Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
„Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren,“ dichteten vor 99 Jahren die Librettisten Fritz Löhner und Ernst Neubach, und wie es scheint, hat das Lied in all der Zeit kaum etwas von seiner Popularität eingebüßt. Doch in unseren Tagen muss man es vielleicht ein wenig umdichten. Immerhin hat unsere hochklassige Außenministerin kürzlich zur Kenntnis gegeben, dass sie ganz spezielle Denkmethoden und vor allem auch ungewöhnliche Denkorgane ihr Eigen nennt, denn: „Sehr vieles geht mir durch den Kopf und noch viel mehr geht mir durch mein Herz.“ Wenn also inzwischen das Herz zentrales Organ des Verstandes ist, dann sollte man über manche Leute wohl eher sagen, dass sie ihren Verstand in Heidelberg verloren haben.
Und genau dieser Eindruck drängt sich auf, wie man an einem bemerkenswerten Beispiel sehen kann. Im Rahmen des Wahlkampfes für die am 9. Juni stattfindende Heidelberger Kommunalwahl fand in den Räumlichkeiten der Heidelberger Universität eine Veranstaltung zum Thema „Psychische Gesundheit“ statt, zu der Kandidaten aller antretenden Listen eingeladen waren. Unter anderem auch die IDA, die Initiative für Demokratie und Aufklärung, mit den beiden aus der Zeit der sonderbaren PCR-Pandemie bekannten Vertretern Gunter Frank und Kay Klapproth, Mediziner der eine, Wissenschaftler im biologischen Bereich der andere, gründliche Maßnahmenkritiker alle beide.
Nazi-Vergleich Wagners von ‘Die Partei'
Was ist geschehen? Der im Umkreis von drei Seemeilen vermutlich weltbekannte Kabarettist Daniel Wagner, der für die Partei „Die Partei“ kandidiert, betonte während der Podiumsdiskussion, dass die IDA „ganz offen Werte vertritt, die zuletzt eine Partei vertreten hat, die zu Recht im Oktober 1945 verboten wurde. Die mit psychisch kranken Menschen so umgegangen ist, wie wir es nie wieder haben wollen. Ich freue mich, dass hier die demokratischen Personen in der Mehrheit sind.“ Verboten wurde im Oktober 1945 die NSDAP, und die ging bekanntlich mit psychisch kranken Menschen so um, dass sie sie genau wie Menschen mit Behinderungen systematisch ermorden ließ. Selbst Wagner dürfte das wissen.
Aber was hat das nun mit der IDA zu tun? Werfen wir einen Blick auf ihre Webseite. Dort findet man zum Beispiel die Sätze: „In Zeiten, in denen sogenannte abweichende Meinungen zur Gefahr erklärt werden, halten wir es für dringend geboten, dass jeder seine Meinung ohne Angst und offen aussprechen muss. Wir treten für einen offenen Dialog ein, in dem alle Argumente Gehör finden. Das Recht auf eine eigene Meinung ist einer der Grundpfeiler einer offenen Gesellschaft und darf nicht durch moralisch getarnte Ideologisierung und Dogmatismus ausgehöhlt werden.“ Ich mag mich täuschen, aber das klingt eher nach einer durch und durch demokratischen und aufklärungsorientierten Position als nach den Auffassungen der NSDAP. Und es geht dort weiter: „Wir setzen uns ein gegen jede Form der Diskriminierung, auch gegen jede staatlich verordnete Ungleichbehandlung von Menschen, die sich einem verordneten Narrativ widersetzen und die sich ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht nehmen lassen. Wir stehen für Toleranz und unterstützen jeden, der aus politischen, religiösen, rassistischen oder weltanschaulichen Gründen diskriminiert oder verfolgt wird.“ Auch hier kann ich keine Werte feststellen, die die NSDAP jemals vertreten hätte, sondern ihr genaues Gegenteil, auch wenn der weltbekannte Kabarettist nicht in der Lage ist, das zu begreifen.
Gunter Frank hat die Moderatorin der Podiumsdiskussion unverzüglich darauf hingewiesen, dass sie gegen den indiskutablen Nazi-Vergleich Wagners einschreiten müsse, und erhielt die Antwort: „Sie können reden, wenn Sie dran sind.“ Ein Zuhörer, der einwarf, es handle sich bei den Auslassungen des phantasiebegabten Kabarettisten um eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen, die nach § 130 des Strafgesetzbuches strafbar sei, wurde mit der inhaltlich wertvollen Antwort der Moderatorin „Keine Zwischenrufe, sonst müssen Sie den Saal verlassen“ abgefertigt. So geht Debattenkultur, wenn man auf der richtigen Seite steht.
Allerdings hatte der Zuhörer völlig recht. Denn in Absatz 3 des besagten Paragraphen findet sich die Regelung: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“ Und wer die Ideologie und die Taten der Nazis gleichsetzt mit den in jeder Hinsicht demokratischen Vorstellungen einer zur Kommunalwahl antretenden Liste, dem kann man kaum etwas anderes als Verharmlosung der Naziverbrechen attestieren. Selbstverständlich ist die Tat auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, sie hat ihn ja schon gestört, da sie in aller Öffentlichkeit vorgetragen wurde, und sie wird ihn weiter stören, da sie kommentiert und veröffentlicht wird. Eine entsprechende Strafanzeige gegen Wagner, den Kämpfer für Demokratie und Diffamierung, hat die IDA auch bereits gestellt.
Das ist nicht alles. Man kann schwerlich leugnen, dass durch Wagners Äußerung nicht nur Gunter Frank, sondern auch alle anderen Kandidaten der IDA-Liste beleidigt werden: Was könnte beleidigender sein als die Gleichsetzung mit Nazi-Verbrechern? Zu diesem Tatbestand heißt es in § 185 des Strafgesetzbuches: „Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, das wäre passend für Herrn Wagner, denn die Beleidigung wurde in einer Versammlung vorgenommen, daran lässt sich nichts mehr ändern. Hat nicht Bärbel Bas, die kenntnisreiche Präsidentin des Deutschen Bundestages, kürzlich für die Verhängung von Höchststrafen plädiert? Daniel Wagner bietet eine passende Gelegenheit. Ob es dann zwei Jahre wegen Beleidigung oder fünf Jahre wegen Volksverhetzung werden, überlasse ich gerne den Gerichten.
Pathologisierung politischer Gegner
Man sollte denken, dass damit das Kontingent an verlorenem Verstand für einen Abend ausgeschöpft wäre, aber weit gefehlt! Es gab ja auch noch Diane Jeeranut Pitzer, die Vertreterin der Liste „Heidelberg in Bewegung“, die vermutlich den Namen ihrer Liste falsch verstanden hat und die erwünschte Bewegung unbedingt in Richtung Abgrund vorgenommen sehen möchte. Ich kann nicht wissen, wie weit sie mit der Propaganda der verblichenen DDR vertraut ist, doch allem Anschein nach hat sie sich doch ein wenig zu sehr an dem alten Motto „Von den Sowjetmenschen lernen heißt siegen lernen“ orientiert. Denn „in der Sowjetunion wurde die Psychiatrie jedoch unter anderem systematisch dazu missbraucht, Andersdenkende und politische Dissidenten zu pathologisieren, auszusondern und ihrer Rechte zu berauben“, das weiß sogar Wikipedia. Wie hätte es auch anders sein können? Wer das sozialistische Paradies ablehnte, der konnte ja nur geisteskrank sein! Und wer das heute versprochene grünrote Paradies ablehnt, wer sich sogar den segensreichen Corona-Maßnahmen widersetzt hat – wie sollte man einem derartig Verblendeten denn geistige Gesundheit zugestehen? Das scheint das Prinzip zu sein, nach dem Pitzer aus der Geschichte gelernt hat. Hören wir auf ihre Worte: „Leute, die AfD oder IDA wählen, haben ein gesundheitliches Problem. Deshalb würde ich mich sehr dafür einsetzen, psychische Gesundheit auch diesen Menschen zugänglich zu machen, durch Sensibilisierung und Aufklärung.“
Muss man das noch kommentieren? Es ist die alte Sowjetmethode, der politische Gegner wird pathologisiert und für krank erklärt; das ist ausgesprochen praktisch, da man sich dann nicht mehr mit seinen Inhalten auseinandersetzen muss. Ob die Dame in der Lage wäre, diese Inhalte überhaupt zu verstehen, vermag ich nicht zu beurteilen. Sie ist übrigens seit 2023 „zertifizierte Anti-Rassismus-Trainerin“ und kümmert sich gerne um „theoretische Hintergründe und medizinische Wirkprinzipien ganzheitlicher Therapie und Wellnessbehandlungen“ mit besonderer „Sensibilität für Rassismusbetroffenheit“. Wer ihre Kompetenz zur Einschätzung der psychischen Gesundheit ihrer Konkurrenz einmal näher kennenlernen will, kann sich auf ihrer Homepage jederzeit kundig machen.
Ich gebe zu: Mir ist nicht klar, ob die pauschale Bezeichnung politischer Gegner als psychisch krank eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne darstellt. Von der IDA wurde sowohl gegen Wagner, bei dem der Sachverhalt offen zutage liegt, als auch gegen Pitzer Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Staatsanwälte weisungsgebunden gegenüber ihren Justizministern sind, und die zuständige Ministerin gehört zwar der CDU an, aber die ist Juniorpartner einer grünschwarzen Koalition. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Doch unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung ist die Methode zu vermerken, die man in linken Kreisen so gerne anwendet: den politischen Gegner diffamieren, ihn zum Nazi erklären, ihn als geisteskrank brandmarken. Das ist die politische Kultur im besten Deutschland, das es je gab. Wie es solche Leute fertigbringen, sich als Demokraten zu bezeichnen, ohne sich zu schämen, ist mir ein Rätsel.
Es ist schwer zu erklären, warum mir in diesem Zusammenhang ausgerechnet der bayerische Schauspieler Gustl Bayrhammer in den Sinn kommt. Es mag an seiner legendären Rolle als Meister Eder in der Serie „Meister Eder und sein Pumuckl“ liegen, oder auch an seiner noch legendäreren Rolle – falls man das Wort „legendär“ überhaupt steigern kann – als Hauptkommissar Veigl, als der „Tatort“ noch ein „Tatort“ war und keine woke Propagandaveranstaltung. Oder liegt es doch nur an einer einzigen Sequenz, die auf youtube verewigt wurde? Sie lautet: „Es muass a Blede gebn, ned? Aber es wern oiwai mehra.“ Ins Hochdeutsche übertragen: Es muss auch Blöde geben, nicht wahr? Aber es werden immer mehr.
Ich kann ihm kaum widersprechen.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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