Olaf Scholz gehört zu den Fernseh-Schein-Riesen. Nein, bitte versuchen Sie nicht, dieses Wort im Duden zu suchen, ich habe es gerade erfunden. Im Angedenken an den Scheinriesen Herrn Tur Tur aus Michael Endes Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Herr Tur Tur wirkt aus der Ferne riesig und furchteinflößend, doch je näher er einem kommt, umso mehr schrumpft er auf Normalmaß zusammen, bis er schließlich aus nächster Nähe zum normalen, harmlosen Mensch wird. Furchteinflößend wirkt Olaf Scholz für mich auch aus der Nähe, wenn auch aus ganz anderen Gründen als Herr Tur Tur. Aber das Phänomen, im Fernsehen sehr viel „größer“ – im übertragenen Sinne – zu wirken als im normalen Leben bei der persönlichen Begegnung, ist mir zuerst bei Gerhard Schröder aufgefallen und dann wieder bei Olaf Scholz. Ich erlebte ihn in und am Rande der Bundespressekonferenz (und kurz, nachdem ich über sein Zusammenschrumpfen in der Realität berichtete, kam der Prozess meines Ausschlusses in Gange, aber das ist gewiss ein Zufall).
Der Kanzler hat das Charisma eines Aktenordners und nur das Dauerlächeln, das aus nächster Nähe noch weitaus verschmitzter und unangenehmer wirkt als auf dem Bildschirm, gibt ihm eine gewisse Ausstrahlung. Ich beurteile Politiker, die ich persönlich erlebt habe, oft nach der Frage – würde ich ihnen einen Gebrauchtwagen abkaufen? Michail Gorbatschow ja, oder Theo Waigel (für die Jüngeren – Finanzminister unter Helmut Kohl), nach gründlicher Durchsicht vielleicht auch Franz Müntefering oder Horst Seehofer, und bei Schröder, Lauterbach, Gysi oder Scholz – nie (wobei ich die Liste sehr lange fortführen könnte, mit Sonderstatus etwa für Robert Habeck, dem ich schlicht die gute Pflege des Wagens nicht zutrauen würde).
Scholz wirkt mit seinem Dauerlächeln, mit dem er kritische Fragen einfach zynisch weglächelt, wie eine Sphinx, so mein früherer Eindruck. Inzwischen würde ich eher sagen – wie ein Chamäleon. Wie bei der einstigen Führung der DDR, für die er in jungen Jahren große Sympathie hegte und deren Nähe er suchte, gehen auch bei ihm Worte und Taten erschreckend weit auseinander. Die Ruck-Rede im Bundestag kurz nach Putins Angriff auf die Ukraine war beeindruckend. Später stellte sich heraus – sie bestand vorwiegend aus heißer Luft. Verbal gab sich der Kanzler als großer Unterstützer der Ukraine – in der Realität taten er und die von ihm geführte Bundesregierung alles, um Waffenlieferungen zu torpedieren. Erst als die Risse in der Koalition immer offensichtlicher wurden und sogar eine Abstimmungsniederlage im Bundestag drohte, mitsamt möglichem Sturz seiner Regierung in Folge, kippte Scholz. Plötzlich erlaubte er die Lieferung von alten Gepard-Panzern – für die allerdings die Munition fehlte. Das erinnert an Bill Clintons Einstellung zum Kiffen: Der gab zwar zu, Hasch geraucht zu haben – aber nicht inhaliert. Waffen – ja. Aber ohne Munition. Was für ein Hütchenspieler-Trick!
Weil das den Befürwortern von Waffenlieferungen zu wenig und den Gegnern zu viel war, sanken die ohnehin im freien Fall befindlichen Umfragewerte des Kanzlers noch weiter. Er wirkt wie ein Betrunkener, der ständig im Laufen die Richtung wechselt. Ob das einer Orientierungslosigkeit zuzuschreiben ist oder über den Skandal-Kanzler (Wirecard, CumEx-Affäre, etc.) zeitgleich in Moskau, Washington und/oder London kompromittierendes Material (im KGB-Fachsprech „Kompromat“) vorhanden ist, wie böse Zungen mit guten Drähten unken, sei dahingestellt. Jedenfalls wirkt der Kanzler so, als sei er in diversen Fesseln gefangen. In welchen auch immer.
Im ZDF versuchte der sozialdemokratische Scheinriese, der auf Mini-Maß implodiert ist wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Backofen holt, am Montag den Ausbruch aus seiner politischen Einkesselung, wie TE schreibt: „Genauso wie aus dem Kokon seiner reglosen Gesichtszüge. Immer wieder ballt er die Faust, schaut den beiden Moderatoren energisch in die Augen, richtet sich auf und scheint fast charismatisch – nur um dann wieder in Trance und belanglose Sprache zurückzufallen. Immerhin versucht er es.“
Doch ohne Erfolg. In Sachen Ukraine wirkt er auf einmal wie ausgetauscht (kam der letzte Anruf aus Washington statt aus Moskau)? Ziel sei nicht mehr nur eine Waffenruhe, eröffnet der Wendehals-Kanzler dem verblüfften Publikum plötzlich, sondern auch, „dass Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückzieht“. Er ging noch weiter: Ein Ende der Sanktionen sei nur mit Zustimmung der Ukraine möglich. Auch an die Krim erinnerte sich der Kanzler plötzlich und an deren Annexion – die er nicht hinnehmen würde. Warum betonte er das auf einmal? Hat er das früher anders gesehen? Fazit des Sozialdemokraten: Russland dürfe mit seiner Politik nicht durchkommen.
Man reibt sich verwundert die Augen. Saß da der gleiche Olaf Scholz, der bisher immer noch so laut vor einem dritten Weltkrieg gewarnt hat für den Fall, man werde schwere Waffen liefern? Aus gut informierten Kreisen heißt es, der unsichere Kantonist im Kanzleramt und seine Getreuen hätten vergangene Woche bei der Konferenz, die die USA ausgerechnet im deutschen Ramstein abhielt – ein klarer Fingerzeig – von Washington und London die Leviten gelesen bekommen – bei kräftiger Assistenz aus Warschau. Zudem war auch der Druck aus den Reihen der Koalitionspartner FDP und Grüne zu groß. So wechselte das Chamäleon im Kanzleramt schnell die Farbe. Wieder einmal. Wie zuvor schon bei der Impfpflicht.
„Olaf Scholz wirkt zunächst wirklich fast schon lebendig und wie ein begeisterter Nato-Politiker“, schreibt TE: „Doch sobald Fragen zu seinem Schlingerkurs und sehr schnell gewechselten Meinungen kommen, wirkt er wieder hilflos. So energisch er da gerade noch schien, so schnell fällt sein Kampfgeist in sich zusammen: Seine Hände sinken wie bleiern auf den Tisch, rutschen dann zur Tischkante, wo sie sich gerade noch mit den Spitzen festhalten können – ansonsten würden sie vermutlich zu Boden sinken und den Kanzler gleich mit unter den Tisch ziehen.“
Statt klipp und klar zu seiner 180-Grad-Wende zu stehen, versucht er sie mit Ausreden und Ausflüchten zum Geradeaus-Kurs zu verklären. So wie er kritische Fragen weglächelt, lächelt er auch Widersprüche weg. Im Alltagsleben würde man so ein Verhalten wohl als schmierig bezeichnen. Aber vielleicht hat er einfach keine Erklärungen für seine 180-Grad-Wende. Zumindest keine, die er öffentlich eingestehen könnte. Und so verheddert er sich in Widersprüche. Behauptet etwa, man hätte schon im Dezember Putins Angriff auf die Ukraine vorhersehen können. Wie bitte? Warum hat er ihn dann nicht vorhergesehen? Warum reiste er dann kurz vor dem Angriff noch nach Moskau und hielt eisern an Nordstream 2 fest?
Die Liste der Widersprüche lässt sich fortsetzen. „Führung besteht darin, dass ich nicht jedem, der laut ruft und falsche Argumente sagt, nachgebe“, sagt Scholz. Merkt er selbst gar nicht, dass er jetzt genau jenen nachgab, deren Argumente er vor kurzem noch als falsch bezeichnete? Oder hofft er, dass die Zuschauer nicht klug genug sind, um das zu bemerken?
„Scholz sitzt in der Falle“, so das treffende Fazit von TE: „Die einen kritisieren ihn wegen seiner zögerlichen Haltung, die anderen kritisieren ihn wegen Kriegstreiberei.“ Ein Befreiungsschlag wäre nur möglich, wenn er aufhören würde, eine Aufarbeitung der Russland-Politik seiner Partei zu blockieren. Würde er diese zulassen, käme allerdings so viel Ungeheuerliches ans Tageslicht, dass die SPD sich möglicherweise nie mehr erholen würde. Und nicht nur die SPD. Auch die Aufarbeitung der tatsächlichen Rolle von Angela Merkel könnte – um es im Regierungssprech und diplomatisch zu sagen – „die Menschen massiv beunruhigen“. Ich werde nie vergessen, wie ein Kreml-Insider schon 2005 mir gegenüber prahlte: „Du erzählst mir immer, wir seien bestechlich und ihr nicht! Schau Dir mal an, für wie wenig Geld man einen Ex-Regierungschef kaufen kann!“
K.O-Schlag vor laufender Kamera
Scholz dreht und wendet sich derart, dass es sogar den Hofberichterstattern von den Öffentlich-Rechtlichen zu viel wird und ausgerechnet ZDF-Chefredakteur Frey, sonst ein treuer Regierungs-Helfer, ihn vorführt. Als Scholz nur heiße Luft liefert auf die Frage, ob er auch bereit sei, sich beim G20-Gipfel mit Putin an einen gemeinsamen Tisch zu setzen, und Frey nachhakt, antwortet Scholz: „Die Antwort werden Sie schon ertragen müssen.“ Scholz grinst schon sein überhebliches Sphinx-Lächeln, als ihn Frey mit einem einfachen Satz k.o. schlägt: „Ich habe sie nur noch nicht gehört.“ Prompt entgleiten Scholz Sprache und Gesichtszüge.
Es ist eine Tragödie, dass ausgerechnet in diesen besonders dramatischen Tagen in der Geschichte Europas und Deutschlands ein Mann im Kanzleramt sitzt, der eher das Format eines schlitzohrigen Buchhalters mit Zahlen-Leichen im Keller hat statt einem Staatsmann wie es Helmut Schmidt oder sein Namensvetter Kohl waren. Scholz ist ein Getriebener ohne Führungsanspruch, der das Ansehen Deutschlands in der Welt massiv beschädigt. Bei den NATO-Partnern und der Ukraine gilt die Bundesrepublik inzwischen als unsicherer Kantonist. In Moskau hat man nur Spott für ihn übrig und erfindet eine Nazi-Vergangenheit seiner Familie.
Scholz, den faktisch Angela Merkel durch ihren politischen Kindsmord an Armin Laschet ins Kanzleramt hievte – wäre schon bei ruhiger See überfordert gewesen. Oder allenfalls stark genug, um als „Merkel light“ handlungsfreudigere Genossen unter seiner Schirmherrschaft die schleichende rotgrünlila Kulturrevolution in Deutschland im Bündnis mit den Medien unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der Mehrheit voran führen zu lassen – etwa die freie Wahl des Geschlechts. In dem weltpolitischen Sturm, in dem wir uns aktuell befinden, ist der Leichtmatrose am Steuer eine Gefahr – nicht nur für unser eigenes Land.
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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
Bild: photocosmos1/Shutterstock
Text: br
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