Von Daniel Weinmann
In der Regierungskoalition wird heftig darüber gestritten, welche Corona-Maßnahmen nach dem Auslaufen der bisherigen Regeln nach dem 19. März weiter gelten sollen. Nach Wunsch der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers Scholz soll der Bundestag bis dahin neue „niedrigschwellige Basisschutzmaßnahmen“ im Infektionsschutzgesetz festschreiben.
Dieser Terminus ist ein Paradebeispiel für Corona-Neusprech. Denn dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Beibehaltung zentraler Maßnahmen wie Impfnachweiskontrolle, Maskenpflicht, Abstandsgebot und Testpflicht.
Für den früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier ist dies „ein Schlagwort ohne jede juristische Aussagekraft“. Die wesentlichen Schutzmaßnahmen müssten im Gesetz selbst bestimmt werden, sagte der Staatsrechtswissenschaftler der Welt, „und sie müssen dazu geeignet sein, das gesetzte Ziel mit verhältnismäßigen Mitteln tatsächlich zu erreichen. Diese Abwägungen darf man auf Dauer nicht, wie bisher, weitgehend dem Ermessen der Exekutive überlassen“.
„»Wir wissen nicht, ob eine Impfpflicht im kommenden Herbst überhaupt noch erforderlich ist«
Einer Impfpflicht steht er kritisch gegenüber: „Sie wäre in jedem Fall ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Integrität und Selbstbestimmung, der nur zu rechtfertigen wäre, wenn ohne diesen Eingriff wichtigen Gemeinschaftsgütern schwere Gefahren drohen.“
Angesichts der „ungewissen Entwicklung der Pandemie“ lässt sich dies nach Ansicht Papiers jedoch schwer vorhersagen. „Wir wissen nicht, ob eine Impfpflicht, die wir jetzt mit Blick auf den kommenden Herbst und später einführen würden, dann überhaupt noch erforderlich ist, um zum Beispiel unser Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen. Das gilt für eine allgemeine, aber auch für eine auf bestimmte Altersgruppen bezogene Impfpflicht.“
Man wisse nicht genau, ob der zur Verfügung stehende Impfstoff geeignet sei, die drohende Gefahr dauerhaft abzuwenden. „Genauso wenig wissen wir, mit welcher Virusvariante und welchem Grad der Gefährdung wir es im Herbst und später zu tun haben werden“, gibt der 78-Jährige zu bedenken, „insofern bezweifele ich, dass die Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht zum jetzigen Zeitpunkt den rechtsstaatlichen Anforderungen an einen solchen Eingriff in die Freiheitsrechte gerecht wird.“
»Das parlamentarische Prinzip ist für unsere Demokratie essenziell«
Insgesamt gelte, dass alle Einschränkungen nicht einfach ins Blaue hinein vorgenommen werden dürfen. „Jede dieser Maßnahmen muss im Hinblick auf die tatsächliche Gefahrenlage geeignet, notwendig und angemessen sein“, fordert Papier. Das zu bewerten sei angesichts der auch nach zwei Jahren Pandemie „noch immer bedauernswert unklaren und unsicheren Datenlage“ äußerst schwierig.
Allein aus diesem Grund plädiert er eindeutig für eine restriktive Ausgestaltung der künftigen Maßnahme-Möglichkeiten der Exekutive. Wesentliche Entscheidungen über Grundrechtseinschränkungen müssten in jedem Fall den Parlamenten vorbehalten sein. Grundsätzlich hält er das parlamentarische Prinzip, das während der Pandemie so stark untergraben wurde, „für unsere Demokratie essenziell“.
Mit Blick auf die Berücksichtigung des Parlaments ortet er einen Unterschied zwischen der Ampel-Koalition und der großen Koalition: „Die ersten knapp zwei Jahre der Pandemie waren dadurch gekennzeichnet, dass die sehr weitreichenden Freiheits- und Grundrechtsbeschränkungen überwiegend nicht etwa von den gewählten Volksvertretern beschlossen wurden, sondern durch die Exekutiven der Länder, also im Wesentlichen die Landesregierungen.“ In diesem Ausmaß sei dies nicht mehr so: „Das halte ich für einen Fortschritt.“
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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