Öffentlich-rechtliche Propaganda in vollen Zügen Der Winter kommt: 3G-Kontrollen in Bus und Bahn

Von Julian Marius Plutz

Unlängst hatte ich einen Albtraum. Ja.

Um Viertel vor 8 stand ich am Nürnberger Hauptbahnhof, denn ich hatte vor, nach Berlin zu fahren. Ich bin verstrahlt, weil Schlafstunden sich als Mangelware herausstellten, da ein Telefonat mal wieder etwas „aus dem Ruder geriet“, insofern, dass statt 23 Uhr um halb 3 aufgelegt wurde. Entsprechend war ich orientiert, entsprechend gut war meine Laune. Und als dann der Zug kam und ich im fast leeren Wagon Platz fand, wunderte ich mich nur kurz, dass der ICE vier Minuten vor der geplanten Zeit abfuhr.

Die Verwirrung löste die Anzeigetafel auf. Ich saß im falschen Zug. Ist das denn die Möglichkeit! Und noch ehe ich mich selbst verfluchen konnte, stand ein wohlgelaunter, so wie bis in die Haarspitzen motivierter Zugbegleiter vor mir, der mich mit einem „Guten Morgen“ begrüßte, das enthusiastischer kaum hätte klingen können.

'Zeigen Sie mir Ihren Nachweis!'

Ich erklärte dem Herrn meine Malaise und siehe da, in Windeseile präsentierte er mir die völlig kostenfreie und simple Lösung. Ich solle bis nach Frankfurt fahren und dann einfach einen ICE in Richtung Berlin nehmen. Dann druckte er mir die sogenannte „Auflösung der Zugbindung“ aus – damit die anderen Kontrolleure keine Fragen stellen konnten. Ich muss sagen, kein übler Service.

Dass aus den vier Stunden geplanter Zugfahrt nun sieben Stunden wurden – geschenkt. Das konnte unmöglich der Alptraum gewesen sein. In Leipzig passierte jedoch das, was diesem Traum eine völlig neue Wendung gab. Plötzlich herrschte in meinem Abteil, in dem noch zwei oder drei Fahrgäste saßen, eine diffuse Unruhe. Eine Frau huschte an mir vorbei. Anschließend noch eine Frau. Danach ein Mann mit einer Kamera und ein Mann mit einem Mikrofon. In Sekunden besprachen sie etwas Unverständliches vor der Kamera, ehe ein Herr neben mir stand, der offenkundig etwas von mir wollte. „Ja, bitte?“

„Guten Tag, es gilt in diesem Zug 3G“, sagt er streng und mir war klar: Die wackelige Internetverbindung kann der Mann, der wie eine DB-Sicherheitskraft gekleidet war, nicht meinen. „Und ich möchte gerne Ihren Nachweis sehen.“

Ich stutzte kurz und tippte auf meinem Handy herum, eher ich den strengen Mann mein Zertifikat zeigen konnte. Als ich meinen Kopf nach rechts drehte, sah ich, wie der Mann mit der Kamera den Vorgang filmte und der Mann mit dem Mikrofon den Ton aufzeichnete.

„Wer sind sie?“ fragte ich den Mann mit dem Mikrofon. „Wir sind von der ARD und filmen für die Tageschau (oder Tagesthemen) Extraausgabe“, antwortete er, als wäre es das Normalste auf der Welt.

„Ich möchte nicht, dass mein Gesicht gezeigt wird“, stammelte ich den Herrschaften völlig überfordert entgegen.

„Keine Sorge, man sieht nur das Handy.“

„Nur das Handy“, dachte ich. Soll mich das nun beruhigen?

‘Da, schaut her! Sie kontrollieren wirklich!‘

Doch ehe ich noch irgendetwas sagen konnte, verschwand die Bande so schnell, wie sie aufgetaucht war. Das Ganze dauerte keine 20 Sekunden. Als wenige Minuten später der mobile Kiosk vorbeischaute und mir für 3,30 Euro ein handwarmes Bitburger (0,33) andrehen wollte, wurde mir klar: Das war kein Alptraum. Das gerade eben ist wirklich passiert.

Ich bin tatsächlich am Morgen in den falschen Zug eingestiegen. Und ich wurde von der ARD kontrolliert, ob ich im ICE „getestet, genesen oder geimpft“ bin. Jonathan Frakes, „X-Factor. Das Unfassbare“-Moderator, würde sagen: “Diese Geschichte ist wahr. Da haben wir sie nicht auf den Arm genommen!“

Im Nachhinein sind mir viele Sätze eingefallen, die ich hätte sagen können. Dieses völlig übereilte Überrumpeln jedoch machte mir das unmöglich. Und es ist eine unmögliche Situation, die eines angeblich seriösen Senders unwürdig ist. Wir reden hier vom goldenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und nicht von RTL II.

Je länger ich über diese Aktion nachdenke, desto mehr ekelt sie mich an. Diese offenkundig geplante Aktion zwischen Staat, Deutsche Bahn und ARD hatte nur einen Zweck: Bilder für die Propaganda in den Nachrichten zu produzieren. Nach dem Motto: „Da, schaut her. Sie kontrollieren wirklich. Lasst euch impfen, sonst kommt der strenge Mann! Sonst gibt es Repressionen.“
Was wir hier erleben, ist eine Bankrotterklärung der Gesellschaft. Mündigkeit ist nichts weiter als ein loser Begriff für Theoretiker im Elfenbeinturm aus vergangenen Zeiten. Der ÖRR macht sich zum Handlanger einer zutiefst inhumanen und illiberalen Politik, die mehr als nur – Achtung Wortwitz – „diktatorische Züge“ aufweist.

Einerseits bin ich verärgert, dass ich in den falschen ICE gestiegen bin und drei Stunden meines Lebens verschenkte. Anderseits bin ich froh, da ich dadurch sehen konnte und berichten kann, wozu dieses menschenverachtende System fähig ist.

Zieht euch warm an. Der Winter kommt.

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Dieser Artikel ist zuerst auf dem Blog Neomarius erschienen.

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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