlass: Dem MAD lagen Hinweise aus einer Broschüre der Antifa-Szene vor, wonach einige dieser Personen Kontakte unter anderem zur rechtsextremistischen Gruppierung „Nordbund“ pflegen sollen. Diesem Verdacht sollte nachgegangen werden. Am Rande: Welch seltsamer Auslöser – eine Broschüre aus der Antifa-Szene, die hinreichend bekannt ist für Denunziationen!
Die WELT berichtet am 6. Oktober 2022: „Die im Visier des Geheimdienstes stehenden Personen mussten ihre Taschen entleeren, wurden von den MAD-Mitarbeitern über mehrere Stunden befragt. Ihre Mobiltelefone wurden eingesammelt, um ausgewertet zu werden. Die Diensträume eines Soldaten wurden durchsucht. Toilettengang und Kantinenpause durften nur in Begleitung der maskierten Feldjäger erfolgen, damit sichtbar für alle anderen Mitarbeiter. Die Befragungen zogen sich über drei Tage …“ „Die nachrichtendienstliche Bearbeitung dauert noch an“, heißt es in der Antwort der Regierung an den Bundestag. Eine abschließende Bewertung sei daher „derzeit noch nicht möglich“.
Damit eines klar ist: Der MAD darf nur freiwillige Befragungen durchführen, aber keine Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder vergleichbare Zwangsmaßnahmen vornehmen. All das habe er bei der Operation „Sturmhaube“ nicht getan, behauptet die Regierung. Die befragten Personen hätten freiwillig kooperiert, die Feldjäger nur „Sicherungsaufgaben“ übernommen. Denn es habe sich bei einem Teil der Befragten um Personen gehandelt, „die in der Vergangenheit bereits durch Gewaltdelikte in Erscheinung getreten sind, so dass körperliche Übergriffe auf befragende Personen nicht ausgeschlossen werden konnten“. Das für derlei Bedrohungslagen zuständige Landeskriminalamt Niedersachsen schätzte die Lage allerdings anders ein.
Fachwissenschaftler: 'Feldjägereinsatz war verfassungswidrig'
Die Aktion lief denn auch recht spektakulär ab. Beteiligte berichteten mittlerweile, man wollte Verdächtige „gezielt unter Druck setzen und vor den Bug schießen, um an Informationen zu gelangen“. Der MAD habe ein „robustes und einschüchterndes Auftreten der Feldjäger“ verlangt.
Aber welche Gründe hatte diese Art von Einsatz der Feldjäger wirklich? Politische? Propagandistische? Profilsüchtige? Karriereorientierte? Um Muskeln gegen rechts zu zeigen? Diese Vermutung legt die Aussage eines beteiligten Militärpolizisten nahe, über die in der BILD vom 12. September zu lesen war. Dem Mann kam die Aktion seltsam vor, so dass er sich bei der Staatsanwaltschaft Hannover selbst wegen möglicher Nötigung anzeigte. Bei der Vernehmung führte er aus, der die Operation kommandierende Oberst habe den Einsatz als „Novum in der Feldjägertruppe“ bezeichnet. Die Operation „Sturmhaube“ habe „Führungsrelevanz bis ins BMVg“. Und auch Staatssekretärin Siemtje Möller (SPD), so erinnern sich Abgeordnete, soll am 28. September im Verteidigungsausschuss auf Nachfrage angegeben haben, dass die Leitungsebene von der Aktion wusste.
In BILD kommt denn auch Prof. Philipp Metzger von der Hochschule des Bundes im Fachbereich Bundeswehr in Mannheim zu einer für das Ministerium vernichtenden Einschätzung: „Die Verwendung von Feldjägersoldaten, die gezielt einschüchtern und bedrohlich wirken sollten, ist gerade wegen dieses Vorgehens als Einsatz im Innern zu werten.“ Soldatische Einsätze im Innern sind laut Grundgesetz aber nur erlaubt, wenn Deutschland im Krieg ist oder Naturkatastrophen bekämpft werden müssen. Metzgers Fazit: „Der Einsatz der Streitkräfte war verfassungswidrig.“ Für die Durchsuchungen der Soldaten hätte „es eines richterlichen Beschlusses gebraucht.“ „Die Feldjäger dürfen nicht mit einer Polizei verwechselt werden, derartige Befugnisse haben sie gar nicht.“ Professor Metzger weiter: „Das Vorgehen der Feldjägersoldaten kann sich im Einzelfall als strafbare Nötigung darstellen.“ Und Straftaten dürfen selbst dann nicht begangen werden, wenn das Handeln vom Vorgesetzten befohlen wurde.
Gibt es ein parlamentarisches Nachspiel?
Im Frühsommer 2022 bereits hatte die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag eine 60-Punkte-Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die zentrale Frage lautete: „Ist es aus Sicht der Bundesregierung legitim, Angehörige der Bundeswehr, die im Extremismus-Verdacht stehen, mit rechtswidrigen Mitteln zu verfolgen?“ Die Regierung schrieb: „Nein.“ Freilich gibt es Zweifel, ob dieses Nein wirklich zutrifft. Die meisten der 60 Fragen hat die Regierung zudem „auffallend zurückhaltend“ beantwortet, so der CSU-Abgeordnete Florian Hahn. Die Einstufung dieses „Sturmhaube“-Einsatzes als „Feldjägerdienst im Grundbetrieb“ sei eine „fragwürdige Rechtsauffassung“ und klärungsbedürftig – zumal das Ministerium behauptet, der Geheimdienst habe das „eigenständig“ entschieden.
Strafrechtlich freilich fand die Staatsanwaltschaft Hannover nichts an der Aktion auszusetzen; die Ermittlungen wurden mangels „tatsächlicher Anhaltspunkte für konkrete Straftaten“ rasch eingestellt. Das gilt auch für eine Strafanzeige eines Feldjägers gegen drei Vorgesetzte wegen „Missbrauchs der Befehlsbefugnis“. Einen solchen Tatbestand gebe es im Strafrecht nicht, teilte die Staatsanwaltschaft der WELT mit: „Die Frage, ob das MAD und die Feldjäger innerhalb der ihnen zustehenden Befugnisse handelten, konnte daher offenbleiben.“ Die beteiligten Feldjäger wollen die Sache nicht auf sich sitzen lassen. Einige der Feldjäger erwägen, vor das Truppendienst- oder das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen. Es bleibt interessant.
P.S.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist Volljuristin. Von Juni 2019 bis Dezember 2021 war sie im Kabinett Merkel IV Bundesministerin der Justiz!
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)
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