Lockdown in Deutschland: Es geht kaum kompromissloser in Europa "Europameister" bei Corona-Maßnahmen?

Von Christian Euler

Wenn es einen europäischen Preis für den drakonischsten Lockdown gäbe, stünde Deutschland auf dem Siegertreppchen. Zwar steht die Bundesrepublik bei den Infektionszahlen in Europa vergleichsweise gut da, hat aber die dritthärtesten Einschränkungen und den strengsten Lockdown unter den großen Staaten. Nur Irland und die Niederlande gehen noch rigoroser vor.

Forscher und Studenten der Oxford University bereiten für das Portal „Our World in Data“ seit Beginn der Corona-Krise weltweite Daten zum Verlauf der Pandemie auf. Nun haben sie daraus für jedes Land einen Index errechnet, der auf Basis von neun Kriterien die Schärfe der Corona-Maßnahmen zu jedem Zeitpunkt seit Ausbruch der Pandemie berechnet. Sie umfassen unter anderem Reise- oder Versammlungsverbote, Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen und die Maskenpflicht.

Die „Welt“ hat die jüngsten Zahlen mit jenen vom 19. April 2020 verglichen – dem Tag, dem die ersten Lockerungen nach der ersten Welle folgten. Berücksichtigt wurden alle 27 EU-Länder sowie Großbritannien, Norwegen und die Schweiz. Das Ergebnis bestätigt die Vermutung vieler Maßnahmen-Kritiker: So streng wie in Deutschland ist der Lockdown in den 30 untersuchten europäischen Staaten derzeit nur in den Niederlanden und Irland. Selbst Großbritannien rangiert knapp hinter uns. Dabei legen die Infektionszahlen eine ganz andere Vorgehensweise nahe: Mit einem Sieben-Tage-Schnitt von derzeit 113 Infektionen pro eine Million Einwohner landet die Bundesrepublik auf dem 24. Platz. Lediglich sechs Länder verzeichnen pro Kopf noch weniger Infektionen als Deutschland – bei ungleich weniger brutalen Lockdowns.

Die Erhebung der Oxford University offenbart zudem: Trotz signifikant höherer Inzidenzen in der zweiten Welle neigten die meisten europäischen Staaten tendenziell zu weniger einschneidenden Maßnahmen als in der ersten. Nur Deutschland hat seinen Lockdown verschärft. In keinem anderen europäischen Land klafft eine so große Lücke zwischen hartem Shutdown und Infektionsgeschehen wie hierzulande. Umso deprimierender stimmt, dass nach der jüngsten Verlängerung keine Kursänderung in Sicht ist. Im Gegenteil: Nachdem Berlin nun die – epidemiologisch sinnfreie – Zielmarke von 35 bei der 7-Tage-Inzidenz aus dem Hut zauberte, ist eine weitere Verlängerung über den 7. März hinaus vorgezeichnet.

Auch bei anderen Kriterien gehört die Republik in Sachen Unerbittlichkeit zu den europäischen Vorreitern: Veranstaltungsverbote, geschlossene Läden, Ausgangsbeschränkungen oder die Mahnung, den öffentlichen Nahverkehr möglichst nicht zu nutzen. All dies wird in kaum einem anderen Land so vehement durchgesetzt.

Zur irrationalen deutschen Corona-Politik passt: Während es in allen anderen europäischen Staaten genügt für einen Test, Symptome zu haben, muss man hierzulande zusätzlich zu einer bestimmten Gruppe gehören, beispielsweise als Kontaktperson von Infizierten oder im medizinischen Bereich. Einzig Bulgarien handhabt dies ähnlich.

In Deutschland könnte durchaus Absicht dahinterstecken, ist dies doch ein Weg, die Drohkulisse aufrecht zu erhalten. Denn wer nicht auf flächendeckende und systematische Tests setzt, hat im Grunde nur eine Alternative: einen harten, pauschalen Lockdown – mit allen wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Nebenwirkungen. Im Mathematik-Unterricht würde man jetzt sagen: quod erat demonstrandum – was zu beweisen war.

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Dipl.-Volkswirt Christian Euler widmet sich seit 1998 intensiv dem Finanz- und Wirtschaftsjournalismus. Nach Stationen bei Börse Online in München und als Korrespondent beim „Focus“ in Frankfurt schreibt er seit 2006 als Investment Writer und freier Autor u.a. für die „Welt“-Gruppe, Cash und den Wiener Börsen-Kurier.
Bild: Kittyfly/Shutterstock
Text: ce

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