„Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Vertrauen ist der Anfang von allem. Ein Slogan, mit dem die Deutsche Bank vor vielen Jahren gut beschrieben hat, was die Grundlage von Wirtschaft ist.
Wirtschaft – dazu kommen wir später – liegt diesem Senat bekanntlich nicht so, also versuchen wir es anders: „Vertraue, aber prüfe nach.“ Mit Lenin kann doch die Mehrheit dieses Hauses mehr anfangen als mit Marktwirtschaft?
Eben dieses Vertrauen hat ihnen eine breite Mehrheit viel zu lange entgegengebracht, ohne nachzuprüfen. Und was haben Sie mit dem Vertrauen gemacht?
Blind haben Sie voneinander die unsinnigsten Verordnungstexte auch noch falsch abgeschrieben wie schlechte Schüler:
Als ich Anfang Mai darauf hinwies, dass in Ihrer Verordnung wegen schlampiger Formulierungen – weil Sie den Unterschied zwischen „und“ und „oder“ nicht beachtet haben – der Kontakt zwischen vielen Eltern und ihren Kindern verboten wurde, bezeichneten Sie das als „Redaktionsversehen“.
Den Betrieb von Prostitutionsfahrzeugen – im Gegensatz zu Bordellen – haben Sie ebenfalls „aus Versehen“ nicht untersagt.
Nicht erklären konnten Sie auch, weshalb das Öffnen eines Schuhgeschäfts gefährlich sein sollte, ein Fahrradladen aber harmlos.
Dass das Sozialgericht der interessierten Öffentlichkeit grundsätzlich den Zugang zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen verwehrt hat, hat Sie auch nicht gestört.
Aber man hat Ihnen weiterhin vertraut. Und einige wenige haben nachgeprüft:
Von Anfang an stützen Sie Ihre Argumentation auf Infektionen. Umso interessierter war ich an der Feststellung, wie viele Infektionen es eigentlich gibt und wo diese entstehen. Entgegen einer weit verbreiteten Unwahrheit wissen Sie aber gar nicht über Infektionen im Sinne des Gesetzes Bescheid, auf dessen Grundlage Sie Ihre Verordnungen erlassen.
Wie meine parlamentarischen Anfragen ergeben haben, haben Sie – und damit wir alle – schon keine Ahnung, welches der rund 600 unterschiedlichen aktuell auf dem deutschen Markt angebotenen Testverfahren in welchem Labor bei welchem Test verwendet wurde. Da im Prinzip jedermann einen „Test“ auf den Markt werfen kann, ist die Genauigkeit der Ergebnisse höchst unterschiedlich.
Sie wissen auch nicht, bei welchem CT-Wert der jeweilige individuelle Test positiv wurde und damit auch nicht, ob er – wenn er überhaupt etwas anzeigt – ein vermehrungsfähiges Virus gefunden hat.
Aber kommt es auf die Frage der Vermehrungsfähigkeit überhaupt an?
Bei infektionsmedizinischen Milchmädchenrechnungen wie Ihrer „Ampel“ freilich nicht, nach dem Gesetz – an das Sie als Senat gebunden sind – allerdings schon: eine Infektion besteht nämlich nach § 2 IfSG nur dann, wenn ein vermehrungsfähiges Virus aufgenommen wird. Sämtliche Ihrer Maßnahmen, die nach ihrem Bekunden allein der Reduzierung „positiver Testzahlen“ dienen, wären demnach nicht durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt.
Dieses blinde Stochern im Nebel ist daher nach meiner Überzeugung aktuell eben deshalb rechtswidrig.
Wenn schon nicht klar ist, wie viele Infektionen es überhaupt gibt, kann auch für keine Ihrer Maßnahmen eine pflichtgemäße Verhältnismäßigkeitsprüfung stattgefunden haben, denn eine Seite der Abwägung fehlt ja völlig. Das haben Sie freundlicherweise bestätigt: Sie „gehen davon aus“, dass ihr eigenes Handeln verhältnismäßig ist. Blindes Vertrauen ohne jede Grundlage.
Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, was der Grund für diese höchst ungewöhnliche Reaktion auf eine durch ein Virus übertragbare Krankheit sein soll: die „drohende Überlastung des Gesundheitssystems“. Das gibt uns denklogisch zwei Lösungsoptionen: Reduzierung der Nachfrage nach Leistungen oder Erhöhung des Angebots dieser Leistungen.
Auf meine Frage, was Sie binnen der letzten sieben Monate unternommen haben, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen war die Antwort: wir haben für 28,6 Millionen Euro Geräte bestellt.
Aber das ist ja nicht alles: Sie haben auch für einen dreistelligen Millionenbetrag „Masken“ bestellt – zu Einzelpreisen von bis zu 29,95 € in der Kulturverwaltung.
Wenn man dem jüngsten Bericht der Berliner Zeitung folgt, war das nur die Spitze des Eisbergs, denn sogar die Polizei hat demnach zu absoluten Mondpreisen bei dubiosen Händlern gekauft, so dass Sie insgesamt dem Landeshaushalt einen immensen Schaden zugefügt hätten.
Sie lassen für etwa fünf Millionen Euro pro Woche – das kostet eine volle Polizeihundertschaft in einem ganzen Jahr – PCR-Tests durchführen, zu denen Sie nicht einmal die notwendigsten Daten erfassen.
Und mit Ihren wahllos durch die Gegend geworfenen faktischen Berufsverboten für alle möglichen Gruppen, die Ihnen persönlich unliebsam sein mögen – Kinobetreiber, Künstler, Kosmetiker, Kellner, Prostituierte, Schausteller und Tätowierer – vernichten Sie nicht nur die Quelle des volkswirtschaftlichen Wohlstands, mit dem Sie hier um sich werfen, sondern vernichten auch reihenweise Existenzen. Von Verhältnismäßigkeit keine Spur!
Statt diejenigen zu schützen, die von einer Infektion womöglich schwer betroffen wären – die chronisch Kranken, Behinderten, Alten und Schwachen – stacheln die landeseigenen Betriebe auch noch gegen diese Gruppen auf: der Mittelfinger für alle ohne Maske war der Höhepunkt, aber das tägliche Mobbing gegen angebliche „Maskenmuffel“ bei BVG oder Bäderbetrieben verfehlt seine Wirkung – Spaltung – nicht.
Während Sachsen in § 3 Abs. 2 seiner Verordnung ausdrücklich diese Gruppen vor Diskriminierung und Angriffen schützt, bleibt der rot-rot-grüne Senat, der sich sogar einen Antidiskriminierungssenator leistet, untätig und hält diese Diskriminierungen gar für zulässig.
Während der Schwerbehindertenausweis in Sachsen ausreicht, will der Berliner Senat die Bürger zur Offenlegung ihrer Krankengeschichte an der Supermarktkasse nötigen.
Wiederholt habe ich gefragt, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Sie einen Nutzen der sogenannten „Alltagsmasken“ annehmen und wie Sie die Studien bewerten, nach denen diese nicht nur nutzlos, sondern womöglich sogar infektionsfördernd sein können. Auch diese Gelegenheit, sich endlich einmal dem Souverän – den Bürgern – zu erklären, haben Sie verstreichen lassen.
Wenn hier immer wieder das Gefahrenabwehrrecht angeführt wird, dann doch bitte richtig: das Gefahrenabwehrrecht unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Ihre Maßnahmen müssen also geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Dass diese geeignet sind, haben Sie über Monate und auch heute mit Ihrer Vorlage nicht begründet.
Dass diese erforderlich sind, haben Sie über Monate und auch heute mit Ihrer Vorlage nicht dargelegt.
Und dass diese angemessen sind, also nicht am – jedenfalls zeitlichen – Übermaßverbot scheitern, können Sie nach sieben Monaten erratischer Eingriffe nicht glaubhaft machen, weil Sie – ich verweise auf den Anfang meiner Rede – nicht einmal die Zahl der Infektionen im Rechtssinne sauber erfassen!
In welchem Verhältnis zu dem bereits angerichteten und noch kommenden Schaden steht der Nutzen Ihrer Politik? Sie hätten heute Gelegenheit gehabt, dies nachvollziehbar zu erklären und dem Parlament die Möglichkeit zu geben, darüber für den Souverän ein Urteil abzugeben.
Sie haben es nicht getan und ich muss befürchten, dass Sie es nicht können. Und deshalb habe ich in diesen Senat kein Vertrauen. Das haben Sie zerstört. Bei mir und bei sehr vielen Menschen.
Abschließend bitte ich Sie alle, sich bei allen Entscheidungen die Worte Hans Buchheims vor Augen zu führen:
„Die Menschen unter totalitärer Herrschaft sind immer im Einsatz, immer angestrengt. Sie müssen in einer Atmosphäre der Freudlosigkeit, des Mißtrauens ständig darauf bedacht sein, ihre Loyalität unter Beweis zu stellen. Das Regime gestattet ihnen nicht, sich zu entfalten, sondern will aus ihnen andere machen als sie von Natur aus sind, es engt sie nicht nur in ihrer Freiheit ein (…) kein Winkel des öffentlichen noch des privaten Lebens bietet Sicherheit vor Kontrolle.
Wenn das Böse in Gestalt des Geschichtlich-Notwendigen, des Gemeinnutzes, des Wohles des Volkes oder der Klasse auftritt, gerät der Mensch in schier unauflösliche sittliche Konflikte. Das eigentliche Merkmal totalitärer Herrschaft ist aber die schleichende Vergewaltigung des Menschen durch Perversion des Denkens und sozialen Lebens.“
Vielen Dank.“
Bild: DesignRage/Shutterstock / Boris Reitschuster
Text: br/Gast