Lockdown oder nicht: Es ist nicht kompliziert Über die Probleme, das Offensichtliche beim Namen zu nennen

Ein Gastbeitrag von Leopold Luchs

Es ist nicht kompliziert.

Es ist ganz einfach.

Der Staat darf nicht eine Gruppe von Bürgern aktiv schädigen, um eine andere zu schützen. Er darf nicht sagen: Ich breche dir das Bein, damit dein Mitmensch sich nicht den Arm bricht. Wenn der Staat das tut, dann ist die Linie zur Willkür überschritten.

Es ist also eigentlich ganz einfach.

Die Debatte sieht aber dennoch kompliziert aus. Und zwar meistens ungefähr so:

Ich sehe das ja irgendwie ähnlich, es geht mir stellenweise auch zu weit, ach herrje, seufz, schwierig, man hätte mit den Schulen, Impfungen, Kleingewerbetreibenden, und das mit der ganzen Kulturbranche ist ja auch kompliziert und ich möchte nicht in der Haut unserer Politiker stecken, aber andererseits sind die Zahlen ja schon wieder langsamer gesunken und die Leute sind alle so unvernünftig und ohne die ganzen Leugner hätten wir das Problem gar nicht und ich finde es ja auch doof, daß die Restaurantbetreiber jetzt pleite gehen und jetzt scheint die Sonne und alle gehen raus und stecken sich an und in zehn Tagen kriegen wir bestimmt die Quittung und man kann es doch nicht einfach so laufen lassen und ich selber fühle mich eigentlich kaum eingeschränkt und so weiter und so weiter.

Ich mag das Wort „schwurbeln“ nicht, aber auf diese Art der Wortmeldung paßt es ganz gut.

Der Sound erinnert an Debatten, wie sie vor einigen Jahrzehnten in West- und auch Ostdeutschland zur DDR-Frage geführt wurden. Darf ein Staat eine Mauer bauen, niemanden rauslassen und im Zweifelsfall Leute erschießen? Nö. Darf er nicht. Sehr einfache Sache. Gewisse West-Intellektuelle sahen sich aber oft nicht in der Lage, diesen simplen Sachverhalt beim Namen zu nennen. Man hatte nämlich große Angst, sonst als „rechts“ zu gelten. Beifall von der falschen Seite, Springer-Presse, Franz Josef Strauß. Man war da in der eigenen SPD-wählenden Toskana-Soziologen-Bubble schnell unten durch. Also eigentlich war die DDR ja im Grunde, also im Prinzip, also von der Idee her, schon eine ganz gute Idee. Nur das mit der Mauer, hmja, und der Schießbefehl, klar ist das kompliziert. Man wand sich in tausend Argumentationsschleifen und führte einen hochkomplizierten Eiertanz auf.

Es gibt heute in unserer Gesellschaft ein anderes Thema, bei dem wir ein intaktes Tabu haben: Die Todesstrafe. Da sagen wir ganz klar: Geht nicht. Machen wir nicht. Gibt es nicht.

Man könnte sich aber durchaus eine Gesellschaft vorstellen, in der dieses Tabu kippt. In der es also doch die Todesstrafe gibt – für Kinderschänder (wird von rechts ja öfter mal gefordert) oder für rechte Gewalttäter oder was auch immer ein möglicher Zeitgeist an Opfern fordert. In dieser hypothetischen Gesellschaft gäbe es Hinrichtungen, da wäre irgendwann auch mal ein Unschuldiger unter den Hingerichteten, und die Debatten wären vermutlich genauso: Nun ja, ich sehe ja durchaus, daß es kompliziert ist, man muß da abwägen, es gilt halt einerseits das Recht auf Leben und Unversehrtheit und der Abschreckungseffekt und das Risiko eines Justizirrtums ist eigentlich minimal, aber man kann das so oder so gewichten und so weiter und so fort.

Ich behaupte: Es ist in allen drei Fällen derselbe Eiertanz. Man eiert herum, weil man aus irgendeinem Grund nicht in der Lage ist, das Offensichtliche beim Namen zu nennen.

Weil solche Krisen immer die Stunde der Demagogen sind, sehe ich die Kommentare schon vor mir: Jetzt ist er endgültig abgedriftet, jetzt vergleicht er die Corona-Maßnahmen mit Schießbefehl und Todesstrafe.

Nein, liebe Freunde, das tue ich nicht, und wer mir das vorwirft, der ist entweder böswillig oder ein bisserl deppert oder selber abgedriftet. Ich vergleiche nur die Debatten. DDR-Unrecht ist etwas anderes als hypothetische Todesstrafe für irgendwen, und das ist wieder was anderes als Corona-Maßnahmen. Es gibt jedoch ein verbindendes Element in allen drei Beispielen:

Der Staat nimmt sich etwas heraus, das er nicht darf, und viele Leute schaffen es nicht, das beim Namen zu nennen.

Es sind jeweils zivilisatorische Errungenschaften. Man sperrt seine Bürger nicht ein, man erschießt sie nicht an der Grenze, man richtet Verbrecher nicht hin, und man verbietet nicht weite Teile des öffentlichen und kulturellen Lebens, woraufhin Menschen ihre Existenz verlieren, in Armut und Depression abstürzen, und Kinder und Jugendliche ein Jahr oder mehr ihrer Entwicklung versäumen (nicht weil Schule ausfällt, sondern weil ALLES ausfällt).

Es ist in allen Fällen jeweils ganz einfach:

Der Staat darf das nicht. Punkt.

Dann bekommt man zu hören: Du machst es dir zu einfach.

Und daraufhin erwidere ich: Ich mache es mir nicht einfach, es ist einfach.

Nochmal zum Mitschreiben: Der Staat darf seine Bürger nicht aktiv schädigen, um eine bestimmte Gruppe zu schützen.

(Über die tatsächliche Wirksamkeit und logische Begründbarkeit dieses Schutzes geht es hier gar nicht erst, da gäbe es auch einiges zu sagen, aber da wurde auch schon viel gesagt.)

Daß es zum Risiko geworden ist, diese Selbstverständlichkeit zu formulieren, gibt mir zu denken. Es ist aber auch ein Grund, es zu tun. Wozu bin ich denn überhaupt auf der Welt, wenn nicht dazu, in so einem Moment den Mund aufzumachen?

Na gut, vielleicht dazu, meinen eigenen Allerwertesten zu retten und mir im Rahmen der Gegebenheiten ein schönes Leben zu machen? Okay. Vielleicht sollte ich allmählich mal dazu übergehen. Deswegen habe ich  mir jetzt dieses schöne Pseudonym zugelegt. Und dann werde ich eines Tages auch so Sachen sagen wie: Die Corona-Maßnahmen damals, hmja, kompliziert, mir tat das natürlich auch weh, daß so viele Leute dran glauben mußten, aber Güterabwägung, ach herrje, es ist schwierig, jedoch mein Aktiendepot hat sich bestens entwickelt, hallo Ludmilla, Sie können jetzt im Salon staubsaugen, und sagen Sie dem Gärtner, daß er einen neuen Strauß Rosen in die Eingangshalle stellen soll.

Klingt gar nicht schlecht, dieses Szenario. Aber bis es mal soweit kommt, verbleibe ich im Glauben daran, daß die Vernunft sich auf lange Sicht durchsetzt. Er läßt nach, der Glaube, aber nur sehr langsam.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!


Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Leopold Luchs heißt eigentlich anders und ist Schriftsteller von Beruf. Er hat bisher drei Romane, zwei Theaterstücke, einige Drebücher fürs Fernsehen, allerhand Gedichte und eine knappe Million E-Mails geschrieben.

Bild: DOERS/Shutterstock
Text: Gast 

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