Nach Ende der Brandmauer – wechselnde Mehrheiten Der Weg für Thüringen

Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld

Am vergangenen Sonntag haben AfD und CDU, beide mit dezidiert konservativen, nicht-linken Inhalten, zusammen über 55% der Stimmen bei gestiegener Wahlbeteiligung erreicht.

Das Signal der Wählerinnen und Wähler in Thüringen ist eineindeutig: Eine weitere Ausgrenzung der Inhalte und Personen der AfD, sei es in Thüringen oder Sachsen oder Deutschland, ist nicht mehr zeitgemäß.

Die „Brandmauer“ ist abgewählt worden!

Und eine „Brandmauer“ war auch immer ein absurdes, undemokratisches Denkverbot.

Es gibt keine falschen Inhalte, nur weil sie von „falschen Leuten“ kommen. Ein gewählter Abgeordneter ist ein demokratischer Kontrahent, außer er oder sie stellt sich persönlich oder gerichtlich festgestellt außerhalb des Verfassungskonsens. Das gilt natürlich auch für die AfD-Fraktion in Thüringen.

Der weitere Weg für Thüringen ist deshalb politisch vorgezeichnet: Es muss einen inhaltlichen Wechsel geben in Migration, Energiepolitik, Bildung.

Die Wahl in Thüringen war eigentlich ein Fest der Demokratie, allein durch den Anstieg der Wahlbeteiligung! Aber das Ergebnis ist auch Demokratie pur und die ist kompliziert.

Das Signal ist klar: Eine Partei, eine Fraktion, die mit 32.8% und mit fast 400.000 Stimmen über 100.000 Stimmen vor dem Zweiplatzierten CDU liegt, kann und darf nicht mehr ignoriert, isoliert oder stigmatisiert werden!

Damit muss Schluss sein!

Die AfD hat Anspruch auf die Verantwortung des Landtagspräsidenten und wenn die 32 gewählten MdL den am besten geeignetsten Demokraten im Landtag auswählen, dann dürfen die anderen Parteien diesen Wahlvorschlag nicht sachfremd blockieren! Das ist das Signal für eine neue, sachorientierte Arbeit im Landtag!

Das ist die erste große Bewährungsprobe für das Führungsduo Möller-Höcke: Was ist ihnen wichtiger?

Der ewige provokative Parteiklamauk oder dafür zu sorgen, dass diese demokratische Schlüsselposition so besetzt wird, dass die Ausgrenzung der mittlerweile größten Fraktion beendet wird?

Was die Regierungsbildung betrifft, haben die Wähler eine echte Herausforderung gestellt: Wer wächst an ihr?

Höcke hat in den Stunden und jetzt schon Tagen nicht bewiesen, dass er tatsächlich regieren will, denn dafür müsste er mit seiner Partei und Fraktion auf die politischen Kontrahenten zugehen. Und vor allem bestimmte Äußerungen und Handlungen selbstkritisch hinterfragen und korrigieren. Ob Björn Höcke wirklich ein Demokrat ist, kann er nur selbst beweisen.

Deshalb liegt das Momentum bei Mario Voigt, der aber mehrere Gordische Knoten zu durchhauen hat. Er muss natürlich seine persönliche Herausforderung annehmen und mit den akademischen Vorwürfen klar umgehen – ein Thüringer Ministerpräsident muss weder Professor noch Doktor heißen, aber muss  in der Lage sein mit solch einem Vorgang professionell-politisch umzugehen.

Das viel größere Problem der Thüringer CDU ist die schon fast lächerliche Zahl von Ausschlussbeschlüssen oder -forderungen: Dabei kommen CDU (23,6%, 23 Sitze) und SPD (6.1%, 6 Sitze) zusammen nur auf 29 von 45 für eine absolute Mehrheit notwendige Sitze im Thüringer Landtag.

Ausgeschlossen ist nach CDU-Beschlusslage eine Koalition oder Tolerierung durch die AfD (32,8%, 32 Sitze), aber eben auch mit der Linkspartei, die mit Hilfe von Amtsinhaber Ramelow immerhin noch 13.1% und 12 Sitze errungen hat. Jetzt soll diese Reichsacht auch noch auf das Bündnis Sahra Wagenknecht übertragen werden, die unter Spitzenkandidatin Katja Wolf aus dem Stand gute 15.8% und 15 Sitze errungen hat.

Für eine echte Mehrheit gegen die AfD müsste Mario Voigt mit SPD, BSW und Linkspartei koalieren. Völlig absurd. Das wäre eine glatte Verkehrung des Thüringer Wahlsignals und darf auf keinen Fall passieren.

Welchen Weg kann die Thüringer CDU gehen?

Eine Koalition aus CDU und SPD, die auf wechselnde Mehrheiten setzt, also keine offizielle Tolerierung eingeht, ist der richtige Weg nach vorn.

So wird das Wählervotum respektiert und trotzdem eine stabile Regierung gebildet.

Es gibt kein inhaltliches Thema, bei dem eine solche CDU-SPD Landesregierung nicht bei konstruktiver Zusammenarbeit für richtige Inhalte Mehrheiten finden wird! Natürlich muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass inhaltlich begründete Mehrheiten z.B. mit der AfD ein Problem sind – aber das ist kein Problem, sondern eine demokratische Selbstverständlichkeit: Es geht um Inhalte, es geht um Thüringen. Das ist kein Problem und bald wird keiner mehr verstehen, warum dies je anders gesehen wurde.

Diese neue Freiheit, neue Demokratie kann und sollte in der Personalpolitik anfangen:

Eine Regierung, die nur 30% im Parlament hat, sollte tunlichst aus der Parteifreunde-Versorgung ausbrechen: Eine solche Regierung kann nur stabil agieren, wenn fachlich und politisch versierte Persönlichkeiten das Kabinett ergänzen und stärken.

Ich nenne keine Namen, da dies die jeweiligen Personen und die Sache beschädigen kann, aber aus dem erweiterten Umfeld aller drei für die wechselnden Mehrheit in Frage kommenden Parteien kann und sollte man das Innen- oder Justizressort, das Wirtschafts-, das Wissenschafts- und vielleicht das Kulturressort besetzen. An dieser Stelle sei an die vielen Beispiele erinnert, in denen Expertenregierungen in anderen europäischen Ländern durchaus erfolgreich waren.

Es gibt unter Berücksichtigung dessen, dass ein Landesminister auch bundesweit rekrutiert werden kann, für jedes oben erwähnte Ressort mindestens einen geeigneten Kandidaten bzw. eine Kandidatin.

Es wird der große Bewährungstest für jeden designierten Ministerpräsidenten hier ein gutes Händchen zu beweisen.

In jedem Fall muss es sofort um Sachpolitik gehen: Im Bereich Sicherheit, im Bereich Energie, im Bereich Industrie.

Das ist der Weg für Thüringen: Nach Ende der Brandmauer zunächst eine stabile Regierung mit wechselnden Mehrheiten. Wer die jüngsten Äußerungen von Bodo Ramelow und BSW analysiert, muss zu dem Schluss kommen, dass die Linke das machen wird, wenn die bürgerliche Mitte sich das nicht traut!

Demokraten müssen jetzt endlich wie Demokraten handeln!

Für einen Neustart in Thüringen und Deutschland!

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Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle.

Bild: DesignRage/Shutterstock

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