Mitten im Unterricht: Schülerin festgenommen wegen Internet-Posts Sie schrieb auf TikTok, dass Deutschland nicht nur ein Ort, sondern Heimat ist

Von Hans-Hasso Stamer

Der Fall ist für mich schlichtweg unvorstellbar. Mir kommt mein eigenes Land langsam vor wie ein dystopischer Albtraum. Der eigene Direktor hat nach einem Bericht der „Jungen Freiheit“ (JF) eine sechzehnjährige Schülerin angezeigt. Und noch viel schlimmer: Die Polizei hat sie tatsächlich in der Schule abgeholt.

Unter der Überschrift „Schülerin aus Unterricht abgeführt – ‚Ich hätte nicht für möglich gehalten, was meiner Tochter angetan wurde““ schreibt die JF: „In Mecklenburg-Vorpommern wird ein 16-jähriges Mädchen vor den Augen ihrer Mitschüler plötzlich von drei Polizisten aus dem Unterricht geholt. Das Vergehen: Sie sagt auf TikTok, daß Deutschland ihre Heimat sei und nicht nur ein Ort auf der Landkarte. Denunziert wird die Schülerin vom eigenen Direktor.“

Deutschland 2024, dem Selbstverständnis nach eine Demokratie. De facto ein Staat, der in puncto demokratische Praxis unterhalb der DDR steht. Inzwischen weit. Und offenbar jeden Tag weiter.

Weiter führt das Blatt aus: „Was war denn nun der Grund für diesen Anruf des Direktors bei der Polizei? „Meine Tochter“, sagt die Mutter, „hatte vor einigen Monaten auf TikTok ein Schlümpfe-Video gepostet. Da heißt es, daß die Schlümpfe und Deutschland etwas gemeinsam haben: Die Schlümpfe sind blau und Deutschland auch. Das war wohl ein witziger AfD-Werbe-Post. Und dann hat sie einmal gepostet, daß Deutschland kein Ort, sondern Heimat ist.“

Das Mädchen wurde durch die ganze Schule, ein regelrechter Spießrutenlauf, abgeführt.

Dazu die JF: „Aber was wurde denn nun dem Mädchen vorgeworfen? „Letztlich nichts“, so Polizeisprecher Opitz, um dann aber doch zwei scharfe Klingen des Strafrechts zu nennen: „Gemäß Legalitätsprinzip galt es den Sachverhalt zu erforschen. Am ehesten in Betracht gekommen wäre ein möglicher Verstoß gemäß § 86a oder § 130 StGB.“ Paragraph 86a Strafgesetzbuch bezeichnet das Zeigen verfassungsfeindlicher oder terroristischer Kennzeichen, zum Beispiel Hakenkreuze, Deutscher Gruß, diverse Runen oder Tattoos mit Mottos wie Blut und Ehre oder ähnliches. Paragraph 130 Strafgesetzbuch stellt Volksverhetzung unter Strafe, zum Beispiel den Haß- und Gewaltaufruf gegen ethnische Gruppen. Was nun blaue Schlümpfe und der Begriff Heimat mit diesen Straftatbeständen zu tun haben sollen, sei dahingestellt. Miriam hat sich, so die Beamten, nicht strafbar gemacht. Allerdings steht sie jetzt in einem Polizeicomputersystem. „

Man ist ja schon einiges gewöhnt an Zumutungen. Aber hier bleibt einem wirklich die Spucke weg. Ob der Direktor wohl auch bedacht hat, wie das in der Erziehung dieses jungen Mädchens wirken wird? Ich vermute mal, sie wird sicherlich nach solchen Erfahrungen bei ihrer ersten Wahl ihre Stimme nicht einer der Parteien geben, die für ein solches Denunziationsklima verantwortlich sind.

Ich denke an meine eigene Jugend zurück. Damals, ich war 18, war der Prager Frühling unter uns Abiturienten das beherrschende Thema. Wir waren Feuer und Flamme, das wäre die Art von Sozialismus, die wir gern gehabt hätten – obwohl wir aufgrund eigener Erfahrungen diese Gesellschaftsordnung schon recht kritisch sahen. Aber wir fuhren extra nach Berlin, um im tschechischen Pavillon in der Friedrichstraße die „Prager Volkszeitung“ auf Deutsch zu lesen. Dort konnten wir Dinge lesen, die in den eigenen Zeitungen nie stehen würden und uns begeisterten.

Liberalere Praxis zu späten DDR-Zeiten?

Ein altes Sowjetabzeichen feilte ich flach, schnitt aus Zeichenkarton einen münzgroßen Kreis aus, malte ein schwarzes „D“ für „Demokratie“ drauf, klebte ihn auf und versiegelte den Button mit dem Nagellack meiner Mutter. Den Button trug ich ständig in der Schule. Mein Direktor winkte mich raus und fragte mich, was das „D“ bedeute. In der Klasse wusste das jeder. Aber ich war bereits mit existenzsichernden Lügen vertraut und antwortete: „Es heißt ‚durchhalten‘“. Es ginge um das Abitur. Mein Direktor gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Monate später starb der Prager Frühling unter den Ketten der sowjetischen Panzer und damit auch endgültig meine Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus.

Es ist nicht entscheidend für die Erziehung, was die Eltern oder Lehrer in der Schule sagen. Es ist entscheidender, was sie tun. Mir passierte nichts. Vernommen von der Volkspolizei wurde ich auch nicht.

Die AfD will den Fall dieser Schülerin vor den Landtag bringen.

Anmerkung von Boris Reitschuster: Interessant ist, dass der Schulleiter, Jan-Dirk Zimmermann, an seinem vorherigen Wirkungsort in Aachen als vermeintlicher Kämpfer für Meinungsfreiheit und Demokratie in Erscheinung trat. So fand an seiner Schule in Aachen etwa eine Veranstaltung unter dem Motto „Pressefreiheit in Gefahr“ statt. In einem Text dazu im Internet beschreibt Zimmermann Klagen über die Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Polen (siehe hier). Das ist leider kein Witz und keine Satire – sondern heutzutage geradezu typisch. Diejenigen, die besonders stark gegen die Meinungsfreiheit im eigenen Land sind, beklagen besonders laut Einschränkungen der Meinungsfreiheit in anderen Ländern. Ich habe diese Doppelmoral und diese doppelten Standards selbst in der Bundespressekonferenz regelmäßig erlebt – etwa wenn die Regierungssprecher Polizeigewalt in anderen Staaten kritisierten und die Augen völlig verschlossen hatten vor Polizeigewalt im eigenen Land.

Schulleiter Jan-Dirk Zimmermann, der zuvor in Aachen tätig war.

Interessant ist auch die Frage, die ein Leser in den Kommentaren aufgeworfen hat: Warum liest der Direktor die Posts von seinen Schülerinnen in den sozialen Medien?

Bemerkenswert ist auch, dass die Schule Ende Februar mit einer Ausstellung unter dem Motto „Demokratie stärken“ zum „Kampf gegen rechts“ aufrief. Politische Neutralität von Schulen – das war einmal! In einer Presseinformation zur Ausstellung heißt es: „Die Ausstellung wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung speziell für Jugendliche konzipiert und weist auf die Gefahren hin, die vom Rechtsextremismus als Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte ausgehen. Sie informiert jugendgerecht und interaktiv über die verschiedenen Facetten des Rechtsextremismus. Durch die Ausstellung führen die fiktiven Schüler*innen Anna und Samir. Auf den beleuchteten Stelen, dem Medientisch und einer Würfelwand können die Jugendlichen die Ausstellung erkunden und Hintergründe für rechtsextreme Einstellungen, zur Jugendkultur und wirksame Gegenstrategien erfahren. Die Ausstellung zielt nicht oberflächlich auf ein „Wogegen“, sondern zeigt den Schüler*innenvielmehr ein „Wofür“ und warum es für unsere Gesellschaft wichtig ist, sich für die Stärkung der Demokratie einzusetzen.“

Unter Einsatz für „die Stärkung der Demokratie“ versteht Schuleiter Zimmermann offenbar, Schutzbefohlene mit anderer Meinung als seiner zu denunzieren und ihnen die Polizei im Unterricht auf den Hals zu hetzen.

PS: Die betreffende Schule finden Sie hier. Sollten Sie über das Kontaktformular dort einen Kommentar schicken wollen, bitte ich Sie – auch wenn Sie Wut empfinden sollten – ausdrücklich und eindringlich, dies – bei aller Schärfe in der Sache – korrekt, höflich und ohne Beschimpfungen etc. zu tun. Diese würden nur auf alle kritisch denkenden Menschen zurückfallen und die Kritik am Vorgehen des Schulleiters und der Polizei diskreditieren.

PS: Im Kontaktformular der Schule steht, dass die Funktion derzeit nicht möglich ist. Zufälle gibt es, das gibt es gar nicht! Aber per e-Mail, Post und Telefon ist die Schule sicher weiter erreichbar:
[email protected]
03821/70890
Richard-Wossidlo-Gymnasium
Schulstraße 15
18311 Ribnitz-Damgarten

PS: Mein ausdrücklicher Dank gilt den Kollegen von der „Jungen Freiheit“, dass sie diesen hanebüchenen Fall veröffentlicht haben!

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Hans-Hasso Stamer ist Diplomingenieur, Blogger und Musiker (und war als solcher in der DDR bekannt). Über sich schreibt er: „Erfahrungen in zwei Systemen und in verschiedenen Berufsfeldern. Ich lebe ‚jottwede‘ im Land Brandenburg und genieße es. Manchmal schreibe ich auch über Katzen.“ Stamer betreibt den Blog »Splitter & Balken«.

Bilder: Shutterstock / Screenshot „einfachebuecher“ / Jonas Rogowski/CC BY-SA 4.0/Wikicommons

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