Ostdeutsche wählen AfD, weil sie mit der Transformation überfordert sind Geschichts-Unterricht à la ZDF

Von Kai Rebmann

Regierungsbildungen im Osten ohne AfD und/oder das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) werden schwierig bis teilweise unmöglich. So sehen es jedenfalls die aktuellen Umfragen vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Mit Blick auf die CDU verdichten sich die Vorzeichen, dass mindestens eine der beiden Brandmauern wird fallen müssen, entweder jene zur AfD oder eben – was wahrscheinlicher sein dürfte – jene hin zum BSW.

Aber woran liegt es, dass die Ostdeutschen nicht „richtig“ wählen können? Dieser in den Augen mancher sehr aufwühlenden Frage ging Marietta Slomka im „heute-journal“ des ZDF nach und hatte sich dazu Ilko-Sascha Kowalczuk zum Interview eingeladen.

Der Historiker und Buchautor vertritt die These, wonach die Zustimmung im Osten zu „Anti-System-Parteien“ nicht nur durch „Traumata der Wiedervereinigung“ zu erklären sei. Die gemeinsame Klammer von AfD und BSW bestehe darin, „eine autoritäre Staatsverfassung anzustreben“. Die Vorstellung eines solchen „autoritären Regimes“ verfange insbesondere in Ostdeutschland, der „Ruf nach einem starken Staat“ sei dort seit 1990 nie verstummt. Er sei deshalb „sehr besorgt, dass wir Demokratie und Freiheit in Deutschland, zuvörderst in Ostdeutschland, tatsächlich bewahren“.

AfD- und BSW-Wähler als ‚Feinde der Demokratie‘

Dann sagte Kowalczuk aber etwas, das jedes kritische Journalistenherz höherschlagen lässt, das die ZDF-Moderatorin aber entweder gar nicht bemerkte oder schlicht ignorierte. Auf Slomkas Einwand, man müsse doch davon ausgehen, dass Menschen, die schon einmal eine Diktatur erlebt haben, dies gerade nicht mehr wollten, entgegnete der Historiker:

„Das setzt aber voraus, dass die Menschen, die alle in der Diktatur gelebt haben, diese Diktatur auch als Diktatur wahrgenommen haben. Das war mitnichten so.“ Auch seien es keineswegs „DIE Ostdeutschen“ gewesen, die die kommunistische Diktatur überwunden hätten. Tatsächlich sei eine Minderheit der Motor für die Freiheitsrevolution gewesen: „Die Masse stand hinter der Gardine und wartete ab. Welthistorisch ein völlig normaler Vorgang, dass die Mehrheit immer abwartet und sich dann auf die Seite der Sieger schlägt.“

Wohlgemerkt, Kowalczuk spricht hier über die letzten Wochen und Monate der DDR, hätte aber – wenn man es nicht besser wüsste – ebenso gut auch die Zustände in der BRD ab dem Frühjahr 2020 beschreiben können.

Die politischen Verhältnisse in den neuen Bundesländern bezeichnete Kowalczuk sodann als „Ost-Ost-Debatte“, die es dort seit jeher gegeben habe, die inzwischen aber auch zu einer „Ost-West-Debatte“ geworden sei, die zwischen „Befürwortern der repräsentativen Demokratie und deren Feinden“ geführt werde. Es braucht wahrlich nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wer in den Augen des Historikers „die Feinde der Demokratie“ sein sollen.

Öffentlich-rechtliche Demokratie-Kunde

Der Buchautor lässt die Tatsache, dass es infolge der Wiedervereinigung im Osten zu „sehr vielen sozialen Ungerechtigkeiten gekommen“ sei, zwar als Teil der Erklärung für die hohen Zustimmungswerte für AfD und BSW gelten, ausdrücklich aber nicht als Entschuldigung: „Aber das alles berechtigt noch lange nicht, jetzt Faschisten und Kommunisten wählen zu wollen.“

Schon die Wortwahl ist bemerkenswert. Kowalczuk spricht den Wählern von AfD und BSW hier nicht weniger als das Recht ab, ihr Kreuzchen bei eben diesen Parteien zu setzen. Aber auch dieser Punkt geht bei Marietta Slomka ohne jede Nachfrage, geschweige denn Widerrede durch. Alles wohl ganz im Sinne des ZDF.

Und der Historiker legt nach: „Das, was wir beobachten, ist ein doppelter Prozess in Ostdeutschland. Es gibt eine Transformationsmüdigkeit, herrührend aus den 1990er- und 00er-Jahren, die jetzt überlagert wird von einer neuen Transformation, die die gesamte Welt erfasst hat, nämlich die digitale Revolution, von der wir alle nicht wissen, wohin die uns führen wird. Und das führt oft zu einer Transformations-Überforderung. Und Menschen neigen dazu – wenn sie nicht wissen, was morgen kommt – sich zurückzulehnen, umzudrehen und zu sagen: ‚In der Vergangenheit war doch alles so viel besser, ich sehne mich nach dieser Vergangenheit.‘ Und das ist ja das Versprechen, was Populisten machen: Ich führe euch in die Zukunft, indem ich euch eure goldene Vergangenheit zurückgebe.“

Ostdeutsche als rückwärtsgewandte DDR-Nostalgiker auf demokratischen Abwegen, die aus purer Überforderung die „falschen“ Parteien wählen? Eben dieses Bild soll im ZDF angesichts der politischen Stimmungslage vor den wichtigen Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (jeweils 1. September) sowie Brandenburg (22. September) offenbar gezeichnet werden. Doch genau damit – dem freien demokratischen Entscheidungsrecht des Souveräns, des Volkes nämlich – hat diese im „heute-journal“ präsentierte Analyse so überhaupt nichts gemein.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Screenshot Video ZDF Mediathek

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