Impfen ist Integration: RKI über „Falschwissen“ bei Migranten Laut Studie werden Zuwanderer im Gesundheitssystem diskriminiert

Von Alexander Wallasch

Das Gezerre um die Frage, warum überproportional viele Migranten auf den Intensivstationen liegen oder lagen bzw. warum sich weniger Migranten impfen lassen oder ließen, war unterschwellig während der Pandemiejahre immer gegenwärtig. Aber hier diktierte ein gerüttelt Maß an politischer Korrektheit die Lautäußerungen, während die Politik Werbeagenturen anheuerte mit dem Auftrag, Impf- und Hygienekampagnen speziell für diese Zielgruppen zu entwickeln.

Aber verlässliche Zahlen dazu blieben aus und boten viel Raum für ein dissonantes Raunen. Stattdessen machten Bilder von Hochzeiten und Beerdigungen von Clanfamilien die Runde, die sich offensichtlich wenig darum scherten, irgendwelche Auflagen einzuhalten oder die Anzahl der Gäste einzuschränken.

Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie konnte sich das Robert Koch-Institut (RKI) nun dazu durchringen, via Umfrage Zahlen zu ermitteln und zu veröffentlichen – ein weiteres vernachlässigtes Thema – über Impflücken bei Migranten. Die Befragungen wurden in fünf weiteren Sprachen durchgeführt. Das Institut begründet das so: „Damit wurden in dieser Erhebung auch Personengruppen erreicht, die in vorherigen Erhebungen aufgrund einer Sprachbarriere nicht erreicht werden konnten.“

In normalen Zeiten wäre es skandalös, dass es in einer pandemischen Notlage fast zwei Jahre dauert, damit zu beginnen, relevante Zahlen zu ermitteln. Lothar Wieler, der Chef des RKI, hatte schon Mitte 2021 darauf hingewiesen, dass überproportional viele Migranten auf den Intensivstationen liegen würden – nur um anschließend gleich wieder zurückzuziehen.

Der Bayerische Rundfunk (BR) kommentierte das damals so: „Tatsächlich ist es abseits dieser einzelnen Berichte schwierig, einen Anstieg von Migranten auf deutschen Intensivstationen zu belegen. Das liegt daran, dass Daten zu Migrationshintergrund und Muttersprache in deutschen Krankenhäusern nicht erhoben werden.“

Weil man aber gegenüber bestimmten Gruppen keine Schuldzuweisung konstruieren wollte, einigten sich Politik, Wissenschaft und Medien darauf, sich dem Thema auf andere Weise anzunähern, wie der BR schrieb: „Indem man den Fokus nicht auf einen möglichen Migrationshintergrund, sondern auf den sozioökonomischen Status der Intensivpatienten legt.“

Das RKI liefert jetzt Zahlen zur Impfbereitschaft unter Migranten. In der Zusammenfassung zur Erhebung klingt das dann auszugsweise so:

„Falschwissen und besonders Unsicherheiten zu der COVID-19-Impfung sind weit verbreitet. Unter Personen mit Migrationsgeschichte findet sich signifikant mehr Unsicherheit und Falschwissen als bei Personen ohne Migrationsgeschichte.“

Und weiter: „Personen ohne Migrationsgeschichte haben eine etwas höhere Impfquote als Personen mit Migrationsgeschichte.“

Gleich vorab gesagt: Unbefriedigend an dieser Studie ist der zweifelhafte Versuch, gegenüber einheimischen Deutschen eine Art Schuldzuweisung vorzunehmen, was eine geringere Impfquote der Migranten angeht – von geringeren Hygiene-Maßnahmen ist hier noch gar nicht die Rede. So scheut sich das RKI nämlich nicht, als eine Hauptursache für die niedrigeren Impfzahlen „Diskriminierungserfahrungen im Gesundheits- und Pflegebereich“ bei Migranten zu behaupten. Von der hohen Attraktivität des deutschen Gesundheitssystems, die bei der Massenzuwanderung eine wesentliche Rolle spielt, ist hier überhaupt keine Rede mehr.

Die Zahlen wurden per telefonischer Umfrage erhoben und nicht auf Basis einer bestehenden aktuellen Datenlage. Befragt wurde in deutscher, arabischer, türkischer, russischer, polnischer und englischer Sprache. Abweichungen bei Polen und Russen gegenüber Arabern und Türken wurden nicht explizit aufgeführt. Das wäre aber wichtig zu wissen, weil mit 211 Personen eine hohe Zahl an russischstämmigen Migranten befragt wurde gegenüber 105 Türken und 57 Arabern. Bei eingebürgerten Migranten (572) fehlt die Zuordnung nach Herkunftsländern.

Befragt wurden insgesamt eintausend Migranten und eintausend einheimische Deutsche. Die Autoren der Studie weisen abschließend darauf hin, dass ein „sozial erwünschtes Antwortverhalten“ die Aussagen auch verfälschen kann. Daher: Es kann beispielsweise sein, dass einige Migranten sich als geimpft bezeichnet haben in der Annahme, dass diese Aussage erwünscht sein könnte. Bei den Angerufenen, welche die Befragung verweigerten, wäre es interessant zu erfahren, ob hier die Ungeimpften in der Mehrheit sind.

Erste Erkenntnis der Befragung: Die Impfquote (hier: „mindestens einmal geimpft“) bei Deutschen ohne Migrationshintergrund liegt laut Umfrage bei 92 Prozent, die der Befragten mit Migrationshintergrund bei 84 Prozent – ein Unterschied von acht Prozent.

Weiter wurde ermittelt, dass die Impfbereitschaft mit der Abnahme der Deutschkenntnisse auf 75 Prozent absinkt. Weiter will die Studie herausgefunden haben, dass die Bereitschaft unter den ungeimpften Migranten, sich noch impfen zu lassen, höher sei als unter den ungeimpften Einheimischen.

Für die Interpretation der Umfrageergebnisse nimmt die vorliegende 13-seitige Studie schon bestehende Studien zur Hilfe. Da heißt es dann zur Analyse der Ergebnisse: „In der Literatur herrscht Konsens, dass dieser Zusammenhang durch sozioökonomische Ungleichheiten sowie durch Barrieren im Zugang zu und in der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen erklärt werden kann.“

Aus den Ergebnissen der telefonischen Befragungen will das RKI auch herausgelesen haben, dass mit steigendem Einkommen die Chance steigt, „mind. eine Impfung erhalten zu haben“. Und, dass Personen, die zur hohen Bildungsgruppe gehören, eher geimpft sind als Personen, die zur niedrigen Bildungsgruppe gehören. Weiter heißt es da: „Je älter eine Person ist, desto höher ist die Chance, dass sie geimpft ist.“

Die Studie behauptet herausgefunden zu haben, dass Bildung und Sprachkenntnisse die Bereitschaft erhöhen, sich impfen zu lassen:
„Geringere Deutschkenntnisse können eine zentrale Barriere im Zugang zu Informationen und Gesundheitsleistungen darstellen.“

Das allerdings passt nicht recht zusammen mit der Impfkritik unter Einheimischen (Herkunftsdeutschen): Eine Untersuchung von Soziologen im Auftrag der linken Heinrich-Böll-Stiftung hat nämlich herausgefunden, dass Impfskeptiker eher einen akademischen Hintergrund haben, also einen besonders hohen Bildungsgrad.

Dennoch hält die Studie „Informiertheit“ über ein „Vertrauen in die Sicherheit der Impfung“ für einen entscheidenden Faktor für eine Impfbereitschaft. Davon, dass Informiertheit diese Bereitschaft auch signifikant senken könnte, ist hier keine Rede.

Weil aber nicht sein kann, was nicht darf, gibt es für das RKI richtiges und falsches Wissen: „Insgesamt sind Falschwissen und Unsicherheiten in Bezug auf Wissen zur COVID-19-Impfung unter allen Befragten hoch.“

Die Studie kommt zu einem weiteren Schluss: „Je häufiger Diskriminierung im Gesundheits- oder Pflegebereich erlebt wurde, desto eher sind Personen ungeimpft.“ Allerdings erklärten 76 Prozent der Befragten, nie diskriminiert worden zu sein im Gesundheitswesen. Und auch unter den befragten Migranten/Menschen mit Migrationshintergrund wurde häufig das Alter und ein körperliches Gebrechen als Diskriminierungsgrund genannt. Nein, niemand ist gerne im Krankenhaus. Und gesellige Menschen aus Großfamilien noch weniger.

Auch scheint die Studie der Politik Handlungsanweisungen geben zu wollen: „Umso größer die Überzeugung ist mit der Impfung Freiheiten zurückzugewinnen, desto größer ist die Chance, mind. einmal geimpft zu sein.“ Hier allerdings dürfte das Geben und Nehmen längst ausgereizt sein: Zu Beginn der Impfkampagne wurde suggeriert, dass nach der zweiten Impfung alles wieder so wäre wie vor der Pandemie, mittlerweile kann davon nicht mehr die Rede sein, Geimpfte sind fast ebenso infektiös wie Ungeimpfte und doppelt Geimpfte gelten wieder als Ungeimpfte, wenn sie nicht bereit sind, sich ein drittes oder gar ein viertes Mal impfen zu lassen.

Eine Abbildung (Ab. 8, S.12) in der Studie zeigt den „Anteil richtiger, falscher und unsicherer Antworten zu ausgewählten Wissensitems“.

Eine „richtige“ Antwort in der Befragung lautet beispielsweise: „Die COVID-19-Impfung schützt zuverlässig vor einer schweren COVID-19-Erkrankung.“ Ebenfalls richtig ist laut RKI folgendes Wissen: „In manchen Fällen können sich Geimpfte noch bei anderen anstecken und dann das Virus übertragen.“

Letzteres Neuwissen wäre zu Beginn der Impfkampagne noch eine Verschwörungstheorie von Menschen gewesen, die den Erfolg der Impfung diskreditieren wollen. Und wie sieht es mit dem behaupteten Richtigwissen aus, dass Impfungen vor schweren Verläufen schützen? Erst die Zukunft wird zeigen, was es tatsächlich mit den vielen Geimpften und Geboosterten auch mit schweren Verläufen auf sich hat. Hier auf der gegenüberliegenden Seite ein „Falschwissen“ zu behaupten ist unwissenschaftlich und deutet auf den ideologischen Ansatz hin.

Eine von reitschuster.de auf diese Studie angesprochene renommierte Medizinerin gibt zu bedenken, dass es unter Akademikern aus Migrantenkreisen „kein so festes Milieu von Homöopathie gläubigen Esoteriker inklusive Impfskeptikern“ gäbe, wie unter Akademikern mit Migrationshintergrund. Bei gebildeten Migranten gäbe es selten einen „Hang zu Prenzlauer Berg und Lastenfahrrad“ gibt die leitende Ärztin amüsiert zu bedenken.

Und damit ist dann schon ungefähr das Niveau dieser Studie erreicht. Eine dünne wie windige Befragung, die offensichtlich lediglich eine Alibi-Funktion erfüllen soll, aber den tatsächlichen Sichtweisen von Menschen mit Migrationshintergrund keine Beachtung schenken will. Hier ist nur der Migrant ein guter Migrant, der sich impfen lässt, alle anderen sind ungebildet oder Opfer von Diskriminierungserfahrungen. Eine diskriminierende Studie aus dem Robert Koch-Institut.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“

Bild: Stefan Brending, Creative Commons CC-by-sa-3.0 de
Text: wal

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