Jagdinstinkt am Flughafen

22 Stunden für 600 Kilometer, eine Bombendrohung und der Wunsch nach Windeln – wie mein Trip zum Poesie-Festival „Meridian“ in Tschernowitz in der Ukraine zur Zeitreise wurde – im doppelten Sinne. Meine aktuelle Altagsgeschichte

Es gibt Fliegenfallen, Mäusefallen, Lotusfallen und diverse andere – nur von einer Toilettenfalle war mir bis zu dieser Woche nichts bekannt. Dabei ist sie unerbittlich – und stellt das Opfer vor ein schweres Dilemma. Wer in nächster Zeit einen Auslandsflug nach Lwiw (Lemberg) in der Ukraine vor sich hat, sei gewarnt. Denn mit ein bisschen Know-How lässt sich die heimtückische Falle relativ einfach umgehen. Vor allem, wenn man nicht in der früh um halb sechs im polnischen Mittelgebirge von einem grausamen Wecker aus dem Bett gerissen wurde und einen Umsteige-Krimi hinter am Flughafen Warschau hinter sich hat, weil der Zubringerflug aus Krakow anderthalb Stunden zu spät angekommen ist.

Jagdinstinkt am Flughafen
 

 

 

Dabei habe ich naiver Mensch mich in der ersten Minute noch gefreut, als ich nach einem weniger olympia- als slapstick-reifen Sprint durch „Frederik-Chopin“ – so der Name des Flughafens in der polnischen Hauptstadt – buchstäblich in letzter Minute in das Flugzeug nach Lemberg hechtete. Dort angekommen, spielte mir der alte Jagd- (oder eher Flucht-?)Instinkt einen bösen Streich, der nach 16 Jahren Russland nicht mehr auszutreiben ist – auch wenn er heute zuweilen so ein unnötiger Atavismus ist wie der Blinddarm: So schnell wie möglich aus dem Flugzeug, möglichst schnell zur Passkontrolle, um mit etwas Glück abendfüllenden Warteschlangen vor denselben zu entgehen und den Abend lieber bei einem Glas Bier zu verbringen als bei Dutzenden anderen Einreisewilligen vor den Grenzern.

Nun ist Lemberg nicht Moskau, nicht nur was die Schönheit der Stadt angeht, sondern auch den Umfang der Besucherströme: Die Hetze zur Passkontrolle wäre ganz unnötig gewesen, wie mir ein Blick zurück zeigte, nachdem mich die freundliche ukrainische Grenzerin passieren ließ. Als Erstbezwinger der Gepäck-Ausgabehalle machte ich mich auf die Suche nach einem Ort, dessen Dringlichkeit mir zuvor vor lauter Hetze gar nicht bewußt war. Dass sich kein Wegwesser finden ließ, machte mich noch nicht stutzig – zumal ich in der Ferne eine Tür entdeckte mit einem weißen Schild daran entdeckte. Das musste der selige Ort sein, der mit die dringend benötigte Erleichterung verschaffen würde, so war ich mir sicher. Und dann das: „There are no toiletts in the arrvial hall“ stand da.

Angst vor den Zöllnern

Ich war so entsetzt, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, ob das DIN-A4-Blatt von Hand beschrieben war oder aus einem Drucker kam. Gerne hätte ich hier den entsprechenden Beweis geliefert, in Form eines Fotos, aber Sie müssen mir aufs Wort vertrauen, denn in unmittelbarer Nachbarschaft der besagten Tür standen die ukrainischen Zollbeamten. Und auch hier kamen bei mir sofort wieder alte Instinkte zum Tragen: Bloss nicht auffallen, oder gar die Zöllner reizen, sonst gibt es ein böses Erwachen bei der Gepäckkontrolle, sagte ich mir. Die Angst war stärker als der journalistische Dokumentationsdrang.

Und zumindest was eine strenge Kontrolle anging war die Angst auch unnötig. Leider. Denn wie sich herausstellte, war mein Köfferchen nicht so schnell bzw. glücklich wie ich – es hatte das Umsteigen nicht geschafft und war in Warschau zurückgeblieben. Mit dem unangenehmen Nebeneffekt für meine Blase, dass deren Erleichterung in Form der nächsten Toilett in weite Ferne rückte: Zum einen musste ich gefühlte fünf Ewigkeiten warten, bis (fast) alle Koffer da waren und die Befürchtung zur Gewissheit wurde, dass meiner nicht dabei war. Somit ergab sich ein neues Hindernis zum Weg in die (toilettentechnische) Freiheit: Ich musste bei den Männern in Uniform eine Zolldeklaration für den vermissten Koffer ausfüllen – sonst hätte der ohne mich später nie die Staatsgrenze passieren dürfen. Ich hätte mir in diesem Moment eine Windel gewünscht – und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich nicht so recht freuen konnte und schon gar nicht entspannen, als der Chef-Zöllner einen freundlichen Schwatz begann und mir erzählte, wie sehr er Deutschland mag.

In dem Moment verfluchte ich meine deutsche Erziehung, die es mir verbot, der Amtsperson, von Mann zu Mann, mein Malheur zu beichten. Meine dezente Nachfrage, warum es keine Toilette gebe in der Gepäckzone, beantwortete er freundlich: „Dafür haben wir eine vor der Passkontrolle und eine hinter der Grenzkontrolle“. Das war kein echter Trost, ebenso wenig wie meine Beobachtung, dass ich einige Leidengenossen zu haben schien – die zuerst hektisch alle Türen in dem Saal abliefen und dann nach dem beschriebenen, desillusionierenden Schild mit ebenso enttäuschter wie angespannter Miene zurück zum Gepäckband liefen. Wenn die EU schon den Flughafen finanziert hat für die Fußball-EM 2012, und wenn sie für jeden Mist eine Vorschrift hat – warum gibt es dann keine Toiletten-Regelung, sozusagen eine Genfer Konvention für dringende menschliche Bedürfnisse?

Wie all dem auch sei: Zehn Minuten später wußte ich, wie sich echtes Glück anfühlte – und ahnte noch nicht, dass mir dieses Gefühl noch einmal bevorstehen würde…. und mein (Reise-)Abenteuer erst begonnen hatte….
Fortsetzung folgt…
 

 

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