Die russische Sprache ist bekannt für ihren Reichtum an Redensarten; es gibt keine Lebenssituation, für die man nicht den passenden Spruch finden würde. Einer der bekanntesten ist: „Eine Feier in der Pest.“ Gemeint ist damit, dass es sich jemand gut gehen lässt, obwohl die Gesellschaft im Ausnahmezustand und in der Krise ist. In Deutschland finden sich im Jahr 2024 dafür täglich Beispiele – und ich muss ständig an diesen russischen Spruch denken. Erst gestern habe ich hier darüber geschrieben, wie man sich im Kanzleramt Luxus-Sessel für die Minister für 4000 Euro das Stück anschafft – eine Summe, für die Otto-Normal-Bürger anderthalb Monate arbeiten muss, von Rentnern gar nicht zu reden (siehe hier).
Und all das in Zeiten, in denen immer mehr Menschen um ihre Existenz fürchten und den Gürtel enger schnallen müssen. Wo allein im Oktober 2,79 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet waren — 183.000 mehr als vor einem Jahr und der höchste Oktober-Wert seit 10 Jahren.
Schon gestern habe ich wegen der Sessel-Verschwendung meinen guten – aber für einen Journalisten gefährlichen – Vorsatz gebrochen, so wenig wie möglich über all diesen Irrsinn zu sprechen. Gefährlich ist dieser Vorsatz in meinem Beruf deswegen, weil er einen ja, wenn man ihn zu Ende denkt, arbeitslos machen würde. Aber nicht in diesen Zeiten. Heute breche ich den Vorsatz schon wieder. Und ich hoffe, Sie sind mit mir einverstanden, dass ich dafür einen guten Grund habe! Der steckt in folgender Schlagzeile der „Bild“: „MDR: Ex-Direktor Brinkbäumer bekommt 219.000 Euro für fast nichts.“
In dieser Schlagzeile ist alles drin, was einen als Normalbürger und umso mehr als Gebührenzahler einfach wütend machen muss. „Wofür zahlt der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) seinem ehemaligen Programmdirektor 219.000 Euro Jahresgehalt?“, fragen die Kollegen zu Recht. Und geben dann auch gleich die Antwort: „Die Frage blieb vor einer Woche bereits im Programmausschuss unbeantwortet, obwohl es um Geld aus dem Rundfunkbeitrag geht.“
Auch in der jüngsten Sitzung des Rundfunkrates zu Wochenbeginn gab sich Intendant Ralf Ludwig dem Bericht zufolge „äußerst schmallippig, als gefragt wurde, was der ehemalige Programmdirektor Klaus Brinkbäumer (57) seit 1. Mai 2024 denn nun für sein vieles Geld macht“. Er erklärte lediglich, der frühere Chef des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ liefere monatlich einen Arbeitsnachweis an den juristischen Direktor Jens-Ole Schröder.
Transparenz oder gar Verantwortungsbewusstsein den Abermillionen Zwangsgebühren-Zahlern gegenüber? Fehlanzeige!
Nicht einmal der MDR-Rundfunkrat hat bisher erfahren, wofür der GEZ-Apparatschik mit der kurzen Halbwertszeit seine 219.000 Euro bekommt. Einzige bekannte Tätigkeit: Auch nach seinem Ausscheiden bleibt Brinkbäumer weiter im Moderatorenteam der MDR-Talkshow „Riverboat“. Aber die kommt nur auf zehn Sendungen pro Jahr, die er zudem im Wechsel mit anderen Kollegen moderiert. Und das war nur eine Nebentätigkeit, solange der noch als Programmdirektor residierte.
Brinkbäumer war im April nach über drei Jahren als Programmdirektor des MDR zurückgetreten. Offiziell geschah dies „einvernehmlich” zwischen ihm und dem Sender – was in solchen Fällen aber in der Regel nie einvernehmlich ist. Es muss Zoff gegeben haben. Der Ex-Chef des „Spiegel“ äußerte den Wunsch, sich künftig stärker auf journalistische Arbeiten und eigene Projekte wie Bücher, Filme und Moderationen zu konzentrieren, anstatt an Konferenzen teilzunehmen und sich mit Strukturen zu befassen.
Nach dem Ausscheiden hieß es von der MDR-Spitze denn auch, Brinkbäumer werde neben der Moderatoren-Tätigkeit auch als „Reporter“ tätig bleiben. Das zumindest versicherte Direktor Jens-Ole Schröder am 21. Juni auch der Landesgruppe Thüringen im Rundfunkrat, wie es in dem Bericht heißt: „Im Protokoll der Sitzung ist nachzulesen, der ehemalige Programmdirektor ‚solle Aufgaben übernehmen, die entsprechend seiner besonderen Qualifikation für den MDR und die ARD sinnvoll sind‘. Schröder erklärte: ‘Gerade im Kontext der US-Wahlen könne Brinkbäumer für den MDR ein Gewinn sein.‘“
Doch damit ist es nicht allzu weit her. Auf Nachfrage der „Bild“, wie Brinkbäumer denn nun rund um die US-Wahl tatsächlich eingesetzt wird, hieß es von der Pressestelle der Anstalt: „Herr Brinkbäumer berichtet aus Deutschland über das Geschehen in den USA. Er steht also hier im Studio – ohne Zeitverschiebung – als Gesprächspartner zur Verfügung.“ Zudem bereite der ehemalige Programmdirektor für die Redaktion MDR Wissen einen Sondernewsletter „US-Wahl und Klima“ vor.
In der Leipziger MDR-Zentrale wird Klaus Brinkbäumer intern deswegen inzwischen nur noch spöttisch als „bestbezahlter Reporter Sachsens“ bezeichnet, wie es in dem Bericht heißt.
219.000 Euro im Jahr für ein paar Moderationen und dafür, einmal nach der Wahl „als Gesprächspartner zur Verfügung“ zu stehen und einen Sondernewsletter zu machen? In meinen Augen ist das eine dreiste Verhöhnung der Zwangsgebühren-Zahler, von denen viele jeden Euro zweimal umdrehen müssen, um am Monatsende nicht blank zu sein. Die Causa Brinkbäumer zeigt, was hier für ein Selbstversorgungs-System entstanden ist. Unter dem Deckmantel der Pressefreiheit und Sicherstellung einer „journalistischen Grundversorgung“, was im Jahr 2024 einfach nur noch wie Hohn klingt, wird hier abgezockt bis zum Umfallen. Dieses System hat fertig, es ist höchste Zeit, dass diesen Selbstbedienungsläden der Stecker gezogen wird.
„Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“
sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Bei uns ist es wohl eher ein guter Anwalt – und der kostet Geld. Augsburgs CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber hat mich gerade angezeigt, weil ich es gewagt habe, ihre Amtsführung zu kritisieren. Es geht um mehr als nur diesen Fall. Es geht um das Recht, Kritik an den Mächtigen zu üben, ohne kriminalisiert zu werden. Helfen Sie mir, dieses wichtige Recht zu verteidigen! Jeder Beitrag – ob groß oder klein – macht einen Unterschied. Zusammen können wir dafür sorgen, dass unabhängiger Journalismus stark bleibt und nicht verstummt. Unterstützen Sie meine Arbeit:
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