Immer auf die Kleinen Deutschlands infame Schutzmaßnahmen-Tortur

Ein Gastbeitrag von Aaron Clark

Im Jahr 1983 sah ich als knapp Zehnjähriger den Schlagersänger Peter Alexander in Hans Rosenthals Fernsehquiz „Dalli Dalli“ seinen Titel „Immer auf die Kleinen“ zum Besten geben, in dessen Refrain es heißt: „Immer auf die Kleinen, weil’s den Großen so gefällt“. Fast vierzig Jahre später stelle ich voller Unverständnis und Bedauern fest, dass die Großen ihre im Mäntelchen der Fürsorge daherkommende drakonische Drangsalierung der Jüngsten und Schwächsten zur gut eingeübten Gewohnheit gemacht haben. Und es sind leider kaum Zeichen der Besserung in Sicht.

Ausgangspunkt dieser Bestandsaufnahme ist ein aktuelles Interview mit Jakob Armann, Funktionsoberarzt der pädiatrischen Intensivmedizin und pädiatrischen Infektiologie am Universitätsklinikum Dresden, der sich bereits im Juni 2021 kritisch gegenüber Schul- und Kitaschließungen geäußert hatte. Wurden diese zu Beginn des Corona-Tohuwabohus noch mit der Verhinderung einer möglichen Virusverbreitung insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsanteile begründet, hatten zahlreiche Studien bis Mitte letzten Jahres ergeben, dass die Viruseintragung der Kinder in die Familien deutlich geringer ausfiel, als befürchtet. Außerdem waren zu dieser Zeit bereits große Teile der vulnerablen Bevölkerung geimpft. Schon damals registriert Armann jedoch „ein starkes Bestreben relevanter gesellschaftlicher Kräfte“, die auf der Suche nach neuen Argumenten, „warum man die Schulen und Kitas nicht vollständig öffnen kann“, schließlich bei einer vorgeschobenen Corona-Gefahr für die Kinder selbst landeten.

Kinder und Corona: Drei große Surveys ohne Relevanz in der öffentlichen Debatte

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Uniklinik und unter Mitwirkung dreier großer pädiatrischer Fachgesellschaften hat Jakob Armann bereits 2020 in nur wenigen Wochen drei Datenbanken zur Krankheitslast von Covid-19 bei Kindern auf die Beine gestellt. Diese betreffen erstens mit Covid-19 hospitalisierte Fälle, zweitens solche, die infolge einer Covid-19 das sog. „Pädiatrische Inflammatorische Multisystem-Syndrom“ (PIMS) entwickeln, und drittens die Fälle von Long-Covid. Dass sich die Bundesregierung angesichts dieses Musterbeispiels seit über zwei Jahren so schwer damit tut, belastbare Daten zu Corona bereitzustellen, findet auch Jakob Armann „schon sehr ärgerlich. Zumal wenn man weiß, was für politische Maßnahmen oft mit gefühlten Wahrheiten begründet werden, die mit Daten nicht hinterlegt sind.“ Schauen wir uns Armanns Daten also etwas genauer an.

Lange vor dem ersten Interview Mitte 2021 stand bereits fest, dass Kinder ein äußerst geringes Risiko für einen schweren Verlauf nach einer Corona-Infektion haben, und dass Todesfälle extrem selten sind. Von den hospitalisierten Fällen, bei denen übrigens 65 Prozent noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, kommen knapp drei Viertel mit einer entsprechenden Symptomatik ins Krankenhaus, der Rest aufgrund anderer Ursachen. Und von den 75 Prozent ist nur ein Bruchteil tatsächlich schwer krank, im Schnitt werden alle Patienten nach zwei Tagen wieder entlassen. Armann betont, dass auch auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle, „also bei wahnsinnig hohen Infektionszahlen“, die Kinderkliniken durch Corona-Patienten nicht überlastet waren und eine Nichtbehandlung anderer Krankheiten aufgrund von Corona nicht stattfand. Die größte Beeinträchtigung sieht er beim Ausfall von Personal, „was wiederum hauptsächlich an den isolations- und Quarantäneregeln liegt.“

PIMS – Unter Omikron eher Vespa als Kawasaki

Schwere Entzündungssyndrome bei Kindern kennt man laut Armann bereits seit Jahrzehnten, wie z.B. das mittlerweile zu einiger Bekanntheit gelangte Kawasaki-Syndrom. Während beim Corona-Wildtyp und der Alpha-Variante ungefähr eines von 4000 Kindern von PIMS betroffen war, sank das Risiko unter Delta auf ein Fünftel und liegt unter Omikron sogar 15-fach niedriger im Vergleich zum Wildtyp. Zudem beziehen sich diese Zahlen auf immunnaive Kinder, die es mittlerweile kaum noch gibt. Aber auch die von PIMS betroffenen Kinder werden laut Jakob Armann aufgrund der guten Behandelbarkeit „nahezu alle komplett wieder gesund.“

Long-Covid bei Kindern – eher eine Folge der Maßnahmen?

Auch mögliche Langzeitfolgen einer Corona-Infektion bei Kindern werden mit Blick auf die für den Herbst geforderten Maßnahmen an Schulen als Argument angeführt. Während Long-Covid als Krankheitsbild lange nicht gut genug untersucht war, scheint es in den Kinderarztpraxen, die für Armanns Long-Covid-Survey die Daten bereitstellen, „nicht die entscheidende Rolle zu spielen, die dem Thema in den Medien teilweise zugeschrieben wird.“ Aufschlussreicher sind dafür die Ergebnisse einer Studie, die unter Armanns Mitarbeit entstanden ist, vor Kurzem bei Nature Scientific Reports veröffentlicht wurde, und bei der rund 1.500 Schüler mit einem Durchschnittsalter von 15 Jahren zu Long-Covid-Symptomen befragt wurden. Dazu heißt es in der Zusammenfassung: „Jedes in der Long Covid-Umfrage abgefragte Symptom war bei mindestens 35 Prozent der Schüler in den letzten sieben Tagen vor der Umfrage vorhanden. Mit Ausnahme der Tatsache, dass die seropositiven Schüler weniger traurig waren, gab es keine signifikanten Unterschiede bei den angegebenen Symptomen zwischen infizierten und nicht-infizierten Schülern.“ Diese Ergebnisse legen nahe, dass Kinder und Jugendliche – unabhängig von ihrem Serostatus – von den Pandemiemaßnahmen wie sozialer Isolation, fehlenden Freizeitaktivitäten und nicht zuletzt der ständig geschürten Angst genauso stark betroffen sind, wie von der Krankheit selbst. Zwei Studien aus Dänemark und Norwegen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Des Weiteren bekräftigt Jakob Armann, dass es auch bei Kindern schon immer Atemwegsinfektionen gab, die sich auf andere Organe ausgebreitet haben, wie z.B. das Gehirn oder die Nieren: „Da unterscheidet sich Long Covid im Ausmaß nicht wirklich grundsätzlich von Long Influenza, Long Adenoviren, Long Enteroviren und was wir sonst noch alles haben. Deshalb verstehe ich als Kinderarzt das Bestreben vieler Eltern nicht, dass ihr Kind alles Mögliche an Krankheiten bekommen darf, nur nicht Corona. Das ist aus pädiatrischer Sicht fast schon irrational.“

Irrationale Eltern, schizophrene Politik

Weniger gut kommt bei Armann die Politik davon, deren zwischen Lockerungen und Hiobsbotschaften differierende Signale er als „geradezu schizophren“ bezeichnet. Folgerichtig wird angesichts einer „katastrophalen Entwicklung im Herbst“ gerade wieder vielerorten für neue Maßnahmen getrommelt. Dabei wiederholen z.B. Katrin Göring-Eckardt und Nina Stahr von den Grünen in einem Gastbeitrag für die „Welt“ einmal mehr das Mantra von den „sicheren Schulen“ – nach Ansicht von Jakob Armann ein weiteres Lippenbekenntnis, das „am Ende wieder auf Masken und anlasslose Tests bei Kindern hinauszulaufen droht, einfach, weil das am leichtesten durchzusetzen ist.“ Und auch die Verantwortlichen der pädagogischen Verbände und Gewerkschaften liefern wie gewohnt: „Schulen sind weiterhin keine sicheren Lernorte und laufen im kommenden Schuljahr Gefahr, erneut geschlossen werden zu müssen, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen“, so der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung Udo Beckmann. Schützenhilfe bekommt er dabei natürlich von Karl Lauterbach, der Schulschließungen nicht kategorisch ausschließen möchte, „weil wir wissen ja nicht, welche Varianten kommen.“ Für den Physiklehrer Beckmann steht indes jetzt schon fest: „Wenn es um die Sicherstellung des Präsenzunterrichts geht, darf angesichts der wissenschaftlich anerkannten Wirkung dieser Maßnahme auch die rechtzeitige Wiedereinführung einer Maskenpflicht kein Tabuthema sein.“ Dabei gibt es neben mittlerweile zwei Jahren Erfahrungswerten und der zumindest in Teilen darauf aufbauenden Bewertung durch das Evaluationsgremium der Bundesregierung u.a. eine aktuelle Studie zur Maskennutzung in finnischen Schulen – hier konnte kein zusätzlicher Benefit durch Maskenmandate festgestellt werden. Darüber hinaus ist der inzwischen auch per Kapnographie nachgewiesene Effekt der CO2-Rückatmung beim Tragen einer Maske aufgrund des geringen Atemvolumens bei Kindern besonders ausgeprägt. Erschwerend kommt hinzu, dass die jetzt schon bekannten Auswirkungen von Masken auf die psychosoziale und sprachliche Entwicklung von insbesondere jüngeren Kindern bei jedem Pädagogen die Alarmglocken klingeln lassen müssten. Wahrscheinlich hat der in 2020 geschasste Gesundheitsamts-Leiter Friedrich Pürner mit seiner These, dass weder eine Schulleitung noch ein Krankenhaus- oder Firmen-Chef dafür verantwortlich gemacht werden will, wenn bei ihm Mitarbeiter erkranken, den Nagel auf den Kopf getroffen.

Jakob Armann resümiert: „Wir bewegen uns also auf ein Szenario zu, in dem ausgerechnet die Bevölkerungsgruppe, für die Corona am ungefährlichsten ist, der strengsten Überwachung und den restriktivsten Maßnahmen unterliegt. Das ist nicht konsistent und vor allem schädlich. Wenn man weiß, wie wichtig Schule und auch sämtliche anderen sozialen Aktivitäten für Kinder und Jugendliche sind, dann muss man dies als Gesellschaft auch ermöglichen. […] Diese Bereitschaft sehe ich bislang aber leider keineswegs.“

Also gilt auch weiterhin: Immer auf die Kleinen, weil’s den Großen so gefällt!

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Aaron Clark lebt in Berlin, schreibt unter Pseudonym und ist seit 2020 begeisterter Leser von reitschuster.de. (Das ist kein Eigenlob, genau diese Worte hat er mir als Autorenzeile übermittelt).

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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