Lockdown: Es hätte eine nicht-autoritäre Alternative gegeben Warum Merkel immer fanatischer wurde

Ein Gastbeitrag von Vera Sandström

Schon seit einem Jahr und zuletzt immer stärker stelle ich mir die Frage, wie das mit unserer Gesellschaft passieren konnte, was wir heute unseren „normalen“ Corona-Alltag nennen und was auf unabsehbare Zeit so oder so ähnlich leider bleiben wird. So irrational, so surreal, so unverhältnismäßig und so offensichtlich falsch bezüglich aller bisherigen Lebensprinzipien unserer Gesellschaft sind die Maßnahmen, dass man dem Geschehen immer wieder ungläubig entgegenblickt. Wie in einem dystopischen Paralleluniversum, so geht es mir zumindest. Es gibt ja so etwas wie die „Logik des Krieges“, die ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hat, sobald man den roten Knopf gedrückt hat.

Diese Kriegslogik ist dann nur noch schwer anzuhalten, weil Automatismen laufen und alle vorherigen Entscheidungen durch eine prinzipielle Kursänderung als unbegründet entlarvt würden. Und im Zweifel geht es im Krieg für die Befehlshaber nicht um „den Sieg“, sondern um das Bild eigener Entschlossenheit, um die Illusion von Kontrolle, kurz: um Autorität und Macht. Gerade in Deutschland sollte man diese Lektion aus der Geschichte gelernt haben.

Wegen des Gefühls, dass sich das Land (und ich mit meiner Familie und Kindern leider mittendrin) spätestens seit dem Ewig-Lockdown in einer dystopischen Parallelwelt befindet, habe ich mir den „Spaß“ erlaubt, mir eine alternative Entwicklung zu überlegen, wie sie in einem demokratischen Staat bei einer Pandemie hätte passieren können und müssen. Was also eine normale systemische Reaktion unserer Gesellschaft auf Corona gewesen wäre, wenn man nicht die chinesische Schablone vom „Alle Einsperren!“ angewandt und später mit typisch deutscher Gründlichkeit, Ängstlichkeit und Duckmäuserigkeit immer weiter perfektioniert hätte.

Fiktive Merkel-Ansprache

Aus den Äußerungen von Ex-Verfassungsrechtlern, Ex-Charité-Chefvirologen, Ex-WHO-Pandemieexperten und Ex-Journalisten-in-leitender-Funktion sowie aus den Erfahrungen anderer Länder kann man durchaus ein Alternativszenario quasi als „therapeutische Fantasiereise“ entwickeln, das so hätte eintreten können, wenn andere Personen in leitender Funktion gewesen wären. Und vielleicht kann man aus dieser Fantasiereise noch immer etwas lernen. Eingeleitet sehe ich das Alternativszenario durch eine fiktive Ansprache von Angela Merkel, wie ich sie mir gewünscht hätte. Nun also:

Als sich im Februar und März 2020 abzeichnet, dass Corona sich auch außerhalb Chinas ausbreitet und sich in Europa besonders in Teilen Norditaliens die Situation auf den Krankenstationen dramatisch zuspitzt, tritt Bundeskanzlerin Merkel in einer Sondersendung vor die Kameras (am besten noch bevor die WHO eine globale Pandemie ausruft).

Die Kernpunkte ihrer Botschaft an die Bürger: Deutschland und Europa stehen vor einer großen Herausforderung, wobei man noch nicht allzu viel über das Virus weiß. Wir müssen lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Dazu müssen alle, auch wir Politiker, ein Maß an Ungewissheit aushalten, das wir im Alltag nicht gewohnt sind. Vor allem müssen wir uns der Corona-Gefahr als offene Demokratie entgegenstellen und wir werden ganz bewusst nicht den offensichtlich gescheiterten und autoritären chinesischen Weg gehen. China wird sich vor der Welt für den Ausbruch und die anfängliche Verschleierung ohnehin später verantworten müssen, da bin ich bei allen sonstigen Differenzen voll und ganz beim amerikanischen Präsidenten.

‘Umfangreich und vorurteilsfrei‘

Bei uns in Deutschland ist das Volk der Souverän, wir sind Individuen und keine Herde, wir haben unverhandelbare persönliche Grundrechte und müssen Tag für Tag, Stunde für Stunde abwägen, ob Maßnahmen verhältnismäßig sind. Das werden wir tun. Das ist auch eine Lehre aus unserer Geschichte. Gleichzeitig muss unsere Gesellschaft so stark sein, dass sie zusammenhält, dass das gemacht wird, was notwendig ist, dass wir nicht wegen einer unangemessenen Rücksichtnahme, auf wen auch immer, das Notwendige unterlassen und uns Schwächen erlauben. Wir sind eine starke Gesellschaft und müssen jetzt zusammenhalten, sehr respektvoll miteinander umgehen. Die Bundesregierung und das RKI verpflichtet sich deshalb, die Bevölkerung umfangreich und vorurteilsfrei über jeden weltweiten Erkenntnisgewinn zu Corona und die Handlungsempfehlungen daraus zu informieren.

Es wird außerdem ein Beratungsgremium eingerichtet, das wöchentlich und fachlich ausgewogen dem Bundestag berichten wird. Dazu werden Experten verschiedener Fachrichtungen eingeladen, u.a. Virologen, Epidemiologen, Psychologen, Pädagogen, Verfassungsrechtler, Ökonomen und Informatiker, um in dieser Krise möglichst viele Lebensbereiche abzudecken. Sicherstellen müssen wir, dass unsere Maßnahmen möglichst konkret und zielgenau wirken und die unvermeidbaren Nebenwirkungen für die Gesellschaft, vor allem für die Schwächeren, möglichst gering ausfallen. Als wichtigste Maßnahme brauchen wir nun schnell eine möglichst breite Basis an Testmöglichkeiten, um zu erkennen, wer krank und wer gesund ist.

Die Kranken werden bestmöglich behandelt, in unser Gesundheitssystem kann man vertrauen, es ist eines der stärksten der Welt, Verhältnisse wie in Teilen Italiens werden wir vermeiden können. Die Gesunden werden eine gewisse Zeit mit Einschränkungen ihren Alltag leben müssen, es geht vor allem darum, sein Verhalten anzupassen, auf Abstände zu Mitmenschen zu achten, Hygieneregeln wie regelmäßiges Händewaschen zu befolgen, um sich nicht anzustecken – bis wir mehr wissen und genauere Empfehlungen geben können.

‘Nüchtern und optimistisch bleiben‘

Gewisse gemeinschaftliche Freuden wie der Besuch von Konzerten und Fußballspielen sind vorübergehend leider nicht möglich, solange wir keine ausreichenden und zuverlässigen Testmöglichkeiten haben. Wir werden große staatliche Summen in die Entwicklung wirksamer Medikamente stecken und große staatliche Summen in die Entwicklung von Impfstoffen, die, wenn es so weit ist, allen in unserer Gesellschaft, aber auch europaweit und später auch weltweit zur Verfügung stehen werden. Ich habe großes Vertrauen in die Fähigkeiten unserer Forscher und Wissenschaftler. Wir werden in dieser Krise stets nüchtern und optimistisch bleiben, und wir werden sie gemeinsam meistern.

Haben Sie Vertrauen in sich und in die Krisenfestigkeit unseres demokratischen Rechtsstaats. Und glauben Sie mir: Wir schaffen auch das!

Vor Angela Merkel hätte wohl jeder Bundeskanzler eine Grundsatzrede ähnlich dieser gehalten, weil das Denken darin die politische DNA der alten Bundesrepublik beschreibt. Aus den beschriebenen Grundgedanken ergibt sich offensichtlich ein grundsätzlich anderer Handlungsansatz, eine andere Einstellung gegenüber den Menschen und ganz andere konkrete Maßnahmen. Also ein echtes Alternativszenario.

Warum aber ist diese Rede nur eine „Fantasiereise“, während wir real in der Dystopie leben? Warum hat Merkel vor einem Jahr eine ganz andere Rede gehalten und wurde im weiteren Verlauf in ihren Ansichten immer fanatischer? Darauf habe auch ich keine Antwort. Nur Ideen. Ich glaube, dass ein beträchtlicher Teil der Führungselite im Westen (und Angela Merkel mittendrin) insgesamt den Glauben an die systemische Überlegenheit von Demokratie, Pluralismus, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Streitkultur und Rechtsstaatlichkeit verloren hat.

Das ist bemerkenswert, weil die liberale Demokratie in den ideologischen Schlachten des 20. Jahrhunderts ja als uneingeschränkter Sieger hervorgegangen ist, und das gegen sehr harte Gegner. Und vor allem deshalb gesiegt hat, weil liberale Demokratien nie einheitlich organisiert waren, sondern systemisch unterschiedliche Stimmen gehört haben und dabei Gegenmeinungen und innergesellschaftliche Konflikte ausgehalten und gesehen wurden.

Westliche Werte hinderlich?

Hat der von militärischen Abenteuern begleitete dramatische Niedergang der USA zusammen mit dem spektakulären Aufstieg des autoritär organisierten China in den letzten 20 Jahren die mentale Landkarte westlicher Entscheidungsträger in so kurzer Zeit dermaßen durcheinandergebracht, dass sie insgeheim „westliche Werte“ als hinderlich bei der Regierungsarbeit empfinden (obwohl sie diese global predigen)? Dass sie also wie Angela Merkel im ungestörten Durchregieren ohne Gegenstimmen das Geheimnis Chinas sehen (obwohl es auch in China Gegenstimmen gibt und diese durchaus ein gewisses Gehör finden) und vom eigenen „störrischen“ Volk nur noch genervt sind? Dass sie heimlich von einer Machtfülle wie Putin träumen (dabei laviert Putin geschickt zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen)?

Ich fürchte, es ist so.

Und ich fürchte, „der Westen“ schaufelt sich erst damit sein eigenes Grab, wie jede heuchlerisch-totalitäre Ideologie, die keine Gegenstimmen duldet und Meinungsfreiheit nur simuliert. Der westliche Niedergang wird dann nicht das Ergebnis von zu viel Pluralismus sein, von zu wenig „richtiger“ Konformität, sondern vom Verrat eigener (ursprünglich) westlicher Werte. Wir sind, verstärkt durch die Corona-Dystopie, urplötzlich in einer autoritären Gesellschaft angekommen und ich bezweifle, dass wir einen Weg herausfinden. Aber ich hoffe es, noch …

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Die Autorin (m/w) ist Psychologin und Therapeutin und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Day Of Victory Studio/Shutterstpck
Text: Gast

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