Zwei Fragen, und zwei völlig unterschiedliche Antworten. Eine, die verständlich war, aber alles andere als beruhigend. Und eine andere, die ich bis jetzt nicht verstehe. Aber vielleicht können Sie mich ja aufklären, liebe Leserinnen und Leser, und mir die Antwort erklären. Aber der Reihe nach. Das waren meine beiden Fragen an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Chef Lothar Wieler heute in der Bundespressekonferenz: „Herr Wieler, Herr Spahn: Ganz kurz, dafür zwei Fragen. Das erste: Die Inzidenzzahl. Viele kritisieren, sie berufe sich nicht auf die Zahl der Tests. Könnte man die nicht ins Verhältnis setzen? Und Herr Spahn, Sie sagten „Ende des Marathons“, und durch die Mutation habe alles wieder von vorne angefangen. Was macht Sie optimistisch, dass es in 6 Monaten nicht genau wieder so losgeht, dass wir in einem Jahr wieder eine Mutation haben, dass sich das Ganze nicht in einen Dauermarathon verwandelt durch die Mutationen? Danke.“
Spahns Antwort: „Zuerst einmal, wir setzen ja etwa durch die Positivrate der Tests, der PCR-Tests, das alles auch immer in ein vergleichbares Verhältnis. Übrigens bei den Schnelltests, wenn es zu einem PCR-Bestätigungstest kommt, besteht eigentlich heute schon die Möglichkeit – das ist jetzt wieder Bürokratie, aber wichtig, die macht nämlich manchmal einen Unterschied – ein Kreuzchen zu machen auf dem Formular und dann wissen wir, ob es ein Bestätigungstest aus einem Schnelltest ist. Was wir nun an Rückmeldung bekommen: es macht nahezu niemand dieses Kreuz. Deswegen werde ich jetzt nochmal gezielt appellieren an die Testzentren, weil es für uns wichtig ist – es sind ja auch Fragen, die Sie stellen, nachvollziehbarerweise – wie viele der PCR-Tests sind eigentlich Bestätigungstests aus Schnelltests. Und das könnten wir eigentlich wissen, wenn alle dieses kleine Kreuzchen machen würden. Da sind wir wieder, Bürokratie ist immer der eine Oberbegriff, aber manchmal braucht man halt Dinge, die man wissen will, braucht man ein paar Leute, die sich die Mühe machen, ein Kreuz zu machen. Da werden wir nochmal appellieren, um da auch einen besseren Überblick zu haben.
Die Frage, was macht mich da optimistisch: Ich habe immer gesagt: wenn nichts völlig Unvorhergesehenes passiert. Das, was uns die Impfhersteller ja sagen und auch nachvollziehbar darlegen können, insbesondere bei der mRNA-Technologie, aber durchaus auch teilweise die Vektorimpfstoffhersteller, ist, dass sie vergleichsweise schnell in der Lage wären, im Fall der Mutation, die man überhaupt erwarten kann – aus heutiger Sicht kann immer etwas völlig Unvorhergesehenes passieren –, dann auch relativ schnell den Impfstoff anzupassen. Der bräuchte dann auch nicht mehr eine Studie, sondern man würde sozusagen, wie bei Grippeimpfstoffen auch, eine entsprechende Anpassungszulassung sozusagen geben können und dann würde im Fall der Fälle relativ viel schneller auch ein entsprechend angepasster Impfstoff zur Verfügung stehen können. Das ist das, was wir aus heutiger Sicht erwarten dürfen. Wir sehen aber auch, dass aufgrund der Technologie der Impfstoffe, die ja schon – selbst bei allen bisher bekannten Mutationen – jedenfalls einen Unterschied machen. Wie stark der Unterschied dann jeweils ist in der Wirksamkeit, das ist ja das, was in der Diskussion ist. Und all das zusammengefasst macht, Stand heute, jedenfalls zuversichtlich, sehr zuversichtlich, dass wir mit den Impfstoffen, die wir haben, jetzt auch absehbar einen Unterschied machen können. Es wird uns aber wahrscheinlich nicht davon befreien, I don’t know, dass man etwas öfter nochmal wird impfen müssen. Also ich weiß es nicht, aber die Vermutung vieler Wissenschaftler ist ja, dass bei dieser Art des Virus‘ es wahrscheinlich nicht einmal im Leben reicht, geimpft worden zu sein.“
Lothar Wieler fügte hinzu: „Ich möchte das mit den Tests nochmals ergänzen, also, wir machen ja auch Abfragen, das heißt, wir fragen ja aktiv ab. Das sind ja dann nur Ausblicke und das ist jetzt auch nicht völlig repräsentativ, aber nach den Daten, die uns bisher vorliegen, ist es so, dass in den ersten 10 Kalenderwochen dieses Jahres von all den Daten, die ins Meldesystem kommen, also die uns übermittelt werden – das sind ja alles Daten, die sind PCR-bestätigt –, davon sind etwa 4 Prozent zurückzuführen auf Antigentests, die positiv waren. Also von den 100 Prozent Daten sind es momentan rund vier Prozent. Und was ich auch noch von den Daten weiß, die wir da erheben durch die Abfragung, ist es momentan etwa so, dass von positiven Antigentests, und ich rede jetzt nicht von den Selbsttests, da haben wir noch keine Daten, aber von den Antigentests, dass von einem, der positiv war, also als Schnelltest, dass etwa sich die Hälfte davon nachher bestätigt hat als PCR-positiv. Also das ist, um in etwa so eine Größenvorstellung zu haben.
Und zu den Impfungen noch ein ganz wichtiger Punkt. Was wirklich großartig ist: Wir haben diese mRNA-Impfstoffe und die haben ja den Bauplan für das Impf-Antigen drin, und dieser Bauplan kann relativ schnell geändert werden. Das heißt also, bei diesen Varianten kann man relativ gut anpassen. Und wir wissen das ja nicht, wie das wird. Es gibt Kollegen, die sagen, man muss alle halbe Jahre impfen später, es gibt welche, die sagen, vielleicht jedes Jahr. Wir werden das sehen. Aber wir werden sicher nochmal impfen müssen. Wie oft das sein wird, das wissen wir nicht, und wir denken – darum ist es ja so wichtig, dass die ganze Welt durchgeimpft wird –, weil, je mehr Impfschutz auf der Welt ist, desto geringer ist die Inzidenz und desto weniger Mutationen werden dann auch auftreten. Das ist also das Geschehen, das wir nicht so ganz einschätzen können, aber wir werden den Impfstoff mit hoher Wahrscheinlichkeit noch anpassen müssen, und dann haben wir ihn aber auch aufgrund dieser hervorragenden Technologie. Und deswegen ist es ja so toll, dass zurzeit die ganzen Impfkapazitäten aufgebaut werden, dass wir das zukünftig immer produzieren können. Diese mRNA – Impfstoffe insbesondere sind wirklich hochinnovativ und ein tolles Werkzeug.“
Spahn ergriff noch einmal das Wort: „Und in Deutschland vor allem aufgebaut werden. Wir sehen ja, wie wichtig es ist, die Produktion im Zweifel in der Nähe zu haben.“
Die Aussage zu den Impfungen ist klar. Und wenig beruhigend. Wenn es möglich ist, dass jedes halbe Jahr neu geimpft werden muss, stellt das bei 83 Millionen Einwohnern einige Herausforderungen an unser Land. Nach Wielers Worten führen Impfungen dazu, dass weniger Mutationen auftreten. Kritiker der Impfstrategie behaupten genau das Gegenteil (siehe hier). Wer Recht hat, werden wir wohl erst in einigen Jahren wissen.
Bei der Frage zur „Inzidenz“ haben Spahn, Wieler und ich m.E. aneinander vorbeigeredet. Mir ging es darum, dass die Inzidenzzahl eine absolute Zahl ist, bei der sich die Zahl der zugrundeliegenden Tests nicht widerspiegelt. Drastisches Beispiel: Wenn in einem Landkreis 200 Menschen getestet werden, und davon 100 positiv sind, also jeder Zweite, ergibt dies die gleiche Inzidenz wie in einem Landkreis mit gleichvielen Einwohnern, bei dem 10.000 Menschen getestet wurden und davon nur 100 positiv sind, also jeder Hundertste. Genau deshalb bemängeln Kritiker, die Inzidenzzahl sei nicht aussagekräftig und sehr leicht politisch steuerbar. Ein Zusammenhang mit den Kreuzen, die nicht gemacht werden und von denen Spahn sprach, erschließt sich mir nicht.
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Bild: Boris Reitschuster
Text: br