In jungen Jahren habe ich gedacht, „Wendehals“ sei ein Begriff aus der Politik. Erst später konnte ich diese Bildungslücke schließen und mir in einem Vogelpark bewusst machen, dass es den Wendehals tatsächlich gibt, und er ein ebenso gefiedertes wie sympathisches Wesen ist. Ob die Mitglieder des Deutschen Ethikrates gefiedert sind, kann ich nicht sagen. Auch wenn der Verdacht naheliegt. Wobei ich natürlich nicht von einer biologischen Forderung spreche, sondern von einem „Fiedern“ im Sinne von anspruchsvollen Posten und einer Umgehung durch die Politik. Der Rat wurde unter der früheren FDJ-Funktionärin Angela Merkel gegründet und wirkt wie eine der vielen angeblich gesellschaftlichen Organisationen oder vermeintlich neutralen Institutionen, die in Wirklichkeit vom Staat „gefiedert“ sind und bei genauerem Hinsehen fast wie Tarnorganisationen wirken, die staatliche Politik rechtfertigen sollen. Ganz nach dem Muster der DDR, in der Merkel politisch sozialisiert wurde.
Der Ethikrat unter seiner umtriebigen und schier allgegenwärtigen Vorsitzenden Alena Buyx wirkte in der Corona-Politik lange wie die ideologische Streitaxt der Bundesregierung, mit der sie ihren fundamentalistischen, gegen die Grundrechte gerichteten Kurs rechtfertigte. Wolfram Henn etwa, einer der wichtigsten Protagonisten des Ethikrats, provozierte 2020 in einem Gastbeitrag für die „Bild“-Zeitung die Skeptiker der Corona-Impfung: Sie sollten schriftlich auf eine Intensivbehandlung verzichten (siehe hier). Auf die Bitte um eine Interview-Anfrage von meiner Seite antwortete er damals schnell in der Nacht – und alternativlos, wie es die Kanzlerin vermutlich auf den Punkt gebracht hätte: „Von einem Portal, das Überschriften wie ‚Deutschland – unfreier als eine Diktatur‘ formuliert, ist klar, welche Leserschaft es bedient. Nein danke.“ Ein Dialog mit Menschen mit anderer Meinung scheint zumindest für Ethikrat-Mitglied Henn tabu zu sein. Im konkreten Fall empörte er sich über einen Gastbeitrag einer Deutschen aus Weißrussland, die dort zwar klar die Diktatur dort kritisierte, aber beschrieb, dass der Alltag dort weitaus freier war als im Lockdown in Deutschland. Darf man so eine Meinung nicht haben? Ist es ethisch, wegen eines solchen Gastbeitrags den Dialog zu verweigern?
Christiane Fischer, ein früheres Mitglied des Ethikrats, kritisierte fehlende Transparenz und einen nicht angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten im derzeitigen Ethikrat. Ihre Kritik bezog sich auf die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Die Medizinprofessorin der Technischen Universität München steht nämlich nicht nur auf der Payroll von staatlichen Stellen wie dem Bundesforschungsministerium oder dem Ethikrat. Sie profitiert nach einem Bericht der „Welt“ darüber hinaus von Fördergeldern pharmanaher Institutionen wie dem britischen Wellcome Trust (siehe hier). Ist es ethisch, wenn eine der lautesten Werberinnen für die Impfung Verbindungen zu Impfstoffherstellern hat? Wie ist vor diesem Hintergrund die Empfehlung des Ethikrates für eine Impfpflicht zu sehen?
Fragen über Fragen. Und jetzt das. Der Ethikrat zeigt in seiner aktuellen Stellungnahme „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ eine Wendigkeit, wie wir sie vom Kopf des Wendehalses aus der Botanik kennen. Jetzt, wo sich die Stimmung dreht, und Corona-Ewiggestrige wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Rückzugsgefecht sind. „Ethikrat sieht schwere Fehler bei Pandemiebekämpfung in Deutschland“ – so und ähnlich lauten heute die Schlagzeilen in vielen Medien. Die Politik habe Kinder und Jugendliche vernachlässigt, heißt es nun auf einmal. Der Tagesspiegel etwa schreibt: „So litten junge Menschen besonders unter Einschränkungen ihrer Ausbildung und ihres Soziallebens. Je länger die Pandemie dauerte und je länger etwa Schulen von Lockdowns betroffen waren, ‚desto stärker vulnerabel wurde die junge Generation‘, sagte die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx und verwies auf die psychischen Belastungen. Die Folgen der Corona-Maßnahmen etwa im Bildungsbereich seien ’nicht genug berücksichtigt und gesehen‘ worden. ‚Wir rufen nach einer kritischen Aufarbeitung der Krisenbewältigung und besseren Fehlerkulturen‘, sagte Buyx.“
Wie bitte? Diese Einsicht kommt jetzt, zwei Jahre nach Beginn der Corona-Maßnahmen? Wo war der Ethikrat, als ich dieses Thema immer wieder und schon sehr früh in der Bundespressekonferenz ansprach? Als meine Seite und auch andere kritische Medien ausführlich darüber berichteten? Obwohl die Probleme offensichtlich waren? Da duckte sich der Rat schön brav weg und war auf Seite von Merkel & Co. Fast eisernes Schweigen. Wegsehen. Bis zum Letzten.
Und jetzt auf einmal, als sich der Wind dreht, die Stimmung zu kippen droht, eine 180-Grad-Wende.
Wer noch etwas Ethik hat, braucht keinen solchen „Ethikrat“.
Bild: Max Trebukhov, LB.ua
Text: br
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