Von Kai Rebmann
Die kalte Jahreszeit wirft ihre Schatten voraus und die Angst vor den unbequemen Folgen des eigenen Versagens treibt unsere Politiker immer mehr um. Es braucht wahrlich keine großen hellseherischen Fähigkeiten, um sich ausmalen zu können, wie die Bevölkerung reagieren wird, wenn die Energiepreise ins Unerschwingliche steigen oder es sogar zu flächendeckenden Blackouts kommen sollte. Wie zuvor schon Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte sich nun auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zu möglichen Demonstrationen gegen die Regierungen in Bund und Ländern. Und ähnlich wie in den vergangenen beiden Jahren, als weitgehend friedliche Corona-Proteste regelmäßig zu Aufmärschen Rechtsextremer umgedeutet wurden, sollen die zu erwartenden Proteste jetzt schon vorab als verfassungsfeindlich delegitimiert werden.
Im Interview mit RTL/ntv sprach Reul von „neuen Staatsfeinden“, die sich auf „gewalttätige Demonstrationen“ im Winter vorbereiteten. Der Innenminister des bevölkerungsreichsten Bundeslandes will bei seiner Polizei und weiteren Sicherheitsdiensten daher aufrüsten, um die jederzeitige Einsatzbereitschaft gewährleisten zu können. Man sei derzeit dabei, die Polizeistationen in NRW mit Satelliten-Telefonen und einer Notfallreserve an Sprit auszustatten, so Reul. Dem Innenminister zufolge würden dazu 40 Tanks mit insgesamt rund 40.000 Litern im ganzen Land verteilt. Im Zusammenhang mit steigenden Energie- und Spritpreisen sowie der Angst vor kalten Wohnzimmern im Winter sprach Reul davon, dass solche Krisen den Boden für „verschwörungstheoretische Narrative“ bereiteten.
Wer im besten Deutschland aller Zeiten im kommenden Winter in den eigenen vier Wänden frieren muss und es wagt, dagegen aufzubegehren, ist nach den Worten des NRW-Innenministers also nichts weiter als ein Verschwörungstheoretiker und Staatsfeind. Dass es bei den aktuellen und in Zukunft wohl noch zunehmenden Protesten angeblich nur darum gehe, die Sorgen und Ängste der Menschen zu instrumentalisieren, sehe man schon jetzt an „denen, die da unterwegs sind“, behauptet Reul, ohne dabei Ross und Reiter zu nennen, wer denn da alles „unterwegs“ sein soll. Immerhin: Die Einrichtung eines allgemeinen Krisenstabs wegen der Proteste infolge der Energiekrise hält der CDU-Politiker (noch) nicht für notwendig.
Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Inland soll erhöht werden
Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) offenbar daran arbeitet, die Bundeswehr auf Einsätze im Inland vorzubereiten. Das neue Territoriale Führungskommando der Bundeswehr soll den Plänen zufolge vor allem bei der Katastrophenhilfe und dem Heimatschutz zum Einsatz kommen und unter dem Kommando von Generalmajor Carsten Breuer stehen. Die Einheit, die auf die etwas sperrige Abkürzung „TerrFüKdoBw“ hören wird, soll ab Oktober 2022 eingerichtet und spätestens im März 2023 einsatzbereit sein. Offiziell handelt es sich dabei um eine Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Dennoch sollten Lambrechts Aussagen hellhörig werden lassen. „Mit dem neuen Kommando können wir über die rein militärischen Aufgaben hinaus sehr schnell die nötigen Kräfte für einen nationalen Krisenstab bereitstellen, wenn das notwendig ist – etwa im Falle von Hochwasserkatastrophen oder wie in der Covid-Pandemie“, so die Verteidigungsministerin. Oder eben im Falle der Niederschlagung regierungskritischer Demonstrationen, auch wenn die SPD-Politikerin das natürlich lieber nicht erwähnt.
Dazu passt, dass die Bundeswehr gemeinsam mit dem Bundesheer (Österreich) genau solche Einsätze trainiert. In einem am 1. Dezember 2021 von der Bundeswehr veröffentlichten Video ist zu sehen, wie sogenannte CRC-Einsätze (Crowd and Riot Control) geprobt werden. Unter CRC versteht die Bundeswehr eigenen Angaben zufolge die „Überwachung von unfriedlichen Menschenansammlungen und Eindämmung von Krawallen im Einsatz“. Die Lehren aus der Vergangenheit hätten gezeigt, dass „unfriedliche Demonstrationen“ die Schutzkräfte vor enorme Herausforderungen gestellt haben. Um in solchen Situationen künftig richtig reagieren zu können, sei es für die Soldaten „zwingend erforderlich“, die Abläufe zu üben. Das leuchtet durchaus ein, denn was gestern noch Pristina war, kann schon morgen Berlin oder Wien sein.
Bemerkenswert: Das gemeinsame CRC-Training mit dem Bundesheer wird von der Bundeswehr wie folgt begründet: „Da das österreichische Bundesheer auch im Kosovo eingesetzt ist und hier mit anderen NATO-Staaten zusammenarbeitet, ist es wichtig, dass einheitliche Verfahren und Prozesse geübt werden.“ Gewollt oder ungewollt wird durch diese Aussage suggeriert, das neutrale Österreich sei ein NATO-Staat. Fakt ist dagegen, dass es just zu der Zeit, zu der das Video veröffentlicht worden ist, sowohl in Deutschland als auch Österreich zu flächendeckenden Protesten gegen die ausufernden Corona-Maßnahmen der jeweiligen Regierungen gekommen ist. Was läge aus Sicht eben dieser Regierungen also näher, ihre Truppen das Vorgehen für den Fall von „unfriedlichen Demonstrationen“ üben zu lassen?
Bundeswehreinsätze im Innern und das Grundgesetz
Das Grundgesetz kennt vier Ausnahmen, die einen Einsatz der Bundeswehr im Innern ausdrücklich erlauben. Im Artikel 35 GG sind die Amtshilfe, der regionale Katastrophennotfall sowie der überregionale Katastrophennotfall geregelt. Diese drei Ausnahmen greifen in aller Regel bei Naturkatastrophen und/oder schweren Unglücksfällen. Im vorliegenden Kontext von besonderer Bedeutung ist hingegen Artikel 87 a GG. Unter Absatz 4 wird dort der „Innere Notstand“ definiert.
Die Bundeswehr informiert hierzu wie folgt: „Dieser Artikel ermöglicht den Einsatz von Streitkräften durch die Bundesregierung zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, wenn das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage ist und die Kapazitäten der Polizeien der Länder und der Bundespolizei nicht ausreichen. Die Streitkräfte können in diesem Fall zur Unterstützung beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer eingesetzt werden.“
Man sollte sich hierbei vor Augen führen, dass die Definition vieler der oben genannten Begriffe Auslegungssache bzw. eine Frage der „richtigen“ politischen und/oder ideologischen Gesinnung sein kann. In einem Deutschland, in dem linke Steinewerfer als „Aktivisten“ durchgehen, kann ein Rentner mit einem Regenschirm schon als „militärisch bewaffneter Aufständischer“ gelten. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Frage, wer oder was eine „Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ ist.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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