Ist die Mehrheit der deutschen Bevölkerung bereits gegen Corona immun? Ergebnisse einer Studie weisen auf eine massive Verdunkelungsgefahr hin

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Stephan Luckhaus, Universität Leipzig, Mathematisches Institut

Ein Leser meiner Corona-Beiträge hat mich auf die Studie aufmerksam gemacht, die ich hier diskutieren möchte. Sie birgt Sprengstoff. 

Bei der Diskussion um die geeigneten Maßnahmen zur (möglichen) Eindämmung der Covid-19-Infektion spielt es eine enorme Rolle, von welcher Dunkelziffer man bei den gemeldeten Fällen ausgeht. Das RKI bzw. sein Leiter Lothar Wieler versucht konstant zu behaupten, dass etwa 50 % der Infektionen gemeldet werden. So wurde in der ersten Version des Datenblattes für die Corona-Lokal-Studie in Bad Feilnbach ein Prozentsatz von ca. 40 Prozent gemeldeter Fälle behauptet, in der neuen Version vom Dezember 2020 sind wir bei ca. 20 Prozent gemeldeter Fälle gelandet, was nahe an der Streeckschen Schätzung für die Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg liegt. Zu diesen Zahlen käme man, wenn man glaubt, dass der standardisierte Antikörpertest bei ca. 90  Prozent von all denen anspricht, die die Infektion durchlaufen haben. Wir wissen aber längst: auch das ist falsch. Jetzt gibt es noch einmal einen Versuch des RKI mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut DWI (siehe hier), die Annahme zu verteidigen, dass 50 Prozent aller Fälle auch wirklich gemeldet sind. Die Charité ist diesmal, also bei diesem Versuch, nicht dabei – man wollte sich wohl nicht lächerlich machen.

Was hat man gemacht: Die Daten sind zum einen PCR-Tests von Selbstbeprobungen, und zum anderen Antikörpertests von selbst entnommenen Trockenblutproben. Ich möchte das gar nicht kommentieren.

Unbemerkte Sommerwelle

Wenn man eine solch niedrige Dunkelziffer von nicht gemeldeten bzw. nicht bekannten Fällen annimmt, kommt man dann auf ein wesentlich höheres Sterblichkeitsrisiko, als dieses in der SEROCoV-POP-Studie für Genf nachgewiesen wurde. Dort kamen auf 10.300 Seropositive (mit positiver Antikörper-Immunantwort) in der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre 16 Tote. Über alle Altersgruppen zusammen war das Risiko höher, aber weniger als sieben Promille. Diese Zahl war auch für London gültig. Ich gehe allerdings davon aus, dass der Anteil der Seropositiven unter den Infizierten nicht mehr als 60 Prozent beträgt. Ich habe das in einem früheren Beitrag erklärt. Wenn man das akzeptiert, dann kommt man für Mitte Februar 2021, dem Zeitpunkt, als die neue Epidemie mit der britischen Variante B.1.1.7 startete, zu Zahlen, die ich hier vorstellen werde. In den östlichen Bundesländern sind das 70 Prozent Durchseuchung und mehr. Und auch in den westlichen Bundesländern waren demnach wesentlich mehr als die Hälfte der Menschen bereits einmal infiziert. Hier ist der Grund für die unbemerkte Sommerwelle, mit ihrer extrem geringen Sterblichkeit.

Und in der Tat gibt es eine Studie zum Infektionsrisiko im ÖPNV im Rhein-Main-Gebiet, aus der sich ableiten lässt, dass die überwiegende Anzahl von Infektionen ab Mitte Februar 2021 Reinfektionen von Personen waren, die schon gegen die Wuhan-Variante des Virus immunisiert waren, aber eben nicht gegen die britische. (Für den Hinweis auf die Studie danke ich Herrn Schraag). Mit anderen Worten: Die meisten Personen im aktiven Alter haben schon die Immunisierung, die sie mittelfristig nach einer Impfung erhoffen können.

Im Auftrag des baden-württembergischen Verkehrsministeriums wurde eine Studie mit 731 zufällig ausgewählten Teilnehmern im Personen-Nahverkehr im Frankfurter Raum durchgeführt. Im Wesentlichen wurden die Teilnehmer auf Antikörper (IgG) und Virus-RNS (PCR) getestet. In der Kalenderwoche 7/2021 wurden dabei 35 IgG-Positive gefunden, die gleichzeitig PCR-negativ waren. Ein Teilnehmer war IgG- und PCR-positiv und zwei weitere PCR-positiv. Die positiv getesteten Teilnehmer nahmen nicht weiter an der Studie teil. Von den anderen wurden 666 nach 5 Wochen erneut getestet. Es wurden 23 Antikörper(IgG)-Positive und ein PCR-Positiver gefunden. Im Verlauf der Studie waren noch drei weitere PCR-Positive mit typischer Symptomatik gefunden worden. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, gehe aber davon aus, dass nicht mehr als einer von diesen dreien am Endpunkt der Studie PCR-positiv war. Es sieht definitiv so aus, als ob die Neuinfektionsrate mehr oder weniger konstant war, und zwar 0,8 % pro Woche. Warum ist das so brisant?

Wenn Sie PCR-Positive und Antikörper(IgG)-Positive vergleichen, ergibt sich eine mittlere PCR-Sichtbarkeit von drei bis vier Tagen* für alle Personen, bei denen eine Antikörper(IgG)-Immunantwort nachgewiesen wurde. Weiter ergibt sich eine mittlere Antikörper(IgG)-Sichtbarkeit von 40-50 Tagen. Das Zweite überrascht nicht. Ebenfalls überrascht nicht, dass die Inzidenz gemessen durch Antikörpertests 10-mal so hoch ist wie die RKI Inzidenz für dieselben 5 Wochen in Hessen.

Die drei bis vier Tage PCR-Sichtbarkeit sind der eigentliche Sprengstoff, da man bisher mindestens von fünf bis sieben Tagen, andere Autoren sogar von neun bis elf Tagen, ausgegangen ist.

Mindestens 70 Prozent der Infektionen sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine Neuinfektionen, sondern Reinfektionen mit der britischen Variante B.1.1.7.

Rückschlüsse auf die Impfung

Sogar das „klinische“ Bild lässt sich mit einiger Verlässlichkeit rekonstruieren. Bei den 70 Prozent, die schon die Infektion mit dem Wuhan Virus durchlaufen hatten, gab es keinen nennenswerten Antikörper-Titer mehr. Die produzierenden B-Zellen waren aber wohl noch vorhanden, und haben innerhalb von fünf Tagen (nach Infektion, nicht nach Symptombeginn) die Produktion hochgefahren. Und nichts anderes wäre passiert, wenn die Teilnehmer zwei Monate vor der Studie die zweite Impfung erhalten hätten. Mediziner, die Ihnen etwas anderes erzählen, sind meines Erachtens nicht vertrauenswürdig.

Lassen Sie mich jetzt noch auf die Frage eingehen, woher die 70 Prozent Immunisierten in Hessen denn kommen sollen.

Nach RKI wäre die kumulative Inzidenz in Hessen am 16.02.2021 2,9 Prozent und am 29.09.20 0,3 Prozent. Wie schon oben gesehen, muss man hier den Faktor 10 anbringen, um die wahre Inzidenz messbar in Antikörpertests zu ermitteln. Weiter entwickelt ein hoher Anteil sogenannter Asymptomatiker keine messbare Antikörper(IgG)-Antwort. Das natürliche Immunsystem ist nun einmal sparsam und überschüttet uns nicht mit überflüssigem und potentiell durchaus schädlichem Immunglobulin. Für die Infektion mit dem Wuhan Virus habe ich in einem früheren Artikel eine sogenannte Serokonversion von 60 Prozent errechnet. Das würde dazu führen, dass die wahre Inzidenz am 16.02.2021 48 Prozent gewesen wäre. Immer noch viel zu wenig.

In Sachsen sähe dies anders aus. Dort wäre die Inzidenz mit der gleichen Rechnung 74 Prozent.

Durch Vergleich von Sachsen und Hessen, und eine epidemiologische Kurvendiskussion, die ich in den Anhang verbanne, kann ich die „fehlenden 20 Prozent“ der Sommerinfektionswelle 2020 zuordnen. Diese hat praktisch als Spur die PCR-Testergebnisse für die damaligen Urlaubsheimkehrer hinterlassen: immerhin 2,1 Prozent Positive, also das Vierfache des Ergebnisses der hier diskutierten Studie.

„Moralische„“

Ich hoffe, ich kann die Charité Research Organisation überzeugen, eine Nachuntersuchung der Studienteilnehmer mittels Antikörper(IgG)- und T-Zellen-Tests vorzunehmen. Die Hersteller der letzteren versprechen, dass diese noch nach 240 Tagen mit 80 Prozent Sensitivität reagieren (zumindest bei den Serokonvertierten). Dies gäbe Aufschluss, aber nur solange nicht zu viele dieser Personen überflüssigerweise geimpft sind. Und das ist, was ich mit Verdunklungsgefahr meine.

Ich sehe eine moralische Verantwortung für die Medizin, nicht nutzlos Menschen zu impfen, und sie damit der realen Gefahr von Nebenwirkungen auszusetzen, die, und das weiß ich aus persönlicher Erfahrung, oft gar nicht gemeldet werden, auch wenn sie nicht harmlos sind**.

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* Hierbei gehe ich von der mittleren Infektionsrate pro Woche unter den 666 Teilnehmern aus, die im Laufe von 5 Wochen getestet werden. Wenn man mit dieser Rate in die Woche vor den Beginn der Studie geht, kommt man auf ca. 6 Neuinfektionen, von denen zum Zeitpunkt des ersten Tests 3 PCR-positiv getestet worden sind.

** Ich schätze Angela Merkel so ein, dass sie sich sehr wohl informiert oder informieren lässt, was auf den Webseiten von Boris Reitschuster erscheint. Ich behaupte hier, dass Mitte Februar 2021 zwischen 70 % und 80 % der Bevölkerung die Infektion mit der Wuhan-Variante von Covid durchlaufen hatte. Und ich vermute, dass T-Zellen-Tests einen großen Teil dieser Personen, vielleicht sogar bis zu 80 % entdecken würden. Vielleicht ist die Bundeskanzlerin wirklich nur schlecht beraten von Wieler und Drosten. Es gäbe für die Bundesregierung die Möglichkeit, groß angelegt T-Zellen-Tests zu initiieren. Entweder als klinische Tests, Kostenpunkt 1 Mio. Euro und mehr für 120 Teilnehmer, oder in der Weise, dass jeder, der im Alter von 18 bis 50 Jahren in den Testzentren einen negativen Antigentest hat, gefragt wird, ob er an der Studie teilnehmen will. Falls ja, wird er zu einem teilnehmenden Laborarzt zur Blutabnahme geschickt. Das Blut wird erst auf IgG untersucht, und im Negativfall wird der T-Zellen-Test durchgeführt. Kostenpunkt 200 Euro plus pro Teilnehmer.

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Anhang I: Eine Kurvendiskussion

Die Daten, von denen ich hier ausgehe, sind die RKI Zahlen für die beiden Bundesländer Hessen und Sachsen. Für die beiden Perioden März bis Juni 2020 und 29.09.2020 bis 16.02.2021 gehe ich von bekannten Dunkelziffern aus. In der ersten Periode kann man annehmen, dass nur 5 % der tatsächlichen Fälle als PCR-positiv entdeckt wurden, und in der zweiten Periode 6 % der Fälle. Dies basiert auf der Schätzung, dass nur 60 % der Infizierten serokonvertieren.
Die kumulative Infektionsrate in der zweiten Periode wäre dann 42 % für Hessen und ca. 70 % für Sachsen. Der Einfachheit halber rechne ich mit null Infektionen am 29.09.2020 für Sachsen und einer unbekannten Anzahl für Hessen, sowie der gleichen unbekannten Ansteckungsrate.
Schließlich rechne ich so, als ob es einen Teil der Bevölkerung gäbe, der selbst ziemlich homogen ist, und der das Infektionsgeschehen bestimmt. Die Infektion innerhalb dieser Gruppe, und von dieser Gruppe in die anderen Gruppen hinein, ist dominierend. Dann kann man das einfachste, sogenannten SIR-Modell benutzen und kommt auf folgende Gleichungen:
log(1 – 0,42/x) + 0,42 a = 0
log(0,3) + 0,7 a = 0
Hierbei bezeichnet a den sogenannten R-Faktor und x den unbekannten Anteil derjenigen, die die Infektion noch nicht durchlaufen hatten.
Elimination von a ergibt x = 0,77, d.h. die kumulative Inzidenz am 29.09.2020 in Hessen wäre ca. 23 % statt ca. 6 %. Am 16.02.2021 wäre sie ca. 65 %.

Anhang II: Die harmlose Sommerinfektion

In der Kurvendiskussion im Anhang I habe ich für Hessen eine kumulative Sommerinzidenz von ca. 23 % für die aktive Bevölkerung ausgerechnet, von denen man 6 % abziehen muss, die schon bis Juni infiziert waren. Das ist vollkommen plausibel, wenn man bedenkt, dass z.B. an den mobilen Testzentren in Bayern die PCR-Positivitätsrate unter den heimkehrenden Urlaubern 2,1 % betrug. Das waren in der Größenordnung von einer Million Infektionen in Hessen im Sommer 2020. Dem stehen ca. 50 Covid-Tote in Hessen während der Sommermonate Juli bis September 2020 gegenüber.
Und wie ist das anderswo: In der NZZ konnte man einen Artikel mit dem Titel „Das Wunder von Elgg“ lesen. In Elgg, im Kanton Zürich, gab es im August und September je einen Infektionsausbruch in einem Altenheim. Insgesamt infizierten sich 56 Personen, darunter 25 hochbetagte Bewohner. Niemand erkrankte schwer, niemand wurde hospitalisiert. Die seelische Belastung für die Bewohner, die fast 5 Wochen am Stück in Quarantäne waren, sei allerdings enorm gewesen (und weitestgehend überflüssig), mahnte der behandelnde Arzt, B. Zürcher.
Mit seiner Empathie kann ich mehr anfangen, als mit dem Spruch von A. Merkel, es bräche ihr das Herz, zu wissen, viele Menschen müssten jetzt in Quarantäne einsam sterben.
Aber was ist eine mögliche Erklärung? Warum ist Corona im Sommer relativ so harmlos, und in der Grippesaison zumindest für ältere Leute definitiv nicht? Dazu habe ich nur eine Vermutung. Sie stützt sich auf die Beobachtung, dass die Monate März 2020 und Dezember 2020, also jeweils vor den schlimmsten Covid-Monaten, ausgesprochene „Grippemonate“ waren. Wenn man jeweils alle im entsprechenden Monat als Covid-Tote geführten Sterbefälle von der Gesamtsterblichkeit abzieht, dann sind immer noch 93.000 Todesfälle im Dezember 2020 und 85.000 im März 2020 zu beklagen. Man sollte systematisch auf andere Erreger testen, wenn man schwere Covid-Fälle vor sich hat. Denn es ist denkbar, dass Covid ein durch andere Infektionen „kompromittiertes“ Immunsystem zum Einfall nutzt. Covid wäre dann als „Opportunist“ besonders gefährlich.

 

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, in diesen Zeiten auch kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen – ohne dass ich als Nicht-Mediziner mir eine fundierte Meinung anmaßen würde. Leider wird man dafür, „abweichende“ Meinungen zu veröffentlichen, heute schon an den Pranger gestellt vom Polit-Medialen Komplex. Aber deswegen kritische Stimmen zu unterdrücken, kommt für mich nicht in Frage. Auch wenn die Anfeindungen und Verleumdungen deswegen noch so laut sind.

Prof. Dr. Stephan Luckhaus (67) erhielt 2003 den Max-Planck-Forschungspreis. 2002 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Am 28. März 2007 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt, 2019 zum Senator der dortigen Sektion Mathematik. Am 6. Dezember 2020 trat er aus Protest gegen die Corona-Politik der Nationalakademie aus dieser aus.

Bild: Schmid, Renate/Wikicommons/OTRS / NGdesignhun / Shutterstock
Text: Gast
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