Von Alexander Wallasch
Ändert sich das eigentlich nie? Wie lange noch wollen Institutionen wie gerade wieder die Hamburger Diakonie vor einer politischen Korrektheit einknicken und damit jene gefährden, denen sie doch eigentlich helfen wollen?
Konkret geht es hier um ein in den Medien vielfach mit Vorschusslorbeeren bedachtes Projekt, welches gefährdete junge Mädchen vor der Zwangsprostitution bewahren will. Hieran lässt sich auch beispielhaft festmachen, welchen quälend langen Zeitraum es braucht, bis Staat und Gesellschaft sich eines so ernsthaften Problems annehmen.
Nein, Zwangsprostitution ist kein Phänomen der Neuzeit, aber es gibt bestimmte Formen der Zuhälterei, die vorübergehend Hochsaison haben: Schlimme Fälle kochen emotional hoch und sorgen für eine Momentaufnahme der Empörung – so auch vor etwa zwei Jahren, als die Medien schon einmal umfangreich über die Masche der sogenannten „Loverboys“ berichteten.
2019 zitierte etwa die Deutsche Welle eine Expertengruppe gegen Menschenhandel des Europarates, die zwischen 2014 und 2017 die hohe Zahl von 99 Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit als Opfer von Menschenhandel identifiziert hatte – die Anbahnung dazu soll über das Internet stattgefunden haben. Redakteurin Dorothea Hülsmeier von der Deutschen Presse-Agentur schrieb über „Das perfide System der ,Loverboys‘“ damals: „Erst schöne Augen – dann Prügel“. Mediale Aufhänger waren hier Prozesse gegen diese Loverboys, die Angeklagten waren türkischer, deutscher und mazedonischer Herkunft.
Die Westdeutsche Allgemeine zitierte Anfang Juli 2019 Experten, die Alarm schlugen. Ein Gutachter berichtete von einer „extrem hohen Dunkelziffer, weil die ,Loverboy‘-Methode in der Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst werde“.
Heute, zwei Jahre später (besser spät als nie), hat die Diakonie Hamburg also besagtes Projekt aufgelegt, das junge Mädchen vor dieser perfiden Form der Zwangsprostitution durch Loverboys warnen will. Mehrere Zeitungen berichten – die Artikel jeweils mit einem am Boden sitzenden Mädchen illustriert.
Flirt auf dem Schulhof
»FairLove« heißt das Diakonieprojekt. Das Ziel von »FairLove« wird auf der Website so definiert: „FairLove ist ein Projekt zur Prävention der Prostitution Minderjähriger und zur Aufklärung über die Loverboy-Methode.“ Mädchen und junge Frauen erfahren dort, wie das Unheil seinen Lauf nimmt: „Oft sprechen Loverboys junge Frauen gezielt an: im Internetchat, auf dem Schulhof oder in Clubs. Sie flirten, hören bei Problemen zu, machen Komplimente und Geschenke und laden ihr Opfer auf einen Drink oder zum Essen ein.“
Und noch einiges mehr erfährt man vom Projekt der Diakonie. Zum Beispiel folgende Ratschläge für junge Mädchen, die aber leider klingen, wie einer Jugendzeitschrift der 1970er Jahre entnommen: „Wenn dein Freund möchte, dass du mit anderen Sex hast, ist das keine Liebe. Wenn du Angst vor deinem Freund hast, dann ist er nicht dein Freund.“
Leider wird das Wichtigste gar nicht besprochen – über die wichtigste Prävention: Nämlich zu erfahren, wer diese Loverboys überhaupt sind und bei welcher Klientel die Mädchen besonders aufmerksam sein müssen. Bleibt es so unspezifisch wie jetzt, passiert vor allem eines: die angesprochenen Mädchen werden generell misstrauisch gegenüber Jungen. Das wäre ein Rückfall, der in unserer aufgeklärten und nach Gleichberechtigung strebenden westlichen Welt nichts verloren hätte.
Oder doch? Denn was heute selbst die Polizei aus politischen Gründen nicht mehr wagt offen anzusprechen im Sinne einer umfänglichen Prävention für die Mädchen, war 2019 noch ansatzweise herauszulesen. So scheute sich die »Welt« im Juli 2019 nicht zu berichten, dass die so verniedlichend „Loverboy“ genannten Täter junge Männer meist zwischen 18 und 28 Jahren und meist ausländischer Herkunft wären, „die gezielt nach minderjährigen Mädchen suchen und sich ihr Vertrauen zu erschleichen, um sie später in Form von Zwangsprostitution auszubeuten“.
Extrem hohe Dunkelziffer
Auch hieß es vor zwei Jahren zum einen, dabei müsste von einer „extrem hohen Dunkelziffer“ ausgegangen werden, und zum anderen, dass die Masche in den Jahren zuvor schon im Zusammenhang mit Zwangsprostitution aufgefallen wäre – es also zumindest zeitlich mit der Massenzuwanderung ab 2015 eskaliert ist.
Sicherlich gab es diese Form der Anbahnung einer Zwangsprostitution schon zu Reeperbahnzeiten, als der deutsche Zuhälter das junge Objekt seiner Begierde entsprechend „poussierte“. Aber es wurde gewarnt: Vereinfacht gesagt, warnten Mütter ihre Töchter und Mädchen sich gegenseitig vor diesen schrägen selbstbewussten Vögeln mit den falschen Versprechungen und dem typischen Gehabe und der obligatorischen Ausstattung von der Rolex bis Ami-Schlitten. Diese Warnungen fruchteten zwar nicht immer, aber immer öfter.
Also woher kommt jetzt diese gruselige Renaissance, die intensive Bemühungen und eine kostenintensive Aufklärung beispielsweise durch die Diakonie verlangt? Die Vermutung liegt leider nahe, dass es die deutsche Mehrheitsgesellschaft erst so weit hat kommen lassen. Zwar wissen Polizei, Medien und Politik vielfach, dass es sich bei den Loverboys vorwiegend um junge verrohte Männer ausländischer Herkunft handelt, jedoch wird es nicht kommuniziert. Die Mädchen werden vor allem Möglichen gewarnt, nur nicht vor der mehrheitlichen Herkunft dieser brutalen Kleinzuhälter.
Stattdessen wird weiter der freundliche Flüchtling beschworen, der sich über die Jahre so gut in den Arbeitsmarkt integriert hätte, unbeeindruckt davon, dass erstaunlich häufig ganze Gruppen schon vom späten Vormittag an die großstädtischen Plätze für sich erobert haben. Und so hilfsbedürftig sei der „Flüchtling“ – es wurde so oft wiederholt, dass es junge Mädchen gibt, die alle Vorsicht fallen lassen.
Kopf in den Sand
Mädchen auch von Eltern, die sich beharrlich weigern, sich den realen Verhältnissen anzunähern, wie sie viel zu selten beschrieben werden. Und wenn, dann wie zuletzt begleitet von einem kollektivem „Kopf in den Sand stecken“, als bekannt wurde, dass 700-mal im Jahr ein Mädchen oder eine Frau in Deutschland Opfer einer Gruppenvergewaltigung wird und dass sich diese Gruppen mehrheitlich aus Migranten zusammensetzen. Oder wie es wieder die »Welt« formulierte: „Der hohe Anteil von Migranten unter den Tätern bietet gesellschaftlichen Zündstoff.“
Aber wo sich die deutsche Gesellschaft weigert, die Debatte offen zu führen, da wird sich besagter Zündstoff in der Frage der Herkunft der so sogenannten Loverboys zu einer veritablen Explosion hochschaukeln.
Einflussreiche Zeitungen wie die »Zeit« machen sich mitschuldig: Zwar wird im Blatt über das Phänomen „Loverboy“ auch 2021 wieder berichtet, insbesondere über das Projekt der Diakonie Hamburg, aber auch die Zeit lässt es aus, Ross und Reiter zu nennen und so Eltern, Freunde und Bekannte der potentiellen Opfer wie auch die Opfer selbst für die potentiellen Täter zu sensibilisieren.
Was am Ende dabei schlimmstenfalls herauskommen kann, hat England in den letzten Jahren massiv erschüttert. Denn als die Gesellschaft nicht mehr wegschauen konnte, weil die Fälle derart überhandnahmen, blieb nur noch übrig, die geschundenen und über Jahre hinweg gequälten Opfer zu zählen.
So berichtete der Sunday Mirror Anfang 2018 in einer der wohl düstersten Stunden des Landes darüber, dass die englische Mehrheitsgesellschaft tausendfach weggeschaut oder es ignoriert hätte, dass englische Mädchen von Ausländern im eigenen Land prostituiert wurden. Die Fälle sind teilweise so grausam, dass sich diese massiven Vorfälle bis heute ob der vermiedenen Erzählungen immer noch nicht ins europäische Gedächtnis und damit ins kollektive Warnsystem eingebrannt haben: „Seit den achtziger Jahren sollen rund tausend junge Mädchen im englischen Telford missbraucht und zur Prostitution gezwungen worden sein.“
Warnungen überhört
Achtzehn Monate hätte damals die Recherche gedauert, bis sich der »Mirror« an die Öffentlichkeit wagte. Die Täter kamen aus Pakistan und Asien. Alle hatten weggeschaut und die Tätergruppe nicht beim Namen genannt. Selbst die Warnungen der Sozialarbeiter und der Polizei wurden über Jahre von Politik und Gesellschaft überhört.
„Im Zuge der Recherchen sprachen die Redakteure des »Mirror« mit zwölf Mädchen, die Opfer der Banden geworden sein sollen. Diese berichten unabhängig voneinander von Vergewaltigungen, Prostitution und Abtreibungen. Ein Mädchen berichtete, sie sei wenige Stunden nach ihrer zweiten Abtreibung bereits wieder vergewaltigt worden.“
Sicher ist die Arbeit der Hamburger Diakonie ehrenwert. Aber angesichts von schon wieder zwei Jahren, die zwischen der Empörungswelle von 2019 und dem jetzt berichteten Start des Projektes, welches Mädchen vor diesen Loverboys warnt, vergangen sind, fragt man sich doch, wie viele Mädchen vor einem so schrecklichen Schicksal hätten bewahrt werden können. Und wie viele noch bewahrt werden könnten, wenn sich Medien, Politik und Gesellschaft endlich ein Herz fassen und den, wie es die »Welt« nennt, „Zündstoff“ der Täterherkunft endlich öffentlich machen und die Präventivmaßnahmen entsprechend zum Schutze der Mädchen forcieren.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: kseniya_tretyakova/ShutterstockText: wal