Von Kai Rebmann
Die vermeintlich kostenlosen Bürgertests in Deutschland haben den Steuerzahler bisher mindestens 12,2 Milliarden Euro gekostet. Im Zuge der bundesweit hundertfachen Ermittlungen gegen kriminelle Betreiber von Corona-Testzentren geraten nun auch immer mehr das Bundesgesundheitsministerium und die Kassenärztlichen Vereinigungen in den Fokus. Als im April 2021 die ersten Verdachtsfälle von Betrügereien in den Testzentren bekannt geworden waren, forderte der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Richtung seines Amtsvorgängers Jens Spahn (CDU) noch: „Wir brauchen dringend eine Qualitätskontrolle.“ Spahn hatte damals jede Verantwortung von sich gewiesen und immer auf die Gesundheitsämter und KVs der Länder verwiesen. Inzwischen sitzt Lauterbach selbst im Bundesgesundheitsministerium und getan hat sich seither – nichts.
Jörg Engelhard, der beim LKA Berlin das Kommissariat für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen leitet, geht allein in der Hauptstadt von einem Mindestschaden im mittleren zweistelligen Millionenbereich sowie einer großen Dunkelziffer aus. „Es gab neben fehlenden Kontrollmöglichkeiten kaum Auflagen durch die Zulassungsbehörden bei der Eröffnung von Testzentren, die geeignet gewesen wären, Betrugsversuche zu vereiteln. Es ist immer noch ein Kinderspiel, bei den Abrechnungen zu betrügen. Da können Leute mit genug krimineller Energie und dem geringsten Aufwand schnell das große Geld machen“, klagt Engelhard in der Welt.
Behörden drückten beide Augen zu
Dass sich die Akten über Fälle von Betrug in Testzentren auf den Schreibtischen der Landeskriminalämter in ganz Deutschland inzwischen immer weiter auftürmen, liegt vor allem daran, dass bei der Eröffnung und dem späteren Betrieb der Testzentren die völlig falschen Prioritäten gesetzt wurden. „Unsere Aufmerksamkeit war bisher nicht darauf gerichtet, Betrug zu entdecken“, gab Harald Rau, Gesundheitsdezernent der Stadt Köln, gegenüber der Tagesschau unumwunden zu. Dieser Eindruck wurde auch in einem der ersten Urteile verfestigt, das Anfang April 2022 im Zusammenhang mit dem Betrug in den Corona-Testzentren ergangen ist. Die Richterin stellte in ihrer Urteilsbegründung fest, dass das ganze Abrechnungssystem „auf Schnelligkeit angelegt“ gewesen sei.
In dem vorliegenden Fall war eine 49-jährige Busfahrerin aus Essen zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Die Frau hatte innerhalb weniger Monate insgesamt 1,1 Millionen Euro ergaunert und musste dafür noch nicht einmal ein Testzentrum eröffnen. Alles, was die Betrügerin tun musste, war, sich einige Bankkonten und E-Mail-Adressen einzurichten und dann mit fingierten Abrechnungen über Tests und Impfungen, die niemals stattgefunden hatten, abzukassieren. Auf dem Papier betrieb die Essenerin insgesamt elf Testzentren in NRW, Baden-Württemberg und Bayern. Es ist bezeichnend, dass es letztlich nicht eine der für die Kontrolle eigentlich zuständigen KVs war, die der Betrügerin auf die Schliche gekommen ist, sondern es die Angestellten einer Bank waren, denen die Kontobewegungen der Frau wohl verdächtig vorgekommen sind. Bei der KV Bayern wurde man zunächst zwar auch misstrauisch und lehnte Anträge über die Auszahlung von insgesamt 750.000 Euro für 27.000 vermeintliche Impfungen und fingierte Abrechnungen über nie durchgeführte Corona-Tests ab. Dies hinderte die Mitarbeiter der KV Bayern aber offensichtlich nicht daran, die Frau später beim richtigen Umgang mit Antragstellungen zu beraten. In ihrer Urteilsbegründung betonte die Richterin ausdrücklich, dass sich der Umstand, dass es der Verurteilten von den Behörden und Kassenärztlichen Vereinigungen „recht leicht“ gemacht worden sei, strafmildernd ausgewirkt habe.
Auch im Landkreis Ludwigsburg (Baden-Württemberg) sitzen seit dem 11. April zwei mutmaßliche Abrechnungsbetrüger in U-Haft, wie die Stuttgarter Nachrichten berichten. Die beiden 23 und 28 Jahre alten Männer hatten seit Ende 2021 insgesamt drei Testzentren in Bietigheim-Bissingen, Schwieberdingen und Korntal-Münchingen betrieben und sich der inzwischen gängigen Betrugsmasche bedient. Einerseits wurden nie durchgeführte Corona-Tests abgerechnet, andererseits wurden Bekannten aus Gefälligkeit negative Bescheide ausgestellt, ohne diese wirklich getestet zu haben. Obwohl die Tatverdächtigen wegen anderer möglicher Straftaten im Großraum Stuttgart schon zum Zeitpunkt der Eröffnung ihrer Testzentren im Visier der Polizei standen, ließ man sie weitgehend unbehelligt gewähren. Die Schließung zweier ihrer drei Testzentren erfolgte im März dann auch nicht etwa, weil die zuständige KV den Betrug bemerkt hätte, sondern aufgrund „erheblicher Hygienemängel“. Als unmittelbar danach (wie schon vor der Eröffnung der Testzentren) an zahlreichen Porsches wieder die Räder fehlten, klickten schließlich die Handschellen.
Opposition fordert mehr Anreize für KVs
Wie wenig Interesse die KVs an der Aufdeckung von Betrug in den Testzentren zu haben scheinen, zeigen auch einige von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung aufgedeckte Fälle in NRW. Weder im Landesgesundheitsministerium noch bei der zuständigen KV schien es jemandem verdächtig vorgekommen zu sein, dass zum Beispiel die Teststelle „AP Haus und Grund Verwaltungsgesellschaft“ in Köln im Januar und Februar dieses Jahres über mehrere Wochen hinweg insgesamt 30.000 Corona-Tests gemeldet hat – ohne dass auch nur ein einziger davon positiv gewesen wäre. Dasselbe Bild zeigte sich bei „Express-Test“ in Hürth, wo Ende Januar an mehreren Tagen hintereinander ebenfalls ausschließlich negative Tests gemeldet worden sind. Das Handeln bzw. Nicht-Handeln der Behörden in diesen Fällen noch als fahrlässig zu bezeichnen und dabei nicht an mutwilliges Unterlassen zu denken, fällt schwer.
Die AfD-Bundesfraktion wollte von der Bundesregierung wissen, wieviel Geld für zu Unrecht gewährte Vergütungen von den KVs an den Bund zurückgezahlt worden ist. Dabei stellte sich heraus, dass bis Mitte März erst fünf der 17 KVs in Deutschland überhaupt etwas zurückgezahlt haben. Zum Zeitpunkt der AfD-Anfrage lag die Gesamtsumme dieser Rückzahlungen bei 2,79 Millionen Euro. Auch wenn sich diese Summe laut Bundesgesundheitsministerium bis Mitte April auf 3,64 Millionen Euro erhöht hat, dürfte dies nur ein minimaler Bruchteil des Schadens sein, der dem deutschen Steuerzahler durch den Betrug in den Testzentren und die nachlässigen Kontrollen seitens der KVs entstanden ist. Der Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun (AfD) forderte in diesem Zusammenhang, „den Kassenärztlichen Vereinigungen endlich Anreize für Abrechnungsprüfungen anzubieten. Ansonsten werden die verpulverten Steuerzahler-Milliarden für immer verschwunden bleiben“. Bereits Mitte März wurde der Haushaltsausschuss des Bundestages vom Bundesrechnungshof in einem Schreiben dazu aufgefordert, bestehende „Fehlanreize“ für die KVs zu beseitigen.
Das derzeitige System bei der Kontrolle der Testzentren krankt in erster Linie daran, dass auch die KVs weniger verdienen, wenn sie Betrügern auf die Schliche kommen, sie schießen sich quasi ins eigene Bein. Als Entschädigung für die Abwicklung und Prüfung der Abrechnungen erhalten die KVs eine Pauschale in Höhe von 3,5 Prozent der an die Betreiber ausgezahlten Vergütungen. Ohne es zu wollen, verdienen die KVs also auch an jedem zu Unrecht an die Testzentren ausgezahlten Euro mit. Letztendlich ist die Rechnung für die KVs sehr einfach – je mehr Tests abgerechnet werden, umso höher fällt auch die Aufwandsentschädigung für die KVs aus. Der Bundesrechnungshof formulierte diese Tatsache in seinem Schreiben an den Haushaltsausschuss wie folgt: „Mit der Feststellung überhöhter oder ungerechtfertigter Abrechnungen vermindert sich dieser Betrag. Dies setzt automatisch Fehlanreize.“
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: penofoto/ShutterstockText: kr