Kafka in Heidelberg

Der Fall Bahner wird immer rätselhafter. Die Behörden haben jetzt auf die Vorwürfe der Anwältin, die nach eigener Aussage zwangsweise in die Psychiatrie gebracht wurde, reagiert. Statt Fragen zu beantworten, wirft die Reaktion von Polizei und Staatsanwaltschaft aber neue auf. Die Situation hat geradezu etwas Kafka´ eskes.

Ich sehe den gesamten Fall in ziemlich vielen Graufarben, ohne ein klares Schwarz-Weiß. Und ich habe heute lange beschrieben, warum er so viele Fragen aufwirft, auch ethische (siehe hier).

Wie zu erwarten war, gab es viele böse Kommentare zu meinem Artikel vor allem auf twitter. Und auch den Hinweis, es stimme doch alles gar nicht, Bahner sei gar nicht in die Psychiatrie gebracht worden, das sei jetzt klar, weil es eine gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Heidelberg und des Polizeipräsidiums Mannheim gebe – die tatsächlich fast gleichzeitig mit meinem Artikel online ging.

Und jetzt die Preisfrage an Sie: Lesen Sie bitte diese Pressemitteilung vom 14. April, 15.06 Uhr, durch, und überlegen Sie sich, ob sie dabei etwas stutzig macht – so wie mich, offenbar aber kaum einen Kollegen und auch nicht die Autoren der Briefe, die schreiben, Bahners Erzählungen seien jetzt widerlegt:

„Wegen des Verdachts, öffentlich zu einer rechtswidrigen Tat aufgerufen zu haben, ermitteln die Staatsanwaltschaft Heidelberg und das Dezernat Staatsschutz der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg gegen eine Heidelberger Rechtsanwältin. Sie soll über ihre Homepage öffentlich zum Widerstand gegen die staatlich erlassenen Corona-Verordnungen aufgerufen haben. Darüber hinaus soll sie dazu aufgerufen haben, sich am Ostersamstag bundesweit zu einer Demonstration zu versammeln (Pressemitteilung Nr. 1 vom 08.04.2020). 

In der Öffentlichkeit, namentlich im Internet, kursieren derzeit Berichte über eine zwangsweise Unterbringung der Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik. Hierzu stellen die Staatsanwaltschaft Heidelberg und das Polizeipräsidium Mannheim fest, dass im Rahmen des gegen die Beschuldigte geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens weder die Unterbringung der Beschuldigten in einer psychiatrischen Klinik noch eine sonstige strafprozessuale Zwangsmaßnahme veranlasst wurden.“

Beim zweiten Absatz glaubte ich zuerst meinen Augen nicht – als erfahrener journalistischer Haudegen, der lange Jahre auch Polizei- und Gerichtsberichterstattung machte. Ist es nur ein Flüchtigkeitsfehler, dieser Formulierung? Oder der Versuch – ich muss mich jetzt vorsichtig ausdrücken, ich will nicht ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten – die Sache nicht ganz klar darzustellen.

Ich schrieb deshalb folgen Presseanfrage an die Staatsanwaltschaft Heidelberg und das Polizeipräsidium Mannheim:

Gestatten Sie mir folgende Nachfragen, da ich Ihre Formulierung für missverständlich halte:

 

1.) Ist nur „im Rahmen des gegen die Beschuldigte geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens“ keine  „Unterbringung der Beschuldigtem in einer psychiatrischen Klinik noch eine sonstige strafprozessuale Zwangsmaßnahme veranlasst“ worden, wie Sie schreiben, oder gab es generell – also unabhängig von dem von Ihnen geführten Ermittlungsverfahren – keine Unterbringung und keine Zwangsmaßnahmen?

2.) Sollten die Ausführungen von Frau Bahner über solche Zwangsmaßnahmen nicht zutreffen, erwägen sie dann wegen dieser Aussagen juristische Schritte gegen sie, etwa wegen übler Nachrede? 

Darauf bekam ich folgende Antwort von der Staatsanwaltschaft Heidelberg:

„Sehr geehrter Herr Reitschuster,

 

vielen Dank für Ihre Anfrage. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde nur über in ihrem Zuständigkeitsbereich – Strafverfolgung – angesiedelte Sachverhalte Auskünfte erteilen kann. Dazu, ob die von Ihnen angesprochene Person sich möglicherweise in einer psychiatrischen Klinik aufhält und ob sie dies ggf. freiwillig oder unfreiwillig tut, kann die Staatsanwaltschaft Heidelberg nur insoweit Stellung nehmen wie geschehen; nämlich dass dies im Rahmen des von ihr geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens definitiv nicht veranlasst wurde. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat keinerlei Zwangsmaßnahmen gegen die Beschuldigte entfaltet. Für die Beantwortung von Fragen zur Tätigkeit anderer Stellen ist die Staatsanwaltschaft Heidelberg nicht zuständig.

 

Inwieweit die von Ihnen aufgeworfenen weiteren Aspekte Anlass für die Prüfung eines (ggf.: weiteren) strafrechtlichen Anfangsverdachtes bieten, wird die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe prüfen.

 

Mit freundlichen Grüßen“Die Fettung ist aus dem Original übernommen. Und bestärkt noch meine Zweifel.

Die entscheidende Frage – ob es die Zwangsmaßnahmen gibt oder nicht, bleibt damit unbeantwortet. Klar ist nur: Wenn es sie gab, war nicht die Staatsanwaltschaft Heidelberg zuständig. Das ist zwar beruhigend zu wissen, gerade auch für die Behörde selbst. Aber es ist wenig zweckdienlich. Man könnte nun auch noch eine Anfrage an den CIA stellen, an den russischen Geheimdienst FSB oder den Papst bzw. die Schweizer Garde – ich gehe fest davon aus, diese haben ebenso wenig wie die Staatsanwaltschaft Heidelberg Zwangsmaßnahmen eingeleitet. Im Gegensatz zu dieser dürften sie noch nicht mal wissen, ob die Polizei in Heidelberg dies tat oder nicht.

An diese habe ich inzwischen eine entsprechende Nachfrage gestellt. Bislang ohne Antwort (wenn sie kommt, füge ich sie nach).

So bleiben also nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Anwältin Bahner die Geschichte von ihrer Festsetzung und Verbringung in die Psychiatrie ausgedacht und wäre damit eine Kandidatin für Hollywood – sowohl, was Drehbuch als auch Inszenierung angeht. Aber wenn dies so ist: Warum benennt dann die Staatsanwaltschaft, für die die Polizisten lediglich Hilfsbeamte sind, das nicht klar und deutlich? Mit einem Satz, ohne wenn und aber. Etwa so: „Weder wir noch die Polizei in Heidelberg haben Zwangsmaßnahmen eingeleitet. Punkt. Alles wäre klar.

Die zweite Möglichkeit: Die Behörden spielen ein Katz- und Maus-Spiel mit der Öffentlichkeit. Kritiker könnten gar so weit gehen, zu vermuten, dass die Unklarheit nicht nur auf sprachliches Unvermögen und bürokratisches Mikado zurückzuführen ist. Umso mehr, als nach Angaben der „Welt“ ein Sprecher der Polizei der Zeitung gegenüber bestätigte, dass Bahner in die Psychiatrie eingewiesen worden sein. Und dass das Polizeipräsidium Mannheim in einer Pressemitteilung vom 14. April um 14.57 Uhr dies bestätigt. Dort ist von einer Personenkontrolle mit tätlichem Angriff auf Polizeibeamte die Rede. Das gleiche Polizeipräsidium, das auch die andere Pressemitteilung gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft sage und schreibe neun Minuten später herausgegeben hat – in der der Eindruck erweckt wird, es habe keine Zwangseinweisung gegeben.

Doch es wird alles noch verwirrter: Warum bitte prüft die Staatsanwaltschaft, wie sie selbst schreibt, ob ein Anfangsverdacht für üble Nachrede bzw. ähnlich Delikte besteht, wenn die Polizei selbst die Aussagen von Bahner bestätigt, dass sie gegen ihren Willen mitgenommen wurde? Vermutlich, weil die Anwältin die Details ihrer Festnahme anders schildert als die Polizei und ihre massive Misshandlung vorwirft. Aber um diesen Aspekt anzugeben, müsste die Staatsanwaltschaft ja erst einmal erklären, dass Bahner tatsächlich gegen ihren Willen von der Polizei mitgenommen wurde – und um diese Erklärung windet sich die Behörden ganz offensichtlich.

Kurzum: Kafka lässt grüßen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zuständigen offenbar selbst nicht ganz so glücklich sind mit der ganzen Geschichte, wenn sie derartige Verantwortungs-Pirouetten drehen. Gerade in einem Fall, der so heikel ist wie der von Rechtsanwältin Bahner, wäre es in meinen Augen aber eine ganz grundlegende Pflicht der Behörden, „Glasnost“ walten zu lassen, also volle Transparenz. Sonst wird Verschwörungstheorien, die es leider ohnehin schon zur Genüge gibt in diesem Feld, Tür und Tor geöffnet.

Zu beachten ist auch, wie hoch die Hürden für eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie sind. „Erste Voraussetzung für eine Zwangseinweisung ist, dass die Person durch ihre psychische Erkrankung in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder auch ihr eigenes Leben, zumindest aber ihre Gesundheit gefährdet“, wie etwa auf „allgemeinarzt-online“ nachzulesen ist. Gerade deswegen müssen die Polizei und die zuständige Ärzte bzw. anderen Behörden alles tun, um hier jeden Zweifel auszuräumen.

Heikel ist auch das Echo bzw. dessen Fehlen in den Medien. Das Portal „Mimikama“, das sich nach eigenen Angaben auf die Enthüllung von Fake-News, also Falschnachrichten konzentriert, übernimmt die merkwürdige Erklärung der Staatsanwaltschaft als oberste Nachricht in ihrem Artikel – ohne sie zu hinterfragen. In anderen Medien habe ich (via google-Suche) gar nichts zu der Presseerklärung der Heidelberger Staatsanwaltschaft gefunden. Dabei wäre es ureigenste Aufgabe der Medien, den Behörden auf die Finger zu schauen.


Bild: Pixabay/WIX

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