Merkels „Demokratie-Retter“ zeigt den Stinkefinger

Erinnern sie sich noch an den Februar, an Thüringen? Als die ganz Republik Kopf stand, weil die Falschen den Richtigen zum Ministerpräsidenten wählten? Wie Angela Merkel sich aus dem fernen Südafrika einschaltet, und in der Manier einer Autokratie die „Korrektur“ einer demokratischen Wahl forderte? Weil Thomas Kemmerich von der FDP auch mit Stimmen der AfD gewählt worden war – ohne sein Zutun und ohne Absprache. Kemmerich wurde zur Unperson, seine Familie und sein Haus mussten unter Polizeischutz gestellt werden, weil die Kämpfer gegen Hass und Hetze gegen ihn mobil machten.

Merkel setzte sich durch (wofür sie ihre Parteichefin opfern musste) und sorgte dafür, dass der Falsche mit den Stimmen der Richtigen gewählt wurde: Bodo Ramelow von der umbenannten SED. Der stand früher im Blickfeld des Verfassungsschutzes, zeigte auf twitter schon mal Sympathien für Stalin und tut sich schwer damit, die DDR als Unrechtsstaat zu benennen. Mit der Wahl des SED-Erben Ramelows, so damals der Konsens in Medien und Politik, sei die Demokratie in Deutschland gerettet, und der mögliche Sündenfall verhindert.

Dass Ramelow sich selbst einst mit einer Stimme aus dem AfD-Lager ins Amt wählen ließ, wurde damals merkwürdigerweise links liegen gelassen in dem ganzen Medien-Rummel. Ebenso ging fast unter, dass der „Erlöser“, kaum ins Ministerpräsidenten-Amt gelangt mit Merkel als Steigbügelhalterin, bei einer Richterwahl gemeinsam mit der AfD stimmte. Im Merkel´schen Deutschland ist das in etwa gleichbedeutend mit einem offenen Pakt mit dem Teufel im Mittelalter.

Und jetzt das! Der „Demokratie-Retter“ im Merkel´schen und medialen Sprachduktus zeigte sich ganz und gar garstig und undemokratisch. In einer Debatte zum NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag flippte der Landesvater völlig aus. Er zeigte dem AfD-Abgeordneten Stefan Möller den Mittelfinger und beschimpfte ihn als „widerlichen Drecksack“.

Die Sitzung des Thüringischen Landtags musste unterbrochen werden. Der Ältestenrat wurde einberufen, auf Antrag der AfD. Bemerkenswert ist der Auslöser für das Ausflippen des nach linksgrüner Lesart so überaus gemäßigten Linken-Politikers: Der Abgeordnete Möller hatte darauf hingewiesen, dass auch Ramelow selbst bereits vom Verfassungsschutz wegen linksextremer Tendenzen beobachtet wurde.

Ausgerechnet die Linken-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow zeigte Verständnis für ihren Genossen. Die Frau, die von vielen Medien bis hin zur „Bild“ gelobt wurde, weil sie Thomas Kemmerich nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Februar den eigentlich für Ramelow vorbereiteten Gratulations-Blumensstraus einfach vor die Füße warf. „Ein Stinkefinger ist die einzig anständige Reaktion auf einen Unanständigen“, schrieb Hennig-Wellsow bei Twitter.

Ramelow ging sogar noch weiter. Statt sich zu entschuldigen oder sein Verhalten zu bedauern, sagte er im Interview mit dem MDR wenige Minuten später: „Es gehört sich nicht, so etwas im Parlament zu sagen, aber ich wiederhole es, Herr Möller ist aus meiner Sicht ein widerlicher Drecksack.“ Es habe ihn fassungslos gemacht, dass Möller so argumentiert habe, „dass die Gewaltbereitschaft bei den Linken wäre, und dass die Verlogenheit alles bei den Linken wäre. Das ist ein Punkt erreicht, wo ich auch einfach menschlich nicht mehr kann.“ Ramelow macht also genau das fassungslos, was er anderen ständig vorwirft. Für seine Aussage bekam er noch Applaus von Abgeordneten der Regierungsparteien, die bei dem Interview dabei standen.

Man stelle sich nur einmal für einen Moment vor, ein AfD-Politiker hätte sich in einem Parlament einen derartigen Ausfall geleistet. Die Empörung in den Medien und in der Politik wäre gewaltig. Auch über die Entgleisung des Linken-Politiker wurde zwar breit berichtet in den deutschen Medien. Allerdings bei vielen eher versteckt: So war etwa am Freitag am späten Abend auf den Startseiten von „Bild“, „Berliner Zeitung“, „Zeit“, „Frankfurter Allgemeine“, „taz“, „Frankfurter Rundschau“, „Stern“, „Tagesschau.de“ und „NZZ“ (Deutschland-Seite) mit dem Suchwort „Ramelow“ kein Beitrag zu finden. Zu finden waren Berichte auf den Startseiten von „Süddeutscher“, „Tagesspiegel“, „Welt“, „Spiegel“, „ZDF“ und „Focus“.

Bemerkenswert ist auch, dass es keine Aufnahmen von dem Stinkfinger in den Medien gibt – obwohl etwa der MDR Szenen aus der Sitzung zeigte. Hier stellt sich die Frage, ob solche Fotos absichtlich nicht verbreitet werden, da sie in der heutigen, maßgeblich durch Bilder geprägten Medienlandschaft eine bedeutende Wirkung hätten.

Interessant auch, wie in den Medien teilweise „geframt“ wird, also der Leser in eine bestimmte Denkrichtung geleitet. Die Frankfurter Allgemeine etwa macht aus dem Hinweis des Abgeordneten auf die Verfassungsschutz-Beobachtung Ramelows und Gewaltbereitschaft bei Linken eine „Provokation“ – und aus Ramelows Pöbelei eine „scharfe Reaktion“:

Ramelows Verhalten entlarvt, wie naiv und irreführend ist, dass ihm so viele Medien und Politiker bescheinigen, er sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sein Ausfall zeigt Demokratie-Feindlichkeit und Probleme beim Umgang mit anderen Meinungen. Beachtenswert ist, dass diese von vielen offenbar als besonders schwerwiegend und relevant wahrgenommen werden, wenn sie von einem „Linken“ kommen.


Wie mir ein Insider nach Lektüre dieses Berichtes berichtete, wurde die Szene mit dem Mittelfinger tatsächlich nicht von den Kameras im Landtag erfasst. Seiner in meinen Augen glaubwürdigen und stringenten Aussage zufolge liegt keine Absicht dahinter, dass es keine Bilder der obszönen Szene gibt.


Bild: quapan/flickr.com/CC BY 2.0/Boris Reitschuster

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