Mehrfach habe ich Karl Lauterbach mit Onoda Hirō verglichen. Das war ein japanischer Nachrichtenoffizier, der bis 1974 auf der philippinischen Insel Lubang die Stellung hielt, weil er nicht mitbekommen hatte, dass der Krieg bereits vorüber war – niemand hatte ihn von der Kapitulation Japans unterrichtet. Gemeinsam mit drei seiner Soldaten war er 1945 in den Dschungel geflohen, als die US-Amerikaner die Insel eroberten. Im Oktober 1945 fanden die vier Militärs ein über dem Dschungel abgeworfenes Flugblatt, auf dem die Kapitulation ihres Staates verkündet wurde. Auch ein zweites Flugblatt entdeckten sie, mit der Aufforderung: „Der Krieg endete am 15. August. Kommt von den Bergen herunter!“ Doch Onoda Hirō und seine drei Männer schenkten den Flugblättern kein Vertrauen.
Die Behörden machten Onodas ehemaligen Vorgesetzten, Major Taniguchi, ausfindig, der inzwischen Buchhändler geworden war. Der flog am 9. März 1974 nach Lubang, informierte Onoda über die Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg und befahl ihm, sich zu ergeben. Das akzeptierte Onoda.
So wie der japanische Offizier das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht glauben wollte, so möchte Lauterbach das Ende des Corona-Zeitalters nicht akzeptieren. Und spielt einfach weiter Pandemie. Obwohl selbst Hof-Virologe Christian Drosten sie für beendet erklärt hat. So weit, so gut bzw. so schlecht. Lauterbachs Haltung überrascht nicht wirklich.
Umso mehr aber das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Dieses Leitmedium, für das ich früher selbst arbeitete, agiert seit Angela Merkel wie eine Propaganda-Abteilung der Regierung und betreibt sogar ein eigenes Wahrheitsministerium in Form eines „Faktenchecks“. Insofern ist also auch bei der Umfrage ein gewisses Misstrauen angebracht. Aber nichtsdestoweniger – ganz aus der Luft gegriffen sind die Ergebnisse wohl kaum. Und sie erschüttern.
Fast zwei Drittel (64 Prozent) der Deutschen sagen demnach, die Pandemie sei für sie noch nicht vorbei. Leben wir in einem Land mit lauter Onoda Hirōs? In dem die Mehrheit zwar nicht weiter im Dschungel Krieg führt, aber immer noch brav glaubt, ein Virus bekämpfen zu müssen bzw. besiegen zu können, weil das Regierung und Medien unisono so vorgeben? Meine tiefe Überzeugung ist, dass in den anderen Ländern, die ich gut genug kenne, um mir ein Urteil anzumaßen, nur noch ein verschwindend kleiner Bruchteil der Menschen diese Überzeugung der Mehrheits-Deutschen teilt. Die Pandemie ist für fast alle fast überall vorbei – Angstgestörte, Paranoiker und Hypochonder ausgenommen.
Doch es geht noch weiter: Eine Mehrheit ist der Umfrage zufolge gegen ein bundesweites Ende der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln (52 Prozent) und gegen eine Abschaffung der Isolationspflicht für Infizierte (60 Prozent). Dass die Pandemie für sie bereits Geschichte sei, gaben sage und schreibe nur 31 Prozent an. 23 Prozent sind der Auffassung, dass sie erst 2023 zu Ende gehen wird. Mehr noch: 41 Prozent gehen davon aus, dass sie noch das ganze nächste Jahr anhalten wird.
Die „Welt“ kommentiert das Ergebnis mit dem für den Mainstream typischen Euphemismus: „In der Bevölkerung ist das Team Vorsicht noch in der Mehrheit“. Ich sehe das ganz anders: In meinen Augen sind die Teams Masochismus, Stockholm-Syndrom, „German Angst“ und Obrigkeitshörigkeit in der Mehrheit (selbst wenn man davon ausgeht, dass die Umfrage etwas „geframet“ wurde). Rational ist all das für mich nur schwer nachvollziehbar. Die Dauer-Panikmache in Medien und in der Politik spielt zwar sicher auch eine Rolle – aber die gab es in anderen Ländern auch. In denen die Bevölkerung dennoch mehrheitlich normal genug war, um zur Normalität zurück zu kehren.
Eine Rolle spielt vielleicht, dass die Maßnahmen in Deutschland so streng und so lange anhaltend waren wie – mit Ausnahme von China und Österreich – kaum irgendwo auf der Welt. Umso mehr man gelitten hat, umso überzeugter man vom Sinn des ganzen Irrsinns war, umso größer ist die Versuchung, weiter an seinen alten Überzeugungen festzuhalten. Denn das Eingeständnis, dass man sich hat täuschen lassen und Opfer einer Manipulation wurde, wäre für Viele zu schmerzhaft (und allein schon der Vergleich mit Schweden würde dieses Eingeständnis zwingend zu machen). Und zu beunruhigend: Insbesondere dann, wenn man sich zu einer „Impfung“ (korrekt wäre der Ausdruck: experimentelle Gen-Therapie) hat verführen lassen und nun Angst vor den Folgen hat, wo sich diese nicht mehr komplett vertuschen lassen. Lieber belügt man sich offenbar selbst weiter und spielt das Spiel weiter mit.
Mein Mitleid mit denen, die weiter ihre Pandemie mögen, hält sich in Grenzen. Sehr groß ist mein Mitleid dagegen mit jenem unglücklichen Drittel der Bevölkerung (zu dem auch ich gehöre), die mit Kopfschütteln auf ihre Mitmenschen schauen, sich im falschen Film und im falschen Land fühlen und seit nun bald drei Jahren in Geiselhaft der Mehrheit sind.
PS: Ein Leser schickte mir das Ergebnis einer Meinungsumfrage eines anderen Instituts – mit einem leicht anderen Ergebnis. Auch da ist die Zahl der Maßnahmen-Befürworter erschreckend hoch.