Kein „studierter Epidemiologe“ und auch kein Professor für Epidemiologie Der Fall Lauterbach Teil 2: "Ich bin mit meiner Ausbildung zufrieden."

Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung

Am 13. März 2021 berichtete ein Artikel auf reitschuster.de über den fehlenden akademischen Abschluss in Epidemiologie von Prof. Karl Lauterbach. Der hat nämlich keinen »Master of Science in Epidemiology«, sondern lediglich einen »Master of Public Health«. Den hat der SPD-Gesundheitspolitiker auf seiner persönlichen Website allerdings ein bisschen aufgeblasen, indem er schreibt: »1989-1990 Master of Public Health (MPH) an der Harvard School of Public Health mit Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy and Management«.

Nun ist der MPH ein interdisziplinäres Aufbaustudium, in dem man typischerweise mit der Beobachtung und dem Monitoring von Krankheiten, dem Design und der Durchführung von Studien sowie mit Epidemiologie, Gesundheitsökonomie, medizinischer Statistik und Krankenversorgungssystemen konfrontiert ist. Epidemiologie und »Gesundheitspolitik und -management« (Health Policy and Management) sind also Bestandteile eines MPH-Studiengangs. Sie zum »Schwerpunkt« seines eigenen MPH-Studiums zu erklären, ersetzt allerdings keinen fehlenden »Master of Science in Epidemiology«.

SPD-Fraktion: Studium der Epidemiologie mit Promotion »abgeschlossen«

Trotzdem ist Karl Lauterbach für den Spiegel ein »studierter Epidemiologe« (22.03.2021). Genauso wie für sportschau.de (04.03.2021), br.de (11.03.2021), rtl.de (22.03.2021), ntv (13.05.2020), den Cicero (09.02.2021) und so weiter.

Offenbar beruhen diese Einordnungen auf einer fehlerhaften Information auf der Website der NRW-Landesgruppe der SPD-Fraktion im Bundestag, denn dort heißt es: »Karl Wilhelm Lauterbach… studierte Medizin in Aachen, Texas (USA) und Düsseldorf sowie Epidemiologie und Gesundheitsökonomie (Health Policy and Management). Das Studium der Medizin schloss er mit der Promotion zum Doktor der Medizin ab. Das Studium der Epidemiologie und Gesundheitsökonomie schloss er mit der Promotion an der Harvard Universität in Boston, USA ab.«

Ausschnitt aus dem Lebenslauf von Prof. Lauterbach auf der Website der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagesfraktion (www.nrwspd-landesgruppe.de/)

Das ist so allerdings nicht richtig, denn Karl Lauterbach hat lediglich das Studium der Gesundheitsökonomie mit einer Promotion abgeschlossen. Seine Dissertation von 1995 mit dem Titel »Justice and the Functions of Health Care / Gerechtigkeit und die Funktionen des Gesundheitswesens« schrieb er zur Erlangung des Doktorgrades im Bereich »Gesundheitspolitik und -management« (»Doctor of Science in the Field of Health Policy and Management«). Somit ist er studierter Gesundheitsökonom.

Deckblatt der Dissertation von Prof. Karl Lauterbach: «for the Degree of Doctor of Science in the Field of Health Policy and Management« (www.karllauterbach.de)

Und genauso liest sich auch seine Doktorarbeit, denn sie behandelt ethische und wirtschaftliche Aspekte des öffentlichen Gesundheitswesens. Viren, Bakterien oder Epidemien sind nicht Thema. Genauso wenig waren sie Thema in Lauterbachs Jahren zwischen seinem MPH 1990 und seiner Doktorarbeit 1995. Denn auch Lauterbachs Berater, Fachbereichsleiter und seine beiden Doktorväter weisen ihn als Gesundheitsökonomen aus: Arthur Applbaum, Philosoph (1992); Michael Reich, Politikwissenschaftler (vermutlich 1992); Lynn Peterson, Dozent für Sozialmedizin (1993); Marc Roberts, Experte für Gesundheitssysteme (1992-1995); Amartya Sen, Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph (1992-1995).

Lauterbach über Lauterbach: Ich bin »zufrieden«

Sechs Tage nach Erscheinen des Artikels über die Löcher in Lauterbachs angeblichem Epidemiologie-Studium war der vielgefragte Corona-Experte Gast auf der Bundespressekonferenz und wurde von Boris Reitschuster Folgendes gefragt: »Es gibt ja Kritiker, die sagen, Sie hätten sich immer nur sehr wenig mit Epidemiologie befasst, im Studium und im Berufsleben. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?» – »…. Ob ich mich mit Epidemiologie viel beschäftigt habe oder nicht: Das kommt drauf an, wie man sich… die Beschäftigung vorstellt. Ich habe mich als Wissenschaftler sehr stark dafür eingesetzt und sehr stark gearbeitet im Bereich der Sekundärprävention von chronischen Erkrankungen, insbesondere Diabetes.«

Bemerkenswert war daran, dass Lauterbach nicht einfach geantwortet hatte: »Von 1998 bis 2005 war ich Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Universität Köln«. So steht es nämlich nicht nur auf seiner Website, sondern auch auf der des Bundestages. Und der Leiter eines »Instituts für… Epidemiologie« beschäftigt sich ja logischerweise auch mit Epidemiologie. Also, lieber Herr Reitschuster, lieber Herr Amelung, setzen, sechs. Danach hätte dann Prof. Lauterbach immer noch »zufrieden« über seine Arbeit im Bereich der Diabetes-Prävention berichten können. Aber genau das tat er nicht.

Das war auch deshalb überraschend, weil Lauterbachs latent defensive Antwort auf Boris Reitschusters Frage nicht zu seinem sonstigen Auftreten passen wollte, denn während der Corona-Pandemie hatte der SPD-Gesundheitspolitiker mehr als einmal bewiesen, dass er sich Gehör verschaffen kann. – Wieso also diese Zurückhaltung? War es eine aus Vorsicht geborene Zurückhaltung, um niemanden zu übermäßigen Grabungsarbeiten in seiner Vita anzustacheln? Oder war es die gelernt lässige Antwort eines Politikers? – Letztes konnte es eigentlich nicht gewesen sein, denn Lauterbach bemühte für seine Antwort nicht nur seine eigene Arbeit, sondern benannte gleich noch Leumundszeugen, indem er den ebenfalls anwesenden Bundesgesundheitsminister in die Pflicht nahm:

»Das Disease Management-Diabetes… war ein Forschungsschwerpunkt [von mir]… da haben wir zusammengearbeitet, Herr Spahn und ich, so lange kennen wir uns schon… Somit bin ich… persönlich mit meiner Ausbildung und auch mit meiner Forschungsleistung im Bereich der Epidemiologie zufrieden. Das sehen auch viele Fachkollegen so…« Dem schlossen sich dann Jens Spahn und der ebenfalls anwesende RKI-Vizepräsident Prof. Dr. Lars Schaade an.

Bei soviel Zuspruch für den »Fachmann« Lauterbach war es erstaunlich, wie rasch sich Steine aus dem Mauerwerk seiner Vita herauslösten, wenn man nur etwas daran kratzte. Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach hat nämlich nicht nur keinen »Master of Science in Epidemiology« und nie ein »Studium der Epidemiologie« mit dem Doktor abgeschlossen, er war auch nicht Leiter des »Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln«, obwohl das genauso in einem Lebenslauf steht.

1998 bis 2005 Institutsleiter an der Uni zu Köln

Zur Klarstellung: Nach seiner Doktorarbeit in Gesundheitsökonomie im Jahre 1995 war Lauterbach nach Deutschland zurückgekehrt und zwei Jahre lang als Privatdozent an der Uni Köln tätig gewesen. »Während dieser Zeit habe ich der Universität den Gedanken an ein Institut für Gesundheitsökonomie nahe gebracht«, so Lauterbach 2004 im Spiegel. 1997 wird Lauterbachs Idee dann in die Tat umgesetzt. 1998 wird er selbst zum Direktor der Neugründung ernannt. Damit war gleichzeitig seine Berufung zum Professor verbunden. Mit Dingen wie einer Epidemie – auch Seuche genannt – beschäftigte sich das Institut allerdings nicht. Sondern mit Studien zu einem Appetitzügler, zu Margarine und zur Qualität von Röntgenuntersuchungen. Und auch der Direktor selbst arbeitet nicht als Epidemiologe, sondern als Gesundheitsökonom. So lauten die Themen seiner Publikationen beispielsweise die Informationstechnologie im Gesundheitswesen (1999), die Fallpauschale (2000) oder die Kostenexplosion im Gesundheitswesen (2003).

Parallel dazu befasste sich der Institutsdirektor mit Politik. 2005 zog Lauterbach dann für die SPD in den Deutschen Bundestag ein. Damit verließ er seine Kölner Wirkungsstätte. Seitdem ist Lauterbach als Leiter des Kölner Instituts »beurlaubt« und Prof. Stephanie Stöck hat die »kommissarische Leitung« inne.

Gegründet worden war Lauterbachs Institut Ende Februar 1997, aber nicht als »Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE)«, wie es in Lauterbachs Vita steht, sondern als »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG)«. Getragen wurde es von zwei Fakultäten, der Medizinischen und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen. Als Aufgaben der Neugründung beschreibt das Ärzteblatt 1997 die »Entwicklung von Aus- und Weiterbildungskurrikula im Fach Gesundheitsökonomie«. Von Epidemiologie ist keine Rede. Auch nicht in der Postadresse des Instituts, denn auch hier heißt es: »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft, Gleueler Straße 176-178 50935 Köln«. Genauso heißt das Institut auch 2001 in einer Stellenanzeige der Uni. Und auch in den Jahren 2005 bis 2008 bleibt der Name gleich, lediglich die Postadresse änderte sich geringfügig. Nun ist es die Gleueler Str. 176-178/3 in 50931 Köln.

Stellenanzeige der Universität zu Köln: »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft« aus dem Stellemarkt in Forschung & Lehre von 2001
Vorlesungsverzeichnis Universität Köln für das Sommersemester 2005: »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft«

Die Namenstrickserei zahlte sich bereits 2003 aus

Fuhr man in Lauterbachs Kölner Zeit mit dem Fahrrad nun rund 4 Minuten gen Innenstadt, erreichte man die Joseph-Stelzmann-Str. 9. Hier war bereits seit den 1980er-Jahren das Institut für »Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie« (IMSIE) unter seinem damaligen Chef Univ.-Prof. Lehmacher beheimatet.

Briefkopf des »Instituts für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie« an der Uni Köln

Zwischen beiden Instituten wurde, so der Informationsdienst Wissenschaft (idw) 1997 »eine enge Zusammenarbeit… etabliert« und »eine Arbeitsgruppe für klinische Studien« gebildet. Wirklich zufrieden war Prof. Lauterbach damit wohl aber nicht, denn er motzte seinen damaligen Institutsnamen eigenhändig auf und publizierte nicht als Leiter des IGMG, sondern als Leiter des IGKE, des »Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie«. Auch in Fachvorträgen und Artikeln, auf die er direkten Zugriff hatte, taucht diese Neuschöpfung ab 1999 auf.

Hier und da wird sich wohl ein besonders diensteifriger Briefträger gewundert haben, dass in der Gleueler Str. 176-178 gleich zwei Institute beheimatet sind. Ansonsten fiel die Hochstapelei nicht auf. Sie gereichte dem kreativen Institutsleiter vielmehr zu ungeahnter Wertsteigerung. So schrieb Die Welt 2003 Lauterbach irrtümlich die Leitung gleich zweier Institute zu: »Der knapp 40-Jährige lehrt heute nicht nur an der Universität Köln, sondern leitet darüber hinaus auch noch zwei Institute, die über Gesundheitsökonomie und Medizin forschen.« Das benutze der Welt-Artikel dann als Beleg dafür, dass Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach »fachlich hochqualifiziert« ist.

»Epidemiologie« ist auch nur ein Wort

2005 verließ Lauterbach dann seine Kölner Wirkungsstätte und ging in die Hauptstadt. Jahre später erkannte man dann wohl an der Kölner Universität, dass der frühere Institutsleiter schon immer ein gutes Gespür für knackige Institutsnamen gehabt hatte, und taufte das alte »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft« (IGMG) um. Sein neuer Name lautete nun »Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie« (IGKE). Damit hatte Karl Lauterbachs frühere Hochstapelei nun auch noch einen quasi amtlichen Segen erhalten.

Auch heute in der Corona-Krise profitiert Karl Lauterbach von seiner früheren Trickserei. Wen interessiert denn noch, dass die Medizinische Fakultät der Uni Köln ihre Postgraduate-Studenten anno 2005 noch zu Seminaren am »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft« geschickt hatte, während andere Studenten zu Seminaren beim »Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie« gegangen waren.

»Epidemiologie« ist ja auch nur ein Wort von vielen. Und natürlich kann Lauterbach auch darauf pochen, dass in der Diabetes-Prävention auch Epidemiologie irgendwie drinsteckt. Also seien wir mal nicht so kleinlich. Trotzdem fragt man sich schon, wie es der Betroffene selbst finden würde, wenn der Flugkapitän bei seiner nächsten Dienstreise lediglich Flugzeugmechaniker wäre oder der Zahnarzt bei der nächsten Wurzelbehandlung nur Zahntechniker.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
 

Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Juergen Nowak/Shutterstock
Text: Gast

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