Die Realität holt einen als Journalisten in diesen Tagen ständig ein. „Streit um Mundschutz in Berliner U-Bahn eskaliert! Mann geht mit Messer auf Fahrgast los“ – diese Schlagzeile aus der B.Z. schickte mir gerade der Berliner Abgeordnete Marcel Luthe (parteilos, früher FDP), nachdem ich mit ihm telefoniert hatte für einen Beitrag über die Diskriminierung von Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können, und Kindern. Dabei hatte Luthe mir dargelegt, für wie gefährlich er es hält, dass pauschal Stimmung geschürt wird gegen Menschen, die keine „Mund-Nasen-Bedeckung“ tragen. Wie etwa unlängst durch eine vom Staat über „VisitBerlin“ finanzierte Werbekampagne in Berlin, in der „Maskenmuffeln“ der Mittelfinger gezeigt wurde (siehe hier).
„Nach einem Streit über seinen fehlenden Mund-Nasen-Schutz hat ein Unbekannter am Freitagnachmittag in Zehlendorf ein Messer gezogen und damit einen anderen Fahrgast verletzt“, schreibt die B.Z.: Ein Mann, der wegen fehlender Maske (die B.Z. nutzt das Framing-Wort „Mund-Nasen-Schutz“, obwohl weder Mund noch Nase geschützt werden durch die Bedeckung) angesprochen wurde, agierte extrem aggressiv. Er attackierte schließlich einen Mitfahrenden mit einem Messer. Der Mann wirkte wirr. Der tragische Vorfall zeigt, wie heftig die Stimmung inzwischen angeheizt ist.
Kurz vor dem Bekanntwerden des Vorfalls in der U-Bahn hatte sich der Abgeordnete Luthe über die Berliner Verkehrsbetriebe BVG beklagt. Die machen groß Kampagne für die Maske – unterschlagen dabei aber völlig, dass etwa Kranke und kleine Kinder diese nicht tragen können. Auf Luthes parlamentarische Anfrage zum Thema antwortete Berlins Senat: „Die BVG teilt mit, dass Mitteilungen zur Tragepflicht einer Mund-Nasen- Bedeckung auf den Daisyanzeigern an der Oberfläche und in der U-Bahn laufen. Es gibt des weiteren Ansagen in den Fahrzeugen, Plakate an den U-Bahneingängen, Aufkleber an den Türen der Straßenbahn, Bus und U-Bahn (‘Für dich. Für uns. Für alle! Bedecke bitte in Fahrzeugen und Bahnhöfen stets Mund und Nase.‘) sowie an den Aufzügen (‘Zutritt nur mit Maske‘).
„Auch die BVG greift damit – wie VisitBerlin – eine Vielzahl chronischer Kranker und Behinderter – ebenso wie Kinder – an, die weder verpflichtet sind, ein Gesichtstuch zu tragen noch das sollten. Diese Leute gerade wegen ihrer Gesundheit auszuschließen widerspricht den Aufgaben des ÖPNV nach dem grünen Mobilitätsgesetz und dem grünen Landesantidiskriminierungsgesetz und ist ein Armutszeugnis für die grün geführte BVG. Die BVG muss vielmehr darauf hinweisen, dass es keine ‚Allgemeine Maskenpflicht‘ gibt und das Mobbing gegen die Betroffenen unterbinden, statt es noch zu unterstützen.“ Es könne nicht angehen, dass etwa Kranke vom Benutzen der Aufzüge ausgeschlossen seien.
Auf die Frage, „Wie konkret stellt die BVG sicher, dass entgegen des gesetzlichen Verbots durch das LADG keine Diskriminierung chronisch kranker oder schwerbehinderter Kunden der BVG erfolgt, wenn diese aus medizinischen Gründen rechtlich gar nicht verpflichtet werden dürfen, eine sogenannte ‘Maske‘ zu tragen?“, antwortete der Senat: „Die BVG teilt mit, dass die für die Einhaltung der Nutzungsordnung, in der das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung geregelt ist, zuständigen Sicherheitsbeschäftigten durch entsprechende Arbeitseinweisungen und persönliche Einweisungen ihrer direkten Vorgesetzten hinsichtlich dieses Themas geschult sind. Dasselbe gilt für die privaten Sicherheitsdienstleister, die im Auftrag der BVG arbeiten.“
Luthe bohrte auch beim Datenschutz nach: „Erachtet der Senat eine Regelung des Hausrechts, die bestimmte – insbesondere chronisch kranke und schwerbehinderte – Kunden zur Offenbarung ihrer gesetzlich geschützten Gesundheitsdaten verpflichten will, wenn diese wie uneingeschränkte Kunden auch die Leistungen der BVG nutzen wollen als unzulässige Diskriminierung im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes? Falls ja, weshalb und was unternimmt der Senat dagegen? Falls nein, weshalb nicht?“
Die Antwort der Regierung: „Der Senat kann eine unzulässige Diskriminierung von Kundinnen und Kunden der BVG, die aus gesundheitlichen Gründen oder wegen einer Behinderung keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen können, nicht erkennen, weil es sich bei der Regelung um eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung handelt.
Luthe kann das nicht nachvollziehen: „Weshalb der Senat nicht – wie zum Beispiel Sachsen – ausdrücklich Kranke und Behinderte in seiner Verordnung vor Diskriminierung schützt, ist mir unerklärlich. Das Parlament repräsentiert das Volk, aber die große Gruppe der chronisch Kranken und Behinderten, die ein solches Produkt gar nicht tragen können und täglich Mobbing ausgesetzt sind, findet im Parlament nicht statt. Damit muss Schluss sein!“
Der Freistaat Sachsen schützt tatsächlich Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können. In einer Antwort des Sozialministeriums auf eine Bürgeranfrage, die reitschuster.de vorliegt, heißt es: „Menschen mit Behinderung oder die aufgrund körperlicher Beeinträchtigung nicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung in der Lage sind, sind von der Pflicht ausgenommen. Diese Ausnahmeregelung wurde ausdrücklich in der SächsCoronaSchVO geregelt, um allen Bürgern eine Teilhabe am öffentlichen Leben, insbesondere den Einkauf und die Versorgung mit Lebensmitteln zu ermöglichen (§ 2 Abs. 7 S. 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 S. 4 bis 5 SächsCoronaSchVO).
Zur Glaubhaftmachung genügt ausdrücklich die Vorlage eines ärztlichen Attests oder ein Schwerbehindertenausweis. Liegt eine solche Bescheinigung vor, ist sie zu akzeptieren und es bedarf auch keiner weiterer Erklärung oder Rechtfertigung durch die betroffene Person. Ein ärztliches Attest soll zum Schutz sensibler Gesundheitsdaten ebenfalls keine Diagnose oder weitere Begründung enthalten. Der Zutritt kann dann aus infektionsschutzrechtlichen Gründen nicht verweigert werden (§ 2 Abs. 7 5. 6 SächsCoronaSchVO). Darauf können Sie auch weiterhin die Geschäftsinhaber hinweisen, sollte Ihnen trotz Vorlage eines entsprechenden Attests der Zutritt verwehrt werden.
Das Hausrecht der Geschäfts- und Ladeninhaber besteht darüber hinaus, abgesehen von der geregelten Ausnahme, weiterhin fort.“
Berlins Senat drückt sich laut Luthe dagegen seit Wochen um eine Antwort auf seine parlamentarische Anfrage, ob sich Ladeninhaber auf ihr Hausrecht berufen können, wenn sie Kunden mit Maskenattest den Zutritt verweigern, oder ob darin eine illegale Diskriminierung begründet liegt.
Die Antwort des Berliner Senats auf die parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Luthe zum Thema BVG/Masken:
Text: br
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