Immer wieder kommt es zu unschönen Szenen in Deutschlands Geschäften. Kunden ohne Maske werden nicht nur von anderen Kunden angepöbelt. Auch die Mitarbeiter stellen sie zur Rede – etwa Kassierer und Verkäufer. Oft wird dabei von ihnen verlangt, dass sie ein Attest vorzeigen. Genauso etwa im öffentlichen Nahverkehr oder in der Bahn. Solche Szenen gehören mittlerweile zum Alltag in Deutschland. Und jetzt ergab eine parlamentarische Nachfrage des Berliner FDP-Abgeordneten Luthe dazu Erstaunliches: Niemand ist verpflichtet, „nicht hoheitlich tätigen Personen“ gegenüber irgendwelche Gründe für ein Nicht-Tragen von Masken darzulegen. „Hoheitlich tätigen Personen“ sind etwa Beamte oder bei bestimmten Behörden wie dem Ordnungsamt angestellte Mitarbeiter.
Luthes Frage: „Wem gegenüber müssen Bürger, die nicht zum Tragen einer sogenannten Maske verpflichtet werden können, diesen Umstand auf welcher rechtlichen Grundlage offenlegen?“
Die Antwort der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (das Original finden Sie im Anhang): „Eine Pflicht, Tatsachen geltend zu machen, die die Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 3 – insbesondere der Nr. 2 – SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung untersetzen, gibt es nicht. Im Zusammenhang mit Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen des Vollzuges der Verordnung einschließlich des § 11 besteht ergänzend zur Amtsermittlungspflicht der Ordnungsbehörden eine Obliegenheit von Personen, die keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen in Situationen, in denen grundsätzlich eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen- Bedeckung besteht, die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 4 Abs. 3 SARS-CoV- 2-Infektionsschutzverordnung darzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn die Gründe für die Ausnahme aus der Sphäre dieser Personen stammen und/oder ihnen die notwendigen Informationen unkompliziert zur Verfügung stehen. Eine Mitteilungsobliegenheit wegen Pflichten aus der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung besteht nur gegenüber hoheitlich tätigen Personen.“
Das heißt, dass faktisch in Supermärkten, Geschäften, Bussen und Bahnen täglich massiv gegen geltendes Recht verstoßen wird bzw. Amtsanmaßung stattfindet. Dies ist insbesondere deshalb brisant, weil nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg Atteste eine Diagnose enthalten müssen – anders als etwa Krankmeldungen für den Beruf. Somit würde jeder Kassier oder Busfahrer durch ein Attest genau die Krankheiten der Kunden kennen – nicht nur bei psychischen Krankheiten ein Datenschutz-Albtraum.
Weiter fragte Luthe: „Ist jedermann berechtigt, bei einem vermeintlichen Verstoß gegen die Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Senats einzugreifen und den mutmaßlichen Täter einer Ordnungswidrigkeit, die ein solcher Verstoß darstellt, vorläufig festzunehmen? Falls nein, trifft es zu, dass § 127 StPO bei Ordnungswidrigkeiten nicht einschlägig ist?“
Die Antwort der Regierung: „Gemäß § 46 Abs. 3 S. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz ist die vorläufige Festnahme gemäß § 127 Strafprozessordnung bei Ordnungswidrigkeiten unzulässig.“
Auf zwei Fragen des Abgeordneten verweigerte der rot-rot-grüne Senat jede Auskunft – mit dem Hinweis, er beantworte „keine hypothetischen Rechtsfragen“ – was Luthe für unzulässig hält. Hier die beiden Fragen, die Berlins Regierung nicht beantworten möchte – offenbar, weil sie ihr zu heikel sind:
- „Kann die Aufforderung, Mund und Nase mit einem die Atmung erschwerenden Gegenstand zu bedecken gegenüber – insbesondere – Menschen mit COPD, Asthma, Allergien, anderen Atemwegsobstruktionen, Sauerstoffmangel im Blut, Panikattacken oder sonstiger psychisch bedingter Atemnot eine strafbare Nötigung oder Körperverletzung oder einen anderen Straftatbestand erfüllen darstellen? Falls ja, wann beispielhaft?“
- „Ist ein Hausverbot gegen Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht zum Tragen einer sogenannten ‘Maske‘ verpflichtet sind vor dem Hintergrund des AGG – und des LADG in Behörden, öffentlichen Gebäuden und Landesbeteiligungen – rechtlich zulässig? (vgl. etwa BGH vom 09.03.2012 zu V ZR 115/11)“
Luthe nimmt die Antworten bzw. Nicht-Antworten des Senats zum Anlass für eine Generalabrechnung mit der Corona-Politik: „In einem Rechtsstaat müssen Regeln klar bestimmt und nachvollziehbar sein. Mit ihrer hektisch teils wöchentlich geänderten, teils widersprüchlichen, teils offen rechtswidrigen Verordnungspolitik haben die Landesregierungen dieses Prinzip nun über Monate ausgehöhlt.“
Weiter sagt der Abgeordnete: „Ob ein Mensch an einer chronischen Krankheit oder Schwerbehinderung leide, geht natürlich den Supermarktmitarbeiter nichts an. Das eine solche Selbstverständlichkeit einer Klarstellung durch eine Staatssekretärin bedurfte, ist schlimm genug. Wichtig ist nun aber, dass diese unzulässigen Diskriminierungen chronisch Kranker und Schwerbehinderter sofort beendet werden und die Unternehmen, die diese Menschen wegen ihrer Krankheit diskriminieren, auch zur Verantwortung gezogen werden.“
Besonders pikant nach Ansicht des Liberalen: „Ganz praktisch betrachtet zeigt diese Antwort einmal mehr den Unsinn der Verordnungen: Kein Ladenbesitzer darf selbst kontrollieren, ob ein Ausnahmetatbestand auch vorliegt; er darf auch niemandem, bei dem dieser Tatbestand vorliegt, unzulässig diskriminieren und somit einem Behinderten wegen seiner Behinderung ein Hausverbot erteilen. Und auf welcher Grundlage will dann eine Landesregierung den Ladenbesitzer zur Verantwortung ziehen, wenn es in seinem Geschäft vermeintliche Verstöße gibt? Es kann keine geben, weil die Verordnungen handwerklicher Murks sind.“
Luthes Rat an Betroffene: „Der Justizsenator hat kürzlich eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet, die unter [email protected] und über die 030-9013-0 bei staatlicher Diskriminierung in Berlin hilft. Davon sollten alle Betroffenen regen Gebrauch machen. Das eine vorläufige, sogenannte ‘Jedermann‘-Festnahme bei vermeintlichen Verstößen gegen die Verordnungen unzulässig ist, sollte nun auch jeder wissen.“
Interessant ist auch, wie bei dem Thema Stimmung gemacht wird. So verbreitet etwa Focus Online, Zentralorgan der Corona-Panikmache, eine Studie über Ansteckungsgefahren, die auf der Untersuchung von lediglich 314 Personen beruht: „154 waren nachweislich infiziert, 160 erhielten ein negatives Ergebnis.“ Demnach waren die positiv Getesteten „häufiger in Bars, Restaurants und Cafés waren“ als die negativ Getesteten. Dazu schreibt Focus: „Die Forscher erklären: ‘Die Richtung, Belüftung und Intensität des Luftstroms können die Virusübertragung beeinflussen, selbst wenn soziale Distanzierungsmaßnahmen und das Tragen von Masken nach den aktuellen Richtlinien durchgeführt werden‘.“ Betonung auf dem Wort „können“: Es „könnte“ auch sein, das Regen das Virus beeinträchtigt. Weiter heißt es: „Im Gegensatz zu Supermärkten und Fitnessstudios könnten die Masken in Restaurants, beim Essen und Trinken zudem nicht effektiv getragen werden.“ Dass Masken in Fitnessstudios „effektiv getragen“ werden, ist mir neu. Aber Fakten könnten ja auch stören beim Framen.
Text: red