Seit Monaten, wenn nicht Jahren, ist der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus eines der wichtigsten Themen von Bundesregierung und Medien. Er scheint geradezu allgegenwärtig. Am vergangenen Mittwoch kündigte Regierungssprecherin Martina Fietz auf der Bundespressekonferenz an, dass von 2021 bis 2024 insgesamt 1.150 Millionen Euro, also 1,15 Milliarden, für die Bekämpfung der Gefahr von rechts bereitgestellt werden sollten. Die Antwort auf meine Frage nach linkem und etwa religiös motiviertem Extremismus wurde dabei eher ausweichend beantwortet. Der Sprecher des Justizministeriums sagte, die Regierung „verwahre sich gegen jede Gleichsetzung“ (die ich in meinen Augen nicht betrieben hatte).
Heute hakte ich in Anwesenheit von Fietzs Chef Seibert noch einmal nach und wollte wissen, welche Summen denn den 1,15 Milliarden Euro gegen Rechtsextremismus bei der Bekämpfung von linkem und anderem Extremismus entgegenstünden (siehe hier). Merkels Sprecher antwortete: „Ich kann dazu keine Zahlen hier und heute nennen.“ Innenministeriums-Sprecherin Alina Vick ergänzte: „Ich müsste die gegebenenfalls nachreichen“. Seibert ergriff dann nochmal das Wort: „Für die Bundesregierung ist klar, dass wir jeden Extremismus, politischen Extremismus und erst recht gewalttätigen Extremismus, ablehnen und auch mit den Mitteln des Staates bekämpfen.“
Dass ganz anders als beim Extremismus von rechts bei dem von links und von religiöser Seite auf Anhieb keine konkreten Zahlen vorliegen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass deren Bekämpfung eine deutlich geringere Bedeutung hat und beim Einsatz gegen den Extremismus eine massive Schlagseite in Deutschland herrscht. Zumal ja Kritiker auch immer wieder den Verdacht hegen, mit dem Geldsegen gegen „rechts“ würden linksradikale Gruppierungen wie die „Antifa“ zumindest über Umwege an Steuergelder kommen – gar nicht zu reden von vielen umstrittenen Organisationen wie der von Ex-Stasi-IM Anetta Kahane geleiteten „Amadeu-Antonio-Stiftung“.
Zu Beginn der Bundespressekonferenz hatte Seibert – wie so oft in den vergangenen Wochen – die Demonstrationen in Weißrussland und den Mut der Menschen dort gelobt. Auf meine Frage, ob der Bundesregierung Erkenntnisse dazu vorliegen, wie die weitgehende Nicht-Einhaltung von Hygiene-Regeln und der Verzicht auf Masken auf diesen Demonstrationen sich auf die Zahl der Corona-Infektionen bzw. positiven Tests auswirke, antwortete Seibert: „Solche Erkenntnisse müssten Sie bei den belarussischen Stellen erfragen, wir können die naturgemäß nicht haben. Das größte Problem dieser Demonstrationen ist aber die Art und Weise, wie der Staat und der staatliche Unterdrückungsapparat auf sie reagieren, es sind die Bilder, die wir jedes Mal sehen nach den Wochenenden, von Menschen, die niedergeknüppelt werden, die in Kleintransportern verschleppt werden in unbekannter Richtung. Das halten wir für das größte Problem dieser Demonstrationen.“
Eklatante Unterdrückung des Freiheitswillens
Ich hakte daraufhin bei Merkels Sprecher nach, ob ich seine Antwort richtig dahingehend verstehe, dass bei der Abwägung zwischen Demokratie und Freiheit auf der einen Seite und Gesundheit bzw. Leben in seinen Augen ersteres den Vorrang habe. Seibert antwortete: „Herr Reitschuster, in Ihrer Frage ignorieren Sie völlig die eklatante Unterdrückung des Freiheitswillens von friedlichen Menschen, die brutale Gewalt, mit der diese Freiheit niedergeknüppelt wird. Darüber sollten wir sprechen. Auch wir möchten natürlich, dass Belarus gut durch die Pandemie kommt und dass es dort möglichst wenig Infektionen gibt. Die Zahl der Infektionen können Sie allerdings nicht bei der Bundesregierung erfragen.“ Anzusehen ist die Passage hier.
Hier zum Thema Polizeigewalt ein paar Bilder von der Demonstration gegen das Corona-Gesetz am 18. November in Berlin vor dem Brandenburger Tor (Details siehe hier):
So fern es mir läge, die Zustände in Weißrussland mit denen in Deutschland zu vergleichen: Jede Art von brutaler, überzogen wirkender Polizeigewalt ist zu hinterfragen. Und die in Berlin wird kaum thematisiert in den großen Medien und in der Politik.
Weiter fragte ich Seibert, warum er seit längerem von einem exponentiellen Wachstum der Corona-Zahlen spreche. Der Hannoveraner Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg macht geltend, ein solches, steil ansteigendes Wachstum habe es im Vorfeld des neuen Lockdowns gar nicht gegeben, sondern nur einen sigmoiden, also einen S-förmig anwachsenden Anstieg. Merkels Sprecher antwortete: „Ich werde der Bundespressekonferenz gerne noch einmal die Graphiken des extrem steilen Anstiegs der Infektionszahlen in den Monaten September und Oktober zur Verfügung stellen. Dann können Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse ziehen“ (anzusehen ist der Wortwechsel hier).
Oliver Ewald, den Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), fragte ich, wie es zu dem Schwund von 3.167 Betten auf den Intensivstationen kam, über die ich am Sonntag exklusiv auf meiner Seite berichtet hatte (siehe hier). Ewald antwortete: „Da müssten sie sich bitte an die Bundesländer wenden. Die Bundesländer sind verpflichtet, seit dem 16. April, alle ihre intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten jeden Tag an das DIVI-Intensivregister zu melden. Und ein Behandlungsplatz ist nicht nur das Bett und das Gerät, sondern auch das Personal. Wann ein Bett betreibbar ist, ist da auch genau definiert. Und wie gesagt, es ist Aufgabe der Länder, die Krankenhauskapazitäten zu steuern. Teilweise haben wir da auch Regelungen in den Corona-Schutzverordnungen getroffen. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die Freihaltung von Kapazitäten für potentielle Covid-19-Patientinnen und Patienten nicht zu einer Unterversorgung für andere Patienten führt. Das sind am Ende aber ärztliche Entscheidungen, die vor Ort in den Häusern getroffen werden müssen.“
Schwund von Intensivplätzen
Seibert ergänzte: „Ich empfehle in diesem Zusammenhang auch die Aussagen des Verbands der Intensivmediziner und Aussagen zum Beispiel der Charité und anderer Universitätskliniken von der vergangenen Woche über die aus ihrer Sicht angespannte Situation in den Intensivstationen, und zwar sowohl was die Strukturen, die Betten und auch das Personal angeht.“ Meine Frage blieb damit unbeantwortet – denn gerade ein Schwund von Intensivplätzen führt ja zu dem, was Seibert als angespannte Situation beschreibt (anzusehen sind die Antworten zu den Intensiv-Betten hier).
Meine weiteren Fragen konnte ich leider nicht mehr stellen, weil die Zeit nicht ausreichte. Angesichts von Corona wird die Länge der Bundespressekonferenzen aktuell auf einen Rahmen von einer Stunde begrenzt, um das Infektionsrisiko durch das gleichzeitige Befinden in einem Saal zu minimieren.
Tilo Jung fragte ausführlich nach der Tötung der „Schlüsselfigur“ des iranischen Atomprogramms, des Kernphysikers Mohsen Fachrisadeh und wollte wissen, ob die Bundesregierung diese verurteile. Dazu fragte er auch intensiv nach.
Frage nach Drohnenmorden
Weiteres Thema von Tilo Jung war ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, wonach die Bundesregierung den USA nicht untersagen muss, ihren Luftwaffenstützpunkt in Ramstein für, so Jung wörtlich „Drohnenmorde“ zu nutzen. „Begrüßt die Bundesregierung dieses Urteil, finden Sie es schade, dass Sie das jetzt nicht tun müssen, planen Sie vielleicht, das trotzdem zu tun?“ Seibert antwortete: „Das Urteil gibt wichtige Hinweise und Orientierung!“ Jung schob nach, dass in Ramstein eine Analyse von Drohnenangriffen vorgenommen werde und wollte wissen, ob die Bundesregierung das Gericht folglich angelogen habe (siehe hier). Außenamtssprecherin Maria Adebahr kritisierte, die Frage enthalte eine Unterstellung und sei nicht redlich.
Neben Corona weiteres beherrschendes Thema auf der Bundespressekonferenz war ein angebliches Push-Back – also eine Zurückweisung von illegalen Grenzübertretern – an der griechischen Seegrenze. Bereits auf vorherigen Bundespressekonferenzen wurde das ausführlich behandelt. Im konkreten Fall wurde ein Schlauchboot mit 40 Menschen an Bord vom griechischen Küstenschutz abgedrängt und dann von der türkischen Küstenwache aufgebracht. Laut Alina Vick, Sprecherin des Bundesinnenministerium, waren an der Aktion keine deutschen Beamten beteiligt. Ob es sich um ein illegales „Push Back“ handle oder nicht, könne das Ministerium anhand der vorliegenden Informationen nicht beurteilen.
Push-Back oder nicht?
Hierzu lautete eine der Nachfragen aus dem Saal: „Die von Ihnen beschriebene Situation ist genau die, die von der Genfer Flüchtlingskonvention als Push-Back bezeichnet wird. Wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass es kein Push-Back sei?“ Antwort von Ministeriumssprecherin Vick: „Ich weiß nicht, wie Sie zu der Einschätzung kommen, dass es ein Push-Back war, die Bundespolizei hat den Einsatzort verlassen, was dann passiert ist, können die Bundespolizisten nicht beurteilen vom Hafen aus.“
Hans Jessen, der regelmäßig mit Tilo Jung zusammen auftritt, hakte nach: „Warum sind 40 Menschen auf einem Schlauchboot auf hoher See keine Situation von Seenot, das wurde in der vergangenen Zeit anders gesehen? Und es ist doch so, dass die Bundespolizei den griechischen Behörden ermöglicht, eine Push-Back-Situation zu erzeugen.“ Vick: „Ihre Frage unterstellt, dass die Bundespolizei wusste, was passiert, als sie sich zurückzog.“
Jung fragte: „Wie kommt man dazu, zu sagen, ein Schlauchboot mit 40 Personen sei keine Seenot. Laut Seerecht ist das Seenot.“ Darauf Vick: „Die Vorschrift, dass 40 Menschen auf einem Schlauchboot automatisch in Seenot sind, diese Vorschrift kenne ich nicht.“ Den gesamten Themenkomplex können Sie hier ansehen.
Text: br