Von Alexander Wallasch
Liegt es womöglich an einer Impfmüdigkeit? Jedenfalls scheint das Ende der Fahnenstange für Pfizer und Biontech noch lange nicht erreicht: Jetzt sollen die Menschen mit den so genannten mRNA-Impfstoffen auch gegen Grippe geschützt werden.
Der US-Pharmakonzern Pfizer hat erste klinische Studien mit einem mRNA-Impfstoff gegen Grippe gestartet. Die Idee dahinter: Die neue Technologie soll auch die Wirksamkeit von Grippe-Impfstoffen verbessern, teilte das Unternehmen mit.
Die bisherigen Grippeschutz-Impfstoffe hätten lediglich eine Wirksamkeit von 40 bis 60 Prozent. Die erste Studie soll an 600 Freiwilligen im Alter von 65-85 Jahren durchgeführt werden.
Kathrin Jansen, Leiterin der Impfstoffforschung bei Pfizer, nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt in etwa, was der deutsche Kanzlerkandidat Olaf Scholz vor Wochen mit „Versuchskaninchen“ umschrieben hat: „Die COVID-19-Pandemie hat es uns ermöglicht, die immensen wissenschaftlichen Möglichkeiten der mRNA zu nutzen.“
Die von den Regierungen und Gesundheitsministerien ausgerufene Dringlichkeit mit ihren Notzulassungen als Umsatz-Booster für Pfizer, Biontech und weitere Unternehmen? Notzulassungen bei Grippe wären kein Thema.
Allerdings könnte dieser neuerliche Vorstoß auch nach hinten losgehen. Denn ein Vorwurf der Kritiker von mRNA-Technologie und Notzulassungen lautet ja bis heute, dass Corona nicht schlimmer sei als eine schlimme Grippe-Epidemie. Bei der Grippe allerdings stand eine Notzulassung von was auch immer nicht zur Debatte.
Jetzt sollen also die Zulassungen von mRNA-Impftechnologien auch auf die Grippe ausgeweitet werden? Oder wollen Pfizer und Biontech hier den normalen Zulassungsweg, der üblicherweise Jahre der konzentrierten Forschung und Beobachtung dauert, doch einhalten?
Was sagt das über die COVID-19-Impfstoffe auf mRNA-Basis?
Pfizer und Biontech stehen mit dieser Idee nicht alleine da. Auch Moderna aus den USA und der Impfstoffhersteller Sanofi sahen das Tor für diese Art der Forschung jetzt weit offen und arbeiten ebenfalls an einem mRNA-Impfstoff gegen Grippe.
Bestimmte menschliche Körperzellen sollen auch dahingehend „geimpft“ werden, dass ihnen Teile der Erbinformation des Virus als RNA mitgegeben werden.
Hätte man diese Technologie vor der Corona-Pandemie genauso kommuniziert, die Kommunikationsabteilungen der Unternehmen hätten verdammt viel Arbeit damit gehabt, ihren potentiellen Kunden auszureden, dass das ziemlich dystopisch und nach Science-Fiction klingt.
Allein die als noch größer dargestellte Gefahr durch das COVID-19-Virus hatte ja überhaupt erst bei vielen Menschen Akzeptanz für diese Art der Impfung geschaffen: Angst sollte hier mit noch mehr Angst besiegt werden.
Nach den ersten 600 Probanden sollen weitere folgen
T-Online erklärt die Funktionsweise der mRNA-Impfstoffe für die Leser des Portals so: „Das bedeutet also, dass der Bauplan für einzelne Virusproteine, die auch als Antigene bezeichnet werden, mitgeliefert wird. Antigene aktivieren das Immunsystem, die schützende Immunantwort gegen den Erreger zu erzeugen.“
Das Deutsche Ärzteblatt schreibt – und das soll wohl wie eine Beruhigung klingen: „Bei mRNA-Impfstoffen werden keine Krankheitserreger oder deren Bestandteile benötigt wie bei herkömmlichen Impfstoffen.“
Die Meldungen der Portale zu diesem Thema basieren auf einem Artikel der französischen Nachrichtenagentur AFP.
Die Pharmazeutische Zeitung schreibt dazu:
„In der Phase-I/II-Studie in den USA soll die Sicherheit und Immunogenität von einzelnen Dosen von mRNA-basierten Influenzaimpfstoffen bei Personen im Alter von 65 bis 85 Jahren untersucht werden (NCT05052697). Als Kontrolle dient dabei eine zugelassene quadrivalente Influenzavakzine.“
Die Pfizer-Versuchsreihe an 600 Personen ist aber erst der Anfang. Das Programm ist das erste von weiteren Versuchsreihen zu mRNA-basierten Grippeimpfstoffen, teilte das Unternehmen mit. Zudem würde man auch an Kandidaten gegen weitere respiratorische Erreger arbeiten.
Die besagten Unternehmen und ihre Kommunikationsabteilungen werden jetzt viel zu tun haben, den Kritikern auszureden, dass die Notzulassungen bei COVID-19 hier nicht die Büchse der Pandora geöffnet haben für eine experimentelle Art zu impfen, die mit dem Auftreten von COVID-19 und nach einer wie auch immer gearteten Risikoabwägung eine Akzeptanz bei den Zulassungsbehörden geschaffen haben.
Interessant in dem Zusammenhang übrigens auch, was beispielsweise die Allgäuer Zeitung Ende Juli 2021 schrieb: Die Grippewelle 2020/2021 sei einfach ausgefallen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Brian A Jackson/ShutterstockText: wal