Humboldtuniversität sagt Vortrag über Zweigeschlechtlichkeit ab Steht die westliche Welt intellektuell vor einem Rückfall in ein dunkles Mittelalter?

Ein Gastbeitrag von Josef Kraus

Es ist dies eine Szene, die aus George Orwells düsterer Utopie „1984“ mit dem darin beschriebenen „Wahrheitsministerium – MiniWahr“ des Big Brother stammen könnte: Die Humboldtuniversität (HU) zu Berlin hatte für den 2. Juli 2022 eine „Lange Nacht der Wissenschaften“ mit insgesamt rund 1.300 Veranstaltungen quer durch Berlin und Potsdam geplant. Topaktuelles Generalmotto sollte sein: „Wissenschaft als Antwort auf Fake News, Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer.“

Im Rahmen dieser „Langen Nacht“ war ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht geplant. Titel des geplanten Vortrages sollte sein: „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt.“ Marie-Luise Vollbrecht wollte mit Beispielen aus der Tier- und Pflanzenwelt evolutionsbiologisch herleiten, warum es aus biologischer Sicht nur zwei Geschlechter gibt und dass das biologische Geschlecht (Sex) und Geschlechterrollen (Gender) unterschiedliche Dinge sind.

Und dann dies: Der Vortrag wurde abgesagt – „aus Sicherheitsgründen.“ Ein aktivistischer „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen an der Humboldt Uni Berlin“ (AKJ) drohte mit Zoff vor dem HU-Hauptgebäude. Wörtliche Drohung: Vollbrecht verbreite „Trans*feindlichkeit“, und „an unserer Uni gibt es keinen Platz für Queerfeindlichkeit. Wir sehen uns auf der Straße!“ Die Humboldtuniversität knickt ein, eine Sprecherin der HU erklärte gegenüber der BILD-Zeitung: „Der Vortrag von Frau Vollbrecht wurde im Interesse der Gesamtveranstaltung und der Besucherinnen und Besucher abgesagt. Die Debatte um den Vortrag droht alle anderen Angebote zu überschatten.“

Soweit haben wir es gebracht „im besten Deutschland, das wir je hatten“ (Steinmeier) und „in dem wir gut und gerne leben“ (CDU-Merkel-Werbung 2017). In einem Deutschland, das „Bildungsnation“ und „Wissenschaftsnation“ sein will! An einer Universität, die nach den Brüdern und Universalgelehrten Wilhelm von Humboldt (1767) und Alexander von Humboldt (1769 – 1859) benannt ist! Die beiden müssen sich ob solcher Verrücktheiten in ihren Gräbern im Schlosspark Tegel herumwälzen.

Erinnerungen an die mittelalterliche Inquisition werden wach

Aber was geschieht hier eigentlich?

Erstens: Hier wird „Wissenschaft“ ad absurdum geführt. Mit der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und Lehre hat das nichts mehr zu tun. Wenn die HU hier einknickt, hat sie den ihr 2012 verliehenen Ehrentitel der „Exzellenz-Universität“ nicht mehr verdient.

Zweitens: In den Köpfen der „Aktivisten“ (sog. Rechtsgelehrte wohlgemerkt!), ihrer Sympathisanten sowie der Queer-Lobby steckt die Vorstellung, der Mensch könne sich von der Biologie emanzipieren und er könne selbst bestimmen, welches Geschlecht er hat. Etwa sechzig verschiedene davon soll es unter anderen laut Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) geben. Die „Aktivisten“ frönen jedenfalls genau dem Irrtum, den die Vortragsreihe aufdecken wollte: Fake News, Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer zerpflücken. Dabei ist es eindeutig: Erst die Zweigeschlechtlichkeit hat Evolution bis hin zum „homo sapiens sapiens“ möglich gemacht. Aber offenbar gibt es auch eine Re-Evolution – einen Rückfall vor die Evolution des höheren Intellekts.

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Drittens: Die Queer-Fanatiker betreiben im Grund nichts anderes als die von der „Ampel“ inszenierte Politik. Laut geplantem „Selbstbestimmungsgesetz“ der „Ampel“ kann die geschlechtliche Identität vor dem Standesamt ab Vollendung des 14. Lebensjahres einmal pro Jahr geändert werden.

Viertens: Giordano Bruno (1548 – 1600) kommt einem in den Sinn. Er wurde in Rom nach einem sieben Jahre währenden Inquisitionsprozess wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Was hatte er gemacht? Er hat unter anderem bewiesen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt eines unendlichen Weltalls sei. Heute ist das (noch?) Gemeingut.

Fünftens: Wie heutzutage mit Kritikern der Gender-Ideologie umgegangen wird, erinnert an das Mittelalter. Zu einem Autodafé, also einem Glaubensprozess mit anschließender Verbrennung wie in Zeiten der spanischen und portugiesischen Inquisition ist es zwar noch nicht gekommen. Aber die Mainstreampolitik und die Mainstreampresse lassen keine Gelegenheit aus, Kritiker der Gender-Ideologie, die keinen Kotau vor dem Goldenen Gender-Kalb machen, anzuprangern, sie auszugrenzen, mundtot zu machen und sie in den sozialen oder auch beruflichen Tod zu verbannen. „Cancel Culture“ nennt sich diese Un-Kultur, die aus den US-amerikanischen „Elite“-Universitäten zu uns herübergeschwappt ist.

Sechstens: Gender-Ideologie ist eine Vertreibung von Realität. Und sie ist Nihilismus pur. In Deutschland – und im Westen der Welt – wird sie von bestimmten (Minderheiten-)Lobby-Gruppen, bevorzugt von den Grünen und der FDP betrieben; sie wird von den Öffentlich-Rechtlichen orchestriert und mit weit mehr als zweihundert Professuren mit Steuergeldern üppig alimentiert.

Steht die westliche Welt intellektuell vor einem Rückfall in ein dunkles Mittelalter? Vor paranoiden mittelalterlichen Erleuchtungserlebnissen, die sich heute „wokeness“ nennen?

Aber wahrscheinlich ist die Erde doch nur eine Scheibe.

David gegen Goliath
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)

Bild: Hendrik Wolter/Shutterstock
Text: Gast

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