Von Kai Rebmann
Die Warnungen vor einem möglichen Blackout im Winter sind in den letzten Wochen wieder etwas leiser geworden. Volle Gasspeicher und Maßnahmen wie der befristete Weiterbetrieb von drei AKW sollen die deutsche Bevölkerung in Sicherheit wiegen. Doch je nach Verlauf des Winters könnte es eine trügerische Sicherheit sein. Die Heizperiode hat gerade erst begonnen und wirklich frostige Temperaturen wurden bisher allenfalls in den Höhenlagen verzeichnet.
Während die Ampelkoalition darauf hofft, dass man mit Hilfe von Imagefilmchen schon irgendwie durch den Winter kommen wird, nehmen die Vorkehrungen für einen möglichen Blackout in der Schweiz konkrete Formen an. Einerseits zieht sich die Heizperiode in den Alpen ohnehin deutlich länger hin und andererseits sind die Eidgenossen bei der Stromversorgung in besonderem Maße auch von ihren europäischen Nachbarn abhängig, allen voran Deutschland und Frankreich. In beide Partner scheint das Vertrauen der Schweizer momentan aber nicht sehr ausgeprägt zu sein. Die Stromproduktion mit den „Erneuerbaren“ wird in Deutschland in den kommenden Wochen zu einer Art „Wetter-Bingo“ und Frankreich hat derzeit alle Hände voll damit zu tun, seine maroden AKW wieder auf Vordermann zu bringen.
Jetzt hat die Schweiz reagiert und den Entwurf für eine vierstufige Notverordnung vorgestellt. Der Bundesrat stimmt die Eidgenossen bei dieser Gelegenheit auf mögliche Einschränkungen auch für Privathaushalte ein. Selbst der bisherigen Narrenfreiheit für das E-Auto wird ein Ende bereitet. Etwas mehr als 100.000 davon sind auf den Schweizer Straßen unterwegs und können im Zweifelsfall zu einer erheblichen Belastung für das Netz werden. Während zum Beispiel Heizlüfter in der öffentlichen Diskussion, wohl nicht ganz zu Unrecht, stets als Gefahrenquelle für den Zusammenbruch der Stromversorgung gebrandmarkt werden, kamen die E-Autos bisher weitgehend ungeschoren davon.
Tempolimits und Fahrverbote drohen
Doch damit ist jetzt Schluss, zumindest in der Schweiz. Laut dem sogenannten „Entwurf der Verordnung über Beschränkungen und Verbote der Verwendung elektrischer Energie“ droht den Haltern von E-Autos spätestens in der dritten von vier Eskalationsstufen Ungemach. In einem ersten Schritt soll das Tempolimit auf Autobahnen von 120 auf 100 km/h gesenkt werden. Dazu heißt es in dem Entwurf: „Eine Sparmaßnahme, die auch Auswirkungen auf einen anderen Erlass hat, ist die Temporeduktion auf Autobahnen. Damit soll mittelbar auf den Stromverbrauch der Elektrofahrzeuge eingewirkt werden.“ Der Ansatz mag grundsätzlich in die richtige Richtung gehen, aber wie praxistauglich ein solches „partielles Tempolimit“ ist bzw. wer das wie kontrollieren soll, muss einmal dahingestellt bleiben.
Falls diese Maßnahmen nicht fruchten oder sich aus anderen Gründen eine Verschärfung der Strommangellage abzeichnen sollte, dürfen E-Autos in der Schweiz nur noch in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen aus der Garage geholt werden. In der soeben vorgestellten Notverordnung heißt es: „Die private Nutzung von Elektroautos ist nur für zwingend notwendige Fahrten gestattet, zum Beispiel Berufsausübung, Einkäufe, Arztbesuche, Besuche von religiösen Veranstaltungen, Wahrnehmung von Gerichtsterminen.“
Politisch heikles Signal
Egal, wie man das Risiko eines möglichen Blackouts – oder auch „nur“ einer flächendeckenden Strommangellage – bewerten möchte, eines ist sicher: Die Ankündigung aus Bern muss als politisch heikles Signal verstanden werden. Denn trotz all ihrer offensichtlichen Schwächen werden E-Autos auch in der Schweiz als goldene Zukunft der Mobilität propagiert. Da kommen Medienberichte über mögliche Fahrverbote natürlich denkbar unpassend, zumal viele Schweizer gerade im Winter auf einen fahrbaren Untersatz angewiesen sind.
Und wie ist die Situation in Deutschland? Müssen sich die Halter von E-Autos auch hierzulande auf ähnliche Einschränkungen gefasst machen? Der ADAC versucht mit Bezug auf die Pläne aus der Schweiz zu beschwichtigen, da die Rahmenbedingungen in beiden Ländern „zu verschieden“ seien. So habe Deutschland im Jahr 2019 deutlich mehr Strom exportiert als es importierte, so die Gelben Engel. Was das mit der Versorgungssicherheit im Winter 2022/23 zu tun hat, bleibt auch nach mehrmaligem Lesen dieser Information ein Geheimnis des ADAC. Zudem ist die Darstellung von Deutschland als Strom-Exporteur faktisch zwar richtig, aber dennoch mit Vorsicht zu genießen, wie Sie hier nachlesen können. Der ADAC sieht die Bundesrepublik dank einem „Mix aus Grundlastkraftwerken und erneuerbaren Energien grundsätzlich gut aufgestellt“.
Verschwiegen wird leider, dass die Ampelkoalition derzeit aber nichts unversucht lässt, die Absicherung durch Grundlastkraftwerke so schnell und so radikal wie möglich zu beenden, und dass die Versorgung mit den „Erneuerbaren“ ein kaum zu kalkulierender Faktor ist. Aus diesen und ähnlichen Gründen wollen die Experten vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e. V. (VDE) den Optimismus des ADAC nicht ganz teilen. Wenn vielleicht auch keine generellen Fahrverbote, so seien zumindest Beschränkungen der Ladezeiten denkbar. Möglich wäre dann, dass E-Autos nur noch zu bestimmten Zeiten geladen werden können. Wie das in der Praxis aussehen könnte, erklärten die Experten des VDE den Kollegen vom „Focus“ so: „Die Alternative wäre, Netzanschlüsse für Wallboxen nach dem Prinzip first come, first serve zu vergeben oder in Überlastungssituationen einzelne Netzstränge zeitweise abzuschalten.“
PS: Kommentar meiner Korrektorin zu diesem Text: „Wenn E-Autos immer fahren dürfen und „nur“ die Lademöglichkeiten eingeschränkt werden, ist das in etwa so, als wenn Unternehmen nicht pleite gehen können, nur weil sie temporär nicht produzieren.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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