Ist Merkel laut ihrem eigenen Ost-Beauftragten „diktatursozialisiert“? Ostdeutsche "nicht in der Demokratie angekommen"?

Sehen Sie hier mein Video aus der heutigen Bundespressekonferenz mit weiteren Themen.

Eine Kollegin und Freundin aus den neuen Bundesländern hat sich derart empört über den Ostbeauftragten der Bundesregierung, den CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz, dass sie mir folgende Gedanken in Mail-Form schickte – mit der Anregung, sie für einen Artikel zu verwenden:

Marco Wanderwitz beschreibt ostdeutsche AfD-Wähler als dikatursozialisiert.
Das trifft im Prinzip auf alle Ostdeutschen zu, die, sagen wir, älter als 46 Jahre sind.
Auch auf Angela Merkel!
Merkel fiel mir übrigens als Erste ein, als ich Wanderwitz´ Worte las: „… Menschen, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“.
Herr Wanderwitz, der Ostdeutschen unterstellt, „gefestigte nichtdemokratische Ansichten“ zu haben, gehört übrigens DER Partei an, deren frühere Vorsitzende eine Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hat „rückgängig machen“ lassen.
Auf den Straßen Sachsen-Anhalts sieht man derzeit jede Menge Wahlplakate.
Nur die von einer Partei, der AfD, sind dabei oft beschmiert oder gar vollständig übermalt und zerstört. (Wahlkundgebungen der AfD werden regelmäßig von Leuten mit Megafon regelrecht niedergeschrien.)
Menschen, die so etwas tun, haben meiner Meinung auch „nichtdemokratische Ansichten“. Es dürfte sich dabei allerdings eher um Wähler linker Parteien handeln.

Einen eigenen Artikel zu dem Thema habe ich zeitlich nicht geschafft. Aber ich habe die Anregung der Kollegin aufgegriffen, um Merkels Sprecherin Martina Fietz, eine alte Focus-Kollegin von mir, danach zu befragen. Lesen Sie hier meine Fragen und die Antworten von Martina Fietz:

FRAGE REITSCHUSTER: „Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Herr Wanderwitz, hat für Aufregung gesorgt, weil er faktisch Millionen Ostdeutschen die Demokratiefähigkeit abgesprochen hat und das darauf zurückführte, dass sie diktatursozialisiert seien. Wie sieht denn die Bundeskanzlerin gerade als Ostdeutsche das?“

FIETZ: „Ich möchte Ihnen ganz grundsätzlich sagen, dass Marco Wanderwitz, der seit Februar 2020 Ostbeauftragter der Bundesregierung ist, sich für die Belange der Ostdeutschen und für die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse in der Politik der Bundesregierung engagiert. Mit Sorge verfolgt er natürlich die Tendenzen in einigen ostdeutschen Bundesländern zur Rechtsradikalität und zur Wahl rechter Parteien. Als ein Mittel, dem zu begegnen, sieht der Ostbeauftragte Bildungsarbeit an; denn die Aufarbeitung der DDR-Diktatur ist noch lange nicht abgeschlossen, und die Aufklärung über das DDR-Regime wie auch über den Widerstand in der DDR sind sogar wichtiger denn je. Gerade gegenüber den jungen Menschen steht die Bundesregierung in der Pflicht, den Wert unserer demokratischen Freiheitsrechte und die Gefahren durch totalitäre Regime zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund muss man diese Aussagen sehen, und dem habe ich an dieser Stelle keine weiteren Interpretationen hinzuzufügen.“

ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: „Sie haben aber nicht beantwortet, wie die Bundeskanzlerin das konkret sieht, gerade diese Stigmatisierung. Sie fällt ja selbst unter diese Definition. Die ist ja nach dieser Definition von Herrn Wanderwitz dann auch diktatursozialisiert. Dazu wird sie doch eine Meinung haben, wenn man ihr das damit sozusagen unterstellt.“

FIETZ: „Ich kann das noch einmal etwas weiter ausführen. Es geht ja um die Demokratieförderung insgesamt. Das war auch ein zentrales Anliegen der Kommission ‘30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit‘, die ihre Handlungsempfehlungen hier im Dezember ausführlich vorgestellt hat. Marco Wanderwitz war als Mitglied der Kommission engagiert, was die Erarbeitung dieser Handlungsempfehlungen angeht. Bei der Vorstellung der Handlungsempfehlungen hat der Ostbeauftragte besonders hervorgehoben, dass viele Bürgerinnen und Bürger den weiteren intensiven Austausch darüber wünschen, wie wir in Deutschland miteinander leben und miteinander umgehen. Deshalb habe die Kommission vorgeschlagen, zusätzlich zum 3. Oktober beispielsweise den 9. November als weiteren nationalen Gedenktag zu begehen.

Darüber hinaus kann ich nur sagen: Die Aussagen des Ostbeauftragten stehen für sich. Die hier gemachten Aussagen regen die politische Debatte an und können für das Zusammenwachsen von Ost und West generationenübergreifende Impulse setzen. Das ist die Position dazu.“

In meinen Augen besteht die Antwort aus Allgemeinplätzen und geht völlig an meiner Frage vorbei. Auch wenn das mein subjektiver Eindruck sein mag.

Wie die Beschimpfung von Wählern „der Demokratieförderung insgesamt“ dienlich sein kann, erschließt sich mir nicht. Zumindest, wenn man einen Demokratie-Ansatz zu Grunde legt, der nicht „diktatursozialisiert“ ist.

Ich frage mich, wie für Wähler aus den neuen Bundesländern diese Aussagen von Merkels „Ostbeauftragtem“ klingen mögen.

Als ich heute einem befreundeten Handwerker hier in Berlin davon erzählte, geriet der regelrecht in Wut.

Wüsste man es nicht besser – man könnte fast meinen, Wanderwitz und Co. beabsichtigen genau das Gegenteil von dem, was sie als ihre offizielle Motivation ausgeben: Sie führen der AfD Wähler zu.

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Text: br

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