Von Christian Euler
Ein Abendessen mit der Bundeskanzlerin mag für manche ein persönliches Highlight sein. Dinieren jedoch ausgerechnet diejenigen Verfassungsrichter mit Merkel, die kurz darauf eine Klage verhandeln sollen, hat das mehr als nur ein „Gschmäckle“. Sowohl der Erste als auch der Zweite Senat ließen sich ihre Einladung nicht entgehen.
Gut drei Wochen nach der mutmaßlich steuerfinanzierten Gourmandise am 30. Juni muss der Zweite Senat im Rahmen der „mündlichen Verhandlung in Sachen ‚Äußerungsbefugnisse von Regierungsmitgliedern‘“ darüber befinden, ob die Kanzlerin bundesdeutsches Gesetz gebrochen hat.
Kläger ist die AfD, die nicht akzeptieren will, dass sich Merkel auf ihrer Südafrikareise im Februar 2020 zur Wahl des FDP-Politikers Kemmerich in Thüringen äußerte und ihre Einlassungen im Internet auf den Seiten der Kanzlerin und der Bundesregierung veröffentlicht werden durften (Az.: 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20).
»Es war ein schlechter Tag für die Demokratie«
Dass Kemmerich mit Stimmen der AfD zu Thüringens Landesvater werden sollte, war ihr ein Dorn im Auge. „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen“, hatte Merkel kommentiert. Der Vorgang sei „unverzeihlich“ und das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie“, so Merkel, ihre Partei dürfe sich nicht an einer Regierung unter Kemmerich beteiligen.
Aus Sicht der AfD haben die Kanzlerin und die Bundesregierung ihre Pflicht zur Neutralität im politischen Meinungskampf und damit das Recht der AfD auf Chancengleichheit der politischen Parteien verletzt. Merkels Äußerungen hätten in unzulässiger Weise Amtsautorität bzw. staatliche Ressourcen für eine „negative Qualifizierung“ der AfD in Anspruch genommen.
„Man muss kein Freund der AfD sein, um die Forderung, dass eine Wahl ,rückgängig gemacht‘ werden müsse, in einer Demokratie zumindest seltsam zu finden“, schreibt der Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, Johannes Boie, in seinem heutigen Editorial, „als Kanzlerin könnte Merkel damit ihre Neutralität verletzt haben.“
Um es mit Merkels Worten auszudrücken: „Es ist ein schlechter Tag für die Demokratie.“ Doch ist es nicht nur ein einziger schlechter Tag. Es ist vielmehr eine nachhaltige Beschädigung des Vertrauens in die Demokratie, wenn es an der richterlichen Neutralität beim höchsten rechtsprechenden Organ der Bundesrepublik mangelt.
»Das alles hat einen faden Beigeschmack«
Dazu gehört auch, dass die Richter den Interessenkonflikt nicht erkannten und die Einladung überhaupt angenommen haben. In einem funktionierenden Rechtsstaat wäre zumindest von Befangenheit die Rede, wenn sich die oberste Instanz der Jurisdiktion mit der Exekutive verbrüdert.
Die Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts sollen nach deutschem Prozessrecht „im Namen des Volkes“ ergehen. Man darf gespannt sein, ob die Karlsruher Verfassungshüter mit ihren gut gefüllten Mägen tatsächlich so entscheiden, wie es die Bundesbürger tun würden.
„Das alles hat einen faden Beigeschmack, nicht nur wegen des Abendessens“, schreibt Welt am Sonntag-Chefredakteur Boie, „sondern auch – vielleicht sogar: vor allem –, weil die obersten Leute im Staat ostentativ demonstrieren, dass es ihnen wirklich vollkommen egal ist, welchen Eindruck sie bei den Bürgerinnen und Bürgern hinterlassen.“
Nicht zu vergessen: Mit Stephan Harbarth hat Angela Merkel einen langjährigen CDU-Bundestagsabgeordneten und guten Bekannten als Chef des Verfassungsgerichts durchgedrückt. Nach Ansicht von Kritikern ist bereits damit die Neutralität des Gerichts gefährdet, weil Harbarth der Kanzlerin gegenüber eine besondere Verpflichtung habe – seinen hohen Posten hat er einzig und allein ihr zu verdanken. In anderen Ländern wie etwa Polen kritisiert die Bundesregierung genau solche Methoden lautstark. Und wendet sie zu Hause selbst an.
Bild: Respiro/Shutterstock / Twitter
Text: ce
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